Samstag, 11. Mai 2024

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Normales Strafverfahren gegen Friedman

Meurer: Das Strafverfahren gegen Michel Friedman ist rechtskräftig abgeschlossen. Das hat gestern jedenfalls sein Anwaltsbüro in Frankfurt mitgeteilt, hüllte sich aber ansonsten in Schweigen, genauso, wie die Berliner Staatsanwaltschaft. Mehrere Zeitungen präsentieren heute morgen dennoch Einzelheiten, wollen Details in Erfahrung gebracht haben, allen Berichten ist mehr oder weniger gemeinsam, dass Friedman eine Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen akzeptiert habe und damit wäre er, wenn es denn stimmt, vorbestraft. Michel Friedman und die deutsche Justiz - ich begrüße Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, guten Morgen, Herr Leyendecker.

08.07.2003
    Leyendecker: Guten Morgen.

    Meurer: Was wissen Sie über den Vorgang?

    Leyendecker: Es wird einen Strafbefehl geben und da die Staatsanwaltschaft auf eine Hauptverhandlung verzichtet, aber den Fall für wichtig hielt, ist davon auszugehen, dass es über 90 Tagessätzen liegt. Ansonsten braucht man nicht viel mehr an Spekulation. Man kann es ertragen, dass es heute Vormittag auf einer Pressekonferenz vorgetragen wird, was genau rausgekommen ist.

    Meurer: Heißt Strafbefehl zwingend, dass Michel Friedman vorbestraft ist?

    Leyendecker: Nein, das hängt von der Höhe der Tagessätze ab. Die Verteidigung hat sicherlich versucht, bis 90 Tagessätze zu erreichen, das ist sozusagen die Schallmauer. Aber wie man hört, liegt es darüber; unter 90 wäre halt nicht vorbestraft; über 90 ist er dann vorbestraft. Die Höchststrafe ist bei einem Strafbefehl, wenn er einen Verteidiger hat, was er hat, wie wir durch die Pizzageschichte gelernt haben, eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, die dann zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

    Meurer: Bedeutet dieser Deal, sage ich mal, zwischen Friedman und der Berliner Staatsanwaltschaft, dass sich kein Gericht mehr mit dieser Sache befassen wird?

    Leyendecker: Doch, ein Richter muss sich noch mal ansehen, ob es nicht doch eine öffentliche Hauptverhandlung geben kann. Nur im Vorfeld wird das normalerweise geklärt, das heißt, Richter betrachten das und sagen, ob sie finden, dass es eine Hauptverhandlung geben muss und dann wird es noch mal abgenickt und der Strafbefehl ist da.

    Meurer: Sie glauben also schon, dass ein Richter in Berlin einbezogen wird?

    Leyendecker: Ja, so etwas passiert immer im Einvernehmen mit jemanden. Dass eine Staatsanwaltschaft und eine Verteidigung sich auf etwas verständigen und dann ein Richter sagt: nein, jetzt muss es hier einen richtigen Prozess geben und eine Hauptverhandlung mit Zeugenaufmarsch und so weiter, das ist auszuschließen.

    Meurer: Was spricht denn aus Friedmans sicht dafür, dass er sich mit der Staatsanwaltschaft im Vorfeld geeinigt hat?

    Leyendecker: Das ist bei diesen Fällen ganz häufig, also da, wo Drogenerwerb eine Rolle spielt und wo die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass sie es in der Hauptverhandlung auch mit Zeugen belegen kann, ist eigentlich Strafbefehl das Übliche, dass man sagt, man will diese öffentliche Aufmerksamkeit nicht und sich einverstanden erklärt, die Anschuldigungen sind so, dass man fürchten muss, dass man in der Hauptverhandlung verurteilt werden kann. Und dann einigt man sich. Das passiert jeden Tag hundertfach, im Fall Friedman bedurfte es eben einer großen Aufmerksamkeit, um zu sehen, wie es normal ist.

    Meurer: Denken Sie, Friedman hatte sozusagen das mahnende Beispiel von Christoph Daum vor Augen, der über 30 Prozesstage vor Gericht stand?

    Leyendecker: Der Fall Daum ist noch mal anders, das ist ja der Fall einer Verfolgungswut durch deutsche Staatsanwälte. Der war in Koblenz gelandet, eine der härtesten Staatanwaltschaften. Es gab früher immer einen Prominentenbonus. Es gibt bei ein paar Staatsanwaltschaften in Deutschland, dazu gehören die Koblenzer auch, einen Prominentenmalus, das heißt: wer prominent ist, muss mehr fürchten. Und die haben mit Macht ein Verfahren getrieben, das ist eigentlich ein richtiger Justizskandal in Koblenz gewesen ist, fand ich. Dagegen ist dieses Verfahren, wie es in Berlin gelaufen ist, mehr eine Medienfrage. Was die Staatsanwaltschaft da gemacht hat, war in Ordnung, die Verteidigung hat ein bisschen Pech gehabt mit dem Pizzabäcker. Aber was die Medien an Spekulationen geleistet haben, egal ob jetzt Friedman-Verteidiger oder Friedman-Gegner, das kann man in Seminaren der Kommunikationswissenschaftler beschreiben und das sollte man auch. Denn es ist auch wahnsinnig viel schiefgelaufen! Es wurde zum Teil völlig falsch der Staatsanwaltschaft angelastet, weil viele der Geschichten, die von Medienleuten kamen und gestreut wurden, nicht stimmten.

    Meurer: Die Berichterstattung in den Medien über den Fall Michel Friedman, schwang da vereinzelt Antisemitismus mit, wie einzelne vorwerfen?

    Leyendecker: Die, die ihn verteidigen wollten, haben Antisemitismus gesehen, weil sie den immer sehen. Ich fand das an keiner Stelle. Friedman polarisiert ja stark und ich glaube, dass die Zahl seiner Gegner im Publikum größer ist als die Zahl seiner Freunde. Das hängt damit zusammen, dass er wie ein Inquisitor im Fernsehen auftritt. Ich mag den Stil, anderen mögen es überhaupt nicht, dass man so agiert. Von daher polarisiert er ganz enorm und viele fanden es ganz schön, dass dieser Friedman, der da immer so wortgewaltig auftritt, so abgewatscht wird. Aber das hatte mit Philosemitismus oder Antisemitismus gar nichts zu tun, sondern mehr damit, dass heutzutage Leute, die auf einer öffentlichen Bühne sind, wirklich durch alle Medien, auch die seriösen, gezerrt werden und da bedarf es auch gar nicht viel, dass man da vorgeführt wird. Das war mehr das Ereignis als die Frage, ob braun oder nicht braun.

    Meurer: Michel Friedman geht heute Vormittag in eigener Sache vor die Presse. Das war Hans Leyendecker, Kollege von der Süddeutschen Zeitung.

    Link: Interview als RealAudio