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Nordirak
"Die Waffenfrage ist völlig fehlgeleitet"

Die Debatte über die Waffenlieferungen an die Kurden im Irak führe vom eigentlichen Problem weg: Der Kampf gegen die Terrorgruppe IS erfordere politische, nicht militärische Gegenmaßnahmen, sagte Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, im Deutschlandfunk.

Jan van Aken im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.09.2014
    Der stellvertretende Vorsitzende der Linken im Bundestag, Jan van Aken, auf dem Bundesparteitag im Februar 2014.
    Der stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Jan van Aken (dpa picture alliance / Bodo Marks)
    Die Kämpfer der marxistisch ausgerichteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Peshmerga-Soldaten seien "nicht schlecht bewaffnet", sagte van Aken im DLF. Er habe bei seinem Besuch in Erbil Einheiten von beiden Gruppen gesehen; sie hätten "nigelnagelneue Pickups mit Maschinengewehren drauf", sagte der Linken-Politiker. "Ich halte es für ein Gerücht, dass es die Frage der Bewaffnung ist, die dazu geführt hat, dass die Peshmerga sich hier und dort zurückgezogen haben. Die PKK-Kämpfer sagen auch, selbst mit den Waffen, die sie haben, die wirklich nicht die modernsten sind, können sie IS bekämpfen."
    Van Aken sagte, der Fokus auf die Lösung des internationalen Konflikts müsse sich ändern. "Die Waffenfrage ist völlig fehlgeleitet. Die Frage ist doch eher, welche richtigen politischen Schritte müsste man jetzt einleiten, um die IS nachhaltig zu schwächen und damit besiegen zu können." Der Linken-Politiker forderte, die Weltgemeinschaft müsse jegliche Art von Unterstützung für die Terrorgruppe IS unterbinden.
    Bis vor kurzem noch habe es "massive Geldströme aus den Golfstaaten" gegeben; "bis heute sickern tausende Kämpfer zur IS durch die Türkei über die Grenze", kritisierte van Aken. "Es ist doch eine völlig absurde Situation, dass die Grenzen zwischen der Türkei und der kurdischen Bevölkerung selbst für Medikamentenlieferungen dicht gemacht werden, niemand darf die Grenze dort passieren. Aber dort, wo die Türkei an IS-Gebiet grenzt, dort können die Kämpfer zu tausenden samt Waffen rübersickern."

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Die Bundesverteidigungsministerin ist gestern nach Erbil im Nordirak geflogen, und zwar in einer Militärmaschine.
    Das ist meldepflichtig, denn die Schadensberichte der vergangenen Tage und Wochen legen den Schluss nahe, dass die Bundeswehr einen großen Schrotthaufen verwaltet. Schiffe, die zwar schwimmen, sich aber längst nicht mehr fortbewegen können, Panzer, die nicht rollen, Flugzeuge und Hubschrauber, die den Gesetzen der Schwerkraft so gar nichts entgegenzusetzen haben.
    Anders als Ursula von der Leyen erreichten Militärberater der Bundeswehr den Nordirak nur in mehreren Etappen, indem sie von der einen in die nächste kaputte Maschine umstiegen, die dann jeweils vor dem Ziel schlapp machte. Inzwischen ist eine erste deutsche Waffenlieferung in Erbil eingetroffen.
    Im nordirakisch-kurdischen Erbil hält sich zurzeit auch Jan van Aken auf, Außen- und Verteidigungspolitiker der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.
    Heinemann: Herr van Aken, ist der Krieg in Erbil spürbar?
    Van Aken: Nein. Ehrlich gesagt, für mich als europäischen Besucher nicht wirklich. Das Leben brummt, abends sind die Straßen voll, die Kinder gehen normal in die Schule und in den Gesprächen, die man führt, ist davon wenig zu merken. Nur wenn man genauer hinhorcht, dann hört man beim Hotelmanager, der sagt, es kommt kaum noch jemand, seit dem IS-Angriff Anfang August sind die Geschäfte zum Erliegen kommen.
    Und eine andere Entwicklung hört man aus den Gesprächen heraus: Es gibt zunehmend Reibungen und Misstrauen zwischen den Kurden und dem arabischen Teil der Bevölkerung. Das sind Details, aber für mich als Europäer ist das Leben hier ganz normal.
    "Dankbarkeit richtet sich an die PKK"
    Heinemann: Sind die Menschen den USA und ihren Verbündeten dankbar dafür, dass sie die Terrorbande ISIS bekämpfen?
