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Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Deutschland

Liminski: Die Aussöhnung mit Deutschland ist nach 16 Monaten der Funkstille und der Ignorierung nun vollzogen oder bleibt ein Rest? Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag Volker Rühe. Herr Rühe, sind die transatlantischen Verstimmungen nun ausgeräumt oder bleibt nicht doch ein Stück Entfremdung?

    Rühe: Versöhnung und Entfremdung, das sind starke Begriffe. Eigentlich ist es so, dass die beiden jetzt wieder miteinander arbeiten können, der Präsident und der Bundeskanzler, und das schulden sie auch ihren beiden Ländern, denn die bisherige Situation war unzumutbar. Das heißt, sie haben noch keine großen Probleme gelöst, aber sie arbeiten jetzt wieder so miteinander, dass sie gemeinsam Probleme lösen können, so würde ich das sehen - ganz nüchtern.

    Liminski: Stehen die USA nicht ein wenig in der Gefahr der imperialen Überdehnung, brauchen sie die Europäer nicht doch für die Befriedung der von Diktaturen befreiten Gebiete Afghanistan und Irak? Ist also nicht lautere Freundschaft, sondern eher Pragmatismus der Macht der Grund für die Aussöhnung?

    Rühe: Ja sicher. In der Politik zählen Interessen. Dafür ist der Kanzler gewählt, die Interessen unseres Landes wahrzunehmen. Der amerikanische Präsident nimmt die Interessen seines Landes wahr. Man muss versuchen, das gemeinsam zu machen. Eigentlich haben beide in der Vergangenheit den Fehler gemacht, unilateral vorzugehen, also zu wenig andere einzubeziehen. Bei Bush ist das klar, er hat den Krieg gewonnen, aber nicht den Frieden. Ich glaube, dass in Amerika die Einsicht wächst, dass eben doch die Gemeinsamkeit im Bündnis, der Versuch, Zeit aufzuwenden, um zu gemeinsamen Positionen zu kommen, unglaublich wichtig ist. Und das Problem ist eben: Schröder hat natürlich auch unilateral gehandelt, indem er ganz frühzeitig einseitig erklärt hat, was immer der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschließt, Deutschland wird sich daran nicht beteiligen. Ich denke, beide haben daraus gelernt, wie wichtig das Bemühen um Gemeinsamkeit ist. Die Zeit muss man sich nehmen und das gibt dann zusätzliche Stärke.

    Liminski: Mit Blick in die Zukunft: Hat die Verstimmung nicht auch gezeigt, dass der geistige Graben tiefer ist als vermutet, dass wir manche Haltungen und Denkweisen der Amerikaner gar nicht mehr verstehen?

    Rühe: Ja, das ist richtig. Wenn man genau hinschaut, dann ist das nicht ein Problem der Regierungen in Europa und in Amerika. In Europa haben Regierungen wie die französische und die deutsche gegen den Krieg Front gemacht, andere, die Engländer, die Spanier, die Italiener, die Polen, haben die Amerikaner unterstützt, aber der Bevölkerung in allen europäischen Ländern war dieser Krieg fremd und sie hat ihn nicht unterstützt. Wir haben eine strategische Lücke mitten durch den Atlantik, was die Wahrnehmung der Bedrohung nach dem 11. November angeht. Ich glaube, das wird noch zu wenig gesehen. Man muss eine strategische Debatte führen: Was sind die neuen Gefahren und wie können wir denen gemeinsam begegnen? Und was Amerika angeht, herrscht bei vielen die Wahrnehmung, die können vor lauter Stärke nicht gehen. Den Eindruck hat man ja gelegentlich auch. Aber das eigentliche Geheimnis der amerikanischen Politik ist die neue Verwundbarkeit. Eher die Verwundbarkeit noch als die enorme Stärke, die sie haben, denn sie haben das erste Mal "homeland defence", Verteidigung des eigenen Landes, das heißt, sie kannten das in ihrer ganzen Geschichte nicht. Man muss deswegen nicht alles richtig finden, was die Amerikaner machen, aber wenn man das nicht begreift, dann bricht eben dieser transatlantische Dialog zusammen. Und zwischen den Bevölkerungen ist dieser Graben. Das Verhalten einzelner Regierungen ist nicht entscheidend und daran muss man arbeiten, denn es gibt riesige gemeinsame Herausforderungen im 21. Jahrhundert, was der Ost-West-Konflikt im letzen Jahrhundert war, ist, glaube ich, europäisch-amerikanische Zusammenarbeit bei der überaus gefährlichen Lage im Nahