Freitagmittag: In Dagebüll werden Pkws und Lkws auf eine der modernen Doppelendfähren für die Überfahrt nach Föhr und Amrum verladen.
Wie oft bin ich in den vergangenen 38 Jahren an Bord einer Fähre gegangen, von Dagebüll nach Wyk und umgekehrt. Waren es 200 oder 250 mal? Mein Seeweg durch die Nordsee. Ich habe auch bei stürmischer See an der Reeling gestanden, die frische Brise eingeatmet, den Blick zu den Halligen, nach Amrum und zu "meiner" Insel. Eine Seefahrt durch das Wattenmeer, das einzigartige Weltnaturerbe. Der Weg auf die Inseln hat eine lange Geschichte.
"Es gibt seit hunderten von Jahren hier Schifffahrt. Am Anfang waren es Segelschiffe, Lastensegler, die hier verkehrt sind. Später waren es Frachter, die sich dann in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in Passagierschiffe verwandelten und heute sind es kombinierte Passagier – und Frachtfähren."
Die Fähren mit dem Umweltsiegel Blauer Engel transportieren auf jeder Fahrt 70 Pkw und nicht selten in der Hauptsaison ein- 200 Passagiere, pro Jahr 1,8 Millionen Touristen, Tagesausflügler und Einheimische.
Axel Meynköhn kennt sich mit der Seefahrt und Passagen aus. Viele Jahre war er im Dienst der Afrikalinien in Kamerun und an der Elfenbeinküste. Heute steuert er das Geschäft mit einer Flotte von fünf Fähren, deren Fahrzeiten zuweilen von der Tide abhängig sind.
"Vor Dagebüll unserem Festlandhafen haben wir den natürlichen Priel, da muss gebaggert werden. Wir kämpfen hier teilweise, besonders bei Ostwindlagen mit sehr niedrigen Wasserständen, was bedeutet dass unsere Schiffe höchstens 1,80 Meter Tiefgang haben dürfen."
Das Meer bestimmt den Fahrplan
Geht das Niedrigwasser auf einen Tiefstand von unter 50 Zentimetern kommen die Fähren weder in die Häfen rein noch raus. Oder sie bleiben unterwegs ein, zwei Stunden stecken – bis zur nächsten Flut. Auch meine Ankunft auf Föhr hat sich so ein paarmal verzögert. Das Meer bestimmt den Fahrplan. Und den Terminplan der Wattwanderer, die entweder zu den Seehundsbänken oder auf dem Meeresboden zur Nachbarinsel Amrum zweieinhalb Stunden unterwegs sind.
Wie vor 38 Jahren zum ersten Mal vertraue ich mich der Führung des mittlerweile 80-jährigen Werner Fischer an.
"Ja meine Damen und Herren, liebe Kinder. Wir werden jetzt zur Wattwanderung starten und gehen zunächst einmal vorne den Deich rauf bis zur Treppe. An der Treppe Schuhe ausziehen, Hosen bisschen hochkrempeln. Man sieht mich nicht aber man hört mich und da wo ich zu hören bin, da gehen wir alle gemeinsam schön durchs Watt."
Die Turnschuhe neben Sonnencreme, Wasser und Proviant im Rucksack verstaut steige ich mit hundert anderen über Steine in das ablaufende Wasser. Fischer startet zwei Stunden vor dem Wechsel von Flut und Ebbe. Unter uns eine unbekannte geheimnisvolle Welt aus Sand, Muscheln, Wattwürmern Krabben und Taschenkrebsen. Fischer benutzt ein Megafon, um seine Gruppe zu erreichen. Er führt Gäste seit sechzig Jahren.
"Hier wo wir langgehen, das ist praktisch das Ergebnis der Orkanflut von 1634. 1634 wurde dieses ganze Gebiet, dass so gut wie gar nicht besiedelt war von den Orkanfluten abgetragen und so baute sich dann unser Wattengebiet auf."
Ebbe und Flut
Heute sind die Inseln zum Teil mit Deichen und die Halligen durch die Inseln geschützt. Welche Gefahren für die Zukunft durch den Klimawandel drohen, kann niemand voraussagen. Wohl aber hat Fischer die Erklärung für Ebbe und Flut parat.
"Vom Mond ausgerichtet wird das Wasser angezogen. Durch die Rotation auf der gegengesetzten Seite haben wir auch noch einen Wellenberg. Wir sehen das Wasser kommen. Und das Wasser geht in stetem Rhythmus und in Wirklichkeit ist es so, dass der Wellenberg zum Mond ausgerichtet stationär bleibt und die Erde, die sich in 24 Stunden einmal um sich selber dreht, dreht sich unter diesem Wellenberg rein und wieder raus. Dadurch entsteht Flut und Ebbe."
Stürme und Fluten wurden zwischen Hooge und Sylt im Laufe der vergangenen Jahrhunderten 200 Schiffen mit ihren Besatzungen zum Verhängnis. Auch der City of Bedford.
"Die am 4. Februar 1825, hier reingetrieben gestrandet, untergegangen, eingesandet und die 6-Mann-Besatzung ertranken und sind an der Kirche von Süderende draußen an der Mauer beerdigt. Richtung voraushaben wir den Bug."
Fischer erzählt von Austernfischern, die Muscheln verspeisen im Gegensatz zu Möwen, die auf Austern spezialisiert sind und ihre Nahrung im Ganzen herunterschlucken.
Zweieinhalb Stunden spannende Geschichten von einem Erzähler, der im Watt zu Hause ist und behände voranschreitet. Ich habe Mühe mit meiner Ausrüstung zu folgen. Abschluss und Höhepunkt ist der Priel kurz vor Amrum, bei dem das Wasser des strömenden Priels bis zur Brust reichen kann. "Da ich auch zu der Gruppe der Kurzbeinigen gehöre ziehe ich auch meine Hose aus."
Mir reicht der Priel nur bis zu den Knien. Dennoch Vorsicht bei der Strömung. Ich halte Mikrofon und Aufnahmegerät in die Höhe, darf nicht straucheln. Nach fünf Minuten ist es geschafft. Nach zweieinhalb Stunden auf Sand und Schlick über den Nordseeboden bin ich erschöpft, ruhe mich am Strand aus bevor ich noch einmal 90 Minuten bis Norddorf und danach bis zur Fähre in Wittdün unterwegs bin.
Entlang der Küste von Föhr
Nach dem aufregenden und strapaziösen Wattabenteuer starte ich zu meiner nächsten Erkundung – mit der regionalen Airline, die zwischen Husum und Dänemark aber auch nach Hamburg, Düsseldorf und bis nach Frankreich unterwegs ist. Ich steige in eine dreisitzige Cessna und begleite ein Paar, das seinen 20. Hochzeitstag mit einem Rundflug feiert.
Nachmittags 15 Uhr. Genau die richtige Zeit, um den Wechsel von Ebbe und Flut zu erleben, das Spiel zwischen der dunklen Farbe des Wassers, dem hellen Gelb der Sandbänke, auf denen Seehunde liegen, die ständigen Veränderungen, die auflaufende Flut. Faszinierende Vogelperspektive.
Entlang der Küste von Föhr mit ihren bunten grün, roten und blauen Strandkörben führt die Route zu den Halligen Hooge und Langeneß. Unter uns eine der großen Fähren und ein Boot mit rostroten Segeln, die "Röde Arm". Wir fliegen nach Amrum mit seiner großen vorgelagerten Düne, danach der Kniepsand von Norddorf. Badegäste stürzen sich in die Brandung, spielen Beachball, die Surfer rüsten ihre Bretter auf. Danach geht es zurück nach Föhr.
Meine dritte Erkundung erlebe ich an Bord der "Röde Arm", die ich gestern aus der Luft gesehen habe, dem Nachbau eines holländischen achteinhalb Meter langen Seglers mit Seitenschwertern und geringem Tiefgang. Damit erreichen meine Freunde Knut und Heide selbst bei Ebbe Ziele, die anderen Booten mit größerem Tiefgang verwehrt bleiben.
Knut ist auf Amrum aufgewachsen und seit seiner Kindheit mit dem Wattenmeer vertraut wie nur wenige. Entfernte Ziele interessieren ihn nicht, einmal Helgoland und einmal das Hafengeburtstag in Hamburg – das war's.
"Naja, du segelst an den Sandbänken entlang, kannst in die Priele einlaufen und da muss man eben nur sehen, ob da genug Wasser ist, aber das wird ja durch das Schwert angezeigt, weil das Schwert, das Seitenschwert so peu à peu dann hochkommt und irgendwann sieht man, da kannst du nicht mehr fahren und musst von da weg und insofern ist das interessanter für mich. Wenn das Wasser aufläuft ist es schwer, Amrum oder Langeneß anzulaufen."
Am ersten Tag kommen wir bei Windstärken von zwei und drei kaum vorwärts, am zweiten Tag bietet sich eine Gelegenheit, so die Sprache der Segler bis Langeneß aber nicht bis zum Hafen, am dritten Tag segeln wir an einer großen Sandbank vorüber, auf der über 50 Seehunde in der Sonne dösen und auf einen Makrelenschwarm warten – ihre Lieblingsspeise.
Ins Wattenmeer mit einem Ausflugssegler
Vom Wyker Hafen aus gibt es die Möglichkeit zu Fahrten ins Wattenmeer mit einem Ausflugssegler oder zu Tagesfahrten auf die Halligen oder nach Sylt.
"Die Lieblingsroute ist eigentlich zwischen Sandbänken zu segeln. Das ist spannender, weil man nicht weiß, schafft man das noch und vor allem ist das Wasser dann ganz ruhig und da kann man auch bei starkem Wind segeln. Sonst ist es schwierig, weil er sich leicht feststampft in grober See."
Ab Oktober wird die Nordsee empfindlich kalt. Ein Meer nur für abgehärtete Naturen, Schwimmer und Segler und zu Silvester zum kurzen untertauchen beim Neujahrsschwimmen, an dem ich tapfer dreimal teilgenommen habe. Ein kaltes Vergnügen mit über 100 Teilnehmern und 500 Zuschauern. Wer im Herbst und Winter die kalte Nordsee scheut oder von Ebbe und Flut unabhängig sein will dem kann auf Föhr jederzeit geholfen werden - mit einem Meerwasserwellenbad, dessen Funktion Kurt Weil erklärt.
"Wir haben draußen im Meer zwei Tiefbrunnen und aus diesen Tiefbrunnen kommt das Wasser rein ins Gebäude und dann kommt es in die Becken. Das Becken ist aufgestaut. Wir haben zwei Stauebenen. Das Wasser kommt in einen Schwallwasserbehälter, wird zwischengelagert und da haben wir zwei Wellenkammern und die sind mit zwei Flügeln ausgestattet und erzeugen so ein schönes Wellenbild."
Und das Ganze auf 29 Grad gewärmt, sommers wie winters– dazu eine komfortable Saunalandschaft. So gibt es sie selbst bei stürmischer See und Windstärke acht unter dunklen Wolkenbergen draußen – die friesische Karibik, in die ich immer wieder zurückkehre, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter.