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Nordkorea und die USA
"Das Risiko eines Missverständnisses ist sehr ernst"

"Worte können einschlagen wie eine Bombe": Die Politikwissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller warnt vor einem Missverständnis zwischen Nordkorea und den USA. Die Präsidenten beider Länder seien "nicht zimperlich" in ihrer Wortwahl und ein Krieg hätte "unvorstellbare Folgen", sagte die US-Expertin im DLF.

Constanze Stelzenmüller im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.04.2017
    Kim Jong-un kniet bei der Überwachung eine Militärübung.
    Kim Jong-un gilt als ähnlich unberechenbar wie US-Präsident Donald Trump. (dpa / picture alliance)
    Sandra Schulz: Was meint US-Vizepräsient Mike Pence mit der Ankündigung, es lägen alle Optionen auf dem Tisch? Ist das die Androhung oder die Ankündigung eines Präventivschlags?
    Constanze Stelzenmüller: Da muss man ganz vorsichtig sein. Es ist mit Sicherheit eine Androhung einer militärischen Option. Ob eine solche Option so weit gehen würde, einen Präemptivschlag oder einen Präventivschlag miteinzubeziehen, ist eine ganz andere Frage, das ist, glaube ich, wirklich Spekulation zurzeit, aber ein Militärschlag wäre schon beunruhigend genug, selbst wenn es nur die Reaktion wäre auf einen nordkoreanischen Schlag. Und der Kollege Markus Pindur hat ganz richtig gesagt, dass hinter dieser sehr ruppigen, markigen Wortwahl – sowohl des Präsidenten als auch seines Vize – doch eine relativ austarierte, kalkulierte Diplomatie liegt, also den Druck vor allen Dingen auf China, um wiederum Nordkorea zu beeinflussen.
    Schulz: Ja, erklären Sie uns dann noch mal die Zwischentöne zwischen militärischer Option und Präventivschlag!
    Stelzenmüller: Ja, ein Präventivschlag würde einfach heißen, dass man zuschlägt, bevor Nordkorea selbst eine Atombombe auf den Weg gesetzt hat. Das wäre eigentlich unvorstellbar, es sei denn, so was passiert als Resultat eines strategischen Fehlkalküls oder eines Missverständnisses. Und ich glaube, das ist das Risiko, vor dem die meisten Beobachter jetzt Angst haben, dass die Nordkoreaner, deren Rationalität offensichtlich auch sehr bedingt ist, möglicherweise so tun als ob und dann eine amerikanische Gegenreaktion erfolgt aufgrund eines Missverständnisses.
    Die Politikwissenschaftlerin und US-Expertin Constanze Stelzenmüller
    Die Politikwissenschaftlerin und US-Expertin Constanze Stelzenmüller (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Schulz: Und da ist Präventivschlag eigentlich auch ein Euphemismus. Dieses Szenario ist ja gehandelt worden in den US-Medien, wir sprechen dann eigentlich über Krieg.
    "Ein Krieg mit unvorstellbaren Folgen"
    Stelzenmüller: Richtig, natürlich. Ein Krieg mit unvorstellbaren Folgen. Man muss auch sagen, wir reden hier nicht notwendigerweise von einem Schlag in Richtung Amerika. Es ist bisher, obwohl die Nordkoreaner spaltbares Material haben für 20 bis 25 atomare Sprengköpfe, ihnen noch nie gelungen, Trägerraketen für ein so weit entferntes Ziel zu entwickeln.
    Sehr wohl sind aber die südkoreanische Hauptstadt Seoul und die japanische Hauptstadt Tokio in Reichweite, existieren da koreanische Raketen, und die große Sorge wäre, dass Nordkorea, dass Pjöngjang einen Angriff auf eine dieser Hauptstädte unternimmt.
    Schulz: So, und jetzt spricht Mike Pence ja noch mal davon, dass die USA alles probieren mit friedlichen Mitteln und ihre Hoffnung natürlich auch darauf legen zu probieren und zu erreichen auch, dass Pjöngjang Abstand nimmt von seinem Atomprogramm, und da gehen die Blicke auf China. Das ist ja ein Land, das US-Präsident Donald Trump erst mal düpiert hatte nach seinem Amtsantritt, indem er die Chinapolitik infrage gestellt hat. Da steuert er jetzt um?
    Stelzenmüller: Na ja, es ist ja schon bei dem Gipfel zwischen Trump und Xi Jinping auf dem Anwesen von Trump in Florida, Mar-a-Lago, deutlich geworden, dass die beiden versucht haben, sich einander anzunähern, dass auch nach dieser doch sehr aggressiven Wortwahl von Trump dann das Gespräch sehr viel freundlicher war. Und das Interessante an dieser Situation ist, dass damit sich das Weiße Haus und dieser Präsident sich eigentlich in eine Abhängigkeit von den Chinesen begeben, wobei die große Frage für alle Beobachter ist, wie weit die Chinesen wirklich Einfluss auf Nordkorea haben. Das ist nach der Einschätzung der meisten Experten, und man muss, glaube ich, sehr viel wissen über die chinesische Innenpolitik und auch nordkoreanische Innenpolitik, um das genau/genauer beurteilen zu können, ist das eine sehr offene Frage.
    Es ist ja schließlich so, dass das seit mindestens zwei, drei Jahrzehnten die Amerikaner und die Chinesen versuchen, auf Nordkorea einzuwirken mithilfe von Nahrungsmittelunterstützung, mithilfe von Deals. Also man hat angeboten, ihnen Reaktoren zu bauen dafür, dass sie ihr atomares Programm stoppen, und im Grunde genommen haben die Nordkoreaner immer wieder gezeigt, dass sie nicht willens sind, mit sich handeln zu lassen. Das heißt, eigentlich haben weder China noch Amerika wirklich glaubwürdige friedliche Optionen zu diesem Zeitpunkt, es sei denn, die Chinesen haben noch eine Möglichkeit, von der wir jetzt noch nichts wissen.
    Schulz: Und was dann?
    "Beide in der Wortwahl nicht zimperlich"
    Stelzenmüller: Tja! Ich glaube, dass das Risiko einer strategischen Fehlkalkulation, also eines Missverständnisses zwischen Washington und Pjöngjang sehr ernst zu nehmen ist, weil beide – sowohl Trump als auch Kim Jong-un – in der Wortwahl nicht zimperlich sind, und das muss uns große Sorgen machen. Wenn wir dagegen davon ausgehen, dass Rationalität einkehrt … hier müssen, glaube ich, beide Seiten erkennen, dass Krieg eine Katastrophe wäre für die Region, für beide Länder, und dass man sich deshalb auf ein wie auch immer geartetes … eine Auseinandersetzung, eine Art von Deal einlassen muss, und sei es nur in Form eines Tolerierens dessen und eine Unterstützung weiterhin von Nordkorea zum Beispiel mit Nahrungsmittelhilfen. Es ist eine sehr missliche Lage, aber im Grunde genommen sehe ich keine besseren Optionen.
    Schulz: Dieses Tolerieren, dieses Zuschauen, ist das eine Option für die USA, während Pjöngjang an den Möglichkeiten, an den Raketen bastelt, eben Langstreckendistanzen auch überbrücken zu können?
    Stelzenmüller: Na ja, wir haben ja gesehen, dass der neuerliche Raketentest von diesem Wochenende gescheitert ist. Die Rakete ist sehr schnell zu Boden gefallen, und hier in Washington sind Andeutungen gemacht worden, dass das daran lag, dass die Amerikaner imstande waren, mit elektronischen Mitteln, also mit Cyberkriegsführung, dieses Funktionieren der Rakete zu verhindern. Das ist möglich, dass das auch genau so stattgefunden hat, es ist allerdings auch möglich, dass die Technik der Nordkoreaner weiterhin so schlecht ist, dass es ihnen schlicht nicht gelungen ist.
    Nordkorea provoziert immer wieder mit Raketentests.
    Nordkorea provoziert immer wieder mit Raketentests. (dpa / picture alliance)
    Wie dem auch sei: Ich glaube, da ist noch ein bisschen Zeit. Das Problem ist wirklich, dass dieses nordkoreanische Regime bisher über 20, 30 Jahre keine Bereitschaft gezeigt hat, mit sich handeln zu lassen, und nicht ersichtlich ist, dass die Chinesen wirklich eine Möglichkeit haben, auf Pjöngjang Einfluss zu nehmen. Ein Krieg in der Region wäre für China natürlich eine Katastrophe, aber ein nordkoreanisches Regime, das weiterhin so viel Unruhe stiftet, ist natürlich auch für Peking ein sehr, sehr schwieriger Faktor in der Region.
    Schulz: Und dann gibt's noch die Interpretation oder die wird in Washington auch gehandelt, dass es für Donald Trump zusätzlich auch dieses innenpolitische Kalkül durchaus gibt, dass er in Bedrängnis kommt, in wachsende Bedrängnis wegen dieser sogenannten Russland-Connection, wegen der Frage, welche Drähte es gegeben hat aus seinem Wahlkampfteam nach Russland, nach Moskau, und dass diese ganzen Aggressionen, dieses Säbelrasseln, dass das durchaus ein Ablenkungsmanöver sein könnte. Ist das eine Lesart, die Sie plausibel finden?
    "Worte können einschlagen wie eine Bombe"
    Stelzenmüller: Eigentlich nicht. Das hört man natürlich immer wieder, man hört es vor allen Dingen in europäischen und deutschen Medien, und ich glaube, dass man damit einfach unterschätzt, wie ernst und wie real dieses Risiko ist einer militärischen Auseinandersetzung zwischen USA und Nordkorea und China, die wirklich katastrophal wäre für die Region. Ich glaube auch, dass es noch so viele rationale Akteure in Washington gibt – im Verteidigungsministerium, im Weißen Haus und anderswo –, dass auf dieser Seite eine so dramatische, verantwortungslose Entscheidung verhindert werden würde. Ich kann mir das momentan schlicht nicht vorstellen.
    Trotzdem: Worte wiegen in diesen Auseinandersetzungen sehr viel, die können einschlagen wie eine Bombe, und dieser Präsident ist notorisch dafür, dass er mit Worten sehr sorglos umgeht. Und welche Auswirkungen das hat auf die Entscheidungsfindung in Pjöngjang, das können wir momentan nur raten.
    Schulz: Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.