    Van Aken: Ehrlich gesagt, die Dankbarkeit, die ich gehört habe, die richtet sich tatsächlich an die PKK. Ich habe gestern ein Flüchtlingslager besucht, ungefähr 20 Kilometer südlich von Erbil. Das war zwei Tage lang von IS besetzt gewesen, vom 7. bis 9. August, und ist dann von Kämpfern der PKK freigekämpft worden, und da hört man überall heraus, dass sie sagen, die Luftschläge bringen gar nichts, irgendwo anders wird bombardiert, aber hier vor Ort, wo wir direkt im Leben bedroht waren, da haben uns die Kämpfer aus der Türkei gerettet.
    Da verschiebt sich hier momentan etwas ganz massiv auch im Blick sozusagen auf die Peschmerga, die nordirakische Peschmerga vom Präsidenten Barzani und auf der anderen Seite der PKK.
    Heinemann: Die Menschen sind heil froh, dass ISIS militärisch bekämpft wird?
    Van Aken: Das auf jeden Fall. Das ist, glaube ich, auch eine nicht zu leugnende Tatsache, dass man diese Terrorgruppe tatsächlich nur hier mit der Waffe in der Hand stoppen kann, denn sie würden sonst ein Dorf nach dem anderen hier plündern und ihre Gräueltaten vollbringen.
    Van Aken: Waffenlieferung ist falscher Weg zur Unterstützung
    Heinemann: Ist dieser Lokaltermin für Sie dann auch eine Art Weiterbildung? Sehen Sie jetzt ein, dass man ISIS nur militärisch bekämpfen kann?
    Van Aken: Das auf jeden Fall, wobei ich das auch immer schon gesagt habe, auch Anfang August, als es dort im Sindschar gegen die Jesiden ging. Das ist nicht die Frage, dass die Menschen sich hier vor Ort erst mal wehren, wenn sie in ihrem Leben bedroht werden. Das ist völlig klar.
    Die große Frage ist ja, welche Rolle kann Europa, kann Deutschland, kann die Bundesregierung dabei spielen, und da finde ich diese Waffenlieferungen, die ich gestern Abend hier beobachten konnte, den falschen Weg zur Unterstützung.
    Heinemann: Sehen die das da auch so, oder freuen sie sich, dass die PKK-Kämpfer, die die Drecksarbeit machen, mit deutschen Waffen aufgerüstet werden?
    Van Aken: Sagen wir mal so: Ich habe jetzt verschiedene Gespräche geführt, mit Peschmerga, auch mit Vertretern der PKK, und da gibt es sehr verschiedene Äußerungen. Das Erste ist, dass die PKK sagt, was soll denn das, wieso kriegen die Peschmerga die Waffen und nicht wir. Denn das hat Angela Merkel ja ganz klar gesagt: Die PKK bekommt auf gar keinen Fall Waffen. Die ist in Deutschland ja auch nach wie vor als Terrororganisation gelistet, was eigentlich völliger Blödsinn ist. Das heißt, die Waffen gehen an die Peschmerga, und hier heißt es überall, was soll das, die Peschmerga kämpfen ja gar nicht.
    Ich kann das selbst nicht beurteilen, aber das ist eigentlich überall der Tenor, den man hört.
    Und dann hört man von den Betroffenen im Flüchtlingslager ganz unterschiedliche Stimmen. Die einen: Die Leiterin des Lagers sagt zum Beispiel, wir brauchen in erster Linie Wasser, und wir brauchen politischen Druck auf die Türkei, damit die Grenzen endlich geöffnet werden. Während andere sagen, natürlich brauchen wir auch Waffen. Also da gibt es sehr unterschiedliche Stimmen.
    Heinemann: ist das nicht eine sehr akademische Debatte, wer jetzt letztendlich die Waffen bekommt, Hauptsache man kann ISIS irgendetwas entgegensetzen?
    Van Aken: Die Situation ist doch anders. Wenn man hier herumfährt und man kommt hier an den verschiedenen Checkpoints vorbei, man sieht, wie diese Stadt Mahmur, in der ich gestern war, geschützt ist, sowohl von Peschmerga-Waffen als auch PKK-Einheiten. Die haben diese nigelnagelneuen Pick-ups mit den Maschinengewehren drauf. Die sind nicht schlecht bewaffnet. Ich halte es für ein Gerücht, dass es die Frage der Bewaffnung ist, die dazu geführt hat, dass die Peschmerga sich hier und dort zurückgezogen haben. Die PKK-Kämpfer sagen auch, selbst mit den Waffen, die sie haben, die nun wirklich nicht die modernsten sind, können sie ISIS bekämpfen.
    Das heißt, die Waffenfrage ist eigentlich völlig fehlgeleitet. Die Frage ist doch eher: Welche richtigen politischen Schritte müsste man jetzt einleiten, um die ISIS nachhaltig zu schwächen und damit besiegen zu können.
    Heinemann: Und welche wären das?
    Van Aken: Das Erste ist natürlich, jegliche Art von Unterstützung für ISIS zu unterbinden. Da bewegt sich langsam etwas, aber wir haben ja bis vor kurzem noch miterleben müssen, dass massive Geldströme aus den Golf-Staaten hier hingekommen sind. Bis heute sickern ja Tausende von Kämpfern für ISIS durch die Türkei über die Grenze ein, und es ist doch eine völlig absurde Situation, dass die Grenzen zwischen der Türkei und der kurdischen Bevölkerung selbst für Medikamentenlieferungen dicht gemacht werden, niemand darf die Grenze dort passieren. Aber dort, wo die Türkei an ISIS-Gebiet grenzt, da können die Kämpfer zu Tausenden samt Waffen rübersickern.
    All das muss aufhören, denn wenn der Nachschub für ISIS erst mal gestoppt ist, dann wird es für sie dort auch immer schwieriger zu kämpfen.
    Van Aken: Mit politischen Gegnern gemeinsam gegen ISIS vorgehen
    Heinemann: Die USA greifen ISIS ja auch in Syrien an. Muss man mit Machthaber Assad reden, um diese Organisation zu bekämpfen?
    Van Aken: Ich denke schon. Man kann ja nicht immer nur mit seinen Freunden reden. Assad ist mit Sicherheit kein Verbündeter hier. Aber das, was momentan passiert, dass ohne Einwilligung der Regierung in Damaskus Bombenangriffe in Syrien geflogen werden, das ist natürlich ein Völkerrechtsbruch. Deswegen sehe ich das sehr, sehr kritisch. Es kann tatsächlich nur darum gehen, gemeinsam mit allen möglichen, auch mit den politischen Gegnern einen Weg zu finden, wie man ISIS jetzt eingrenzt.
    Heinemann: Völkerrechtsbruch nur in Syrien, nicht im Irak?
    Van Aken: Nein. Im Irak passiert das ja auf Einladung und mit Genehmigung der irakischen Regierung. Aber in Syrien ist das ohne Genehmigung passiert. Das ist natürlich völkerrechtlich überhaupt nicht legitimiert.
    Heinemann: Noch mal zu Assad. Kann ein mutmaßlicher Massenmörder Partner werden?
    Van Aken: Partner nicht. Aber wir haben ja auch damals in Afghanistan immer gesagt, wir werden den Konflikt in Afghanistan nur dann zu einem Ende führen, wenn wir auch mit ihren Gegnern reden.
    Ich muss nicht mit meinen besten Freunden verhandeln, sondern ich muss natürlich mit meinen Gegnern verhandeln, wenn ich eine Lösung haben möchte. Partner nicht, aber natürlich wäre es sehr sinnvoll, dort endlich mal zwei, drei Schritte weiterzugehen und Verhandlungen aufzunehmen.
    Van Aken: Druck auf Ankara aus Berlin muss erhöht werden
    Heinemann: Zur Lage der Türkei. Die Türkei hat Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen, sehr, sehr großzügig sich da verhalten, im Gegensatz unter anderem auch zu Deutschland. Andererseits gibt es Kritik, Sie haben die Grenzschließungen genannt. Es gibt Berichte darüber, dass ISIS über türkische Häfen auch Öl verkauft, oder Energie insgesamt, auch Gas. Muss man den Druck, was das betrifft, auf Ankara erhöhen?
    Van Aken: Ja. Ich halte momentan wirklich Ankara für einen ganz großen Teil des Problems und muss da auch Außenminister Steinmeier und die Bundesregierung scharf kritisieren. Seit zwei Jahren machen sie überhaupt nichts dafür, dass die Unterstützung für IS und andere islamistische Gruppen in Syrien über die Türkei eingestellt wird, und bis vor kurzem hat die türkische Regierung sich ja sogar geweigert, IS als Terrororganisation einzustufen. Das muss man sich mal vorstellen. Hier spielt Ankara ein wirklich ganz schwieriges doppeltes Spiel und da muss der Druck aus Berlin erhöht werden.
    Heinemann: Gleichzeitig nimmt die Türkei sehr, sehr viele Flüchtlinge auf.
    Van Aken: Ja natürlich! Das muss man auch anerkennen. Aber es wäre wahrscheinlich zum Beispiel in den letzten Tagen bei der Stadt Kobani zu sehr viel weniger Flüchtlingen gekommen, wenn es dort nicht immer wieder die Beschränkungen durch die Türkei gegeben hätte, wenn nicht die gesamte Region, die kurdische Region im Norden Syriens unter diesem Druck des Embargos durch die Türkei wirklich fast in die Knie gezwungen worden wäre. Die Situation wäre wahrscheinlich leichter, wenn die Türkei nicht eine solche schwierige Politik machen würde.
    Heinemann: Jan van Aken, Außen- und Verteidigungspolitiker der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, direkt aus der nordirakisch-kurdischen Stadt Erbil. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Van Aken: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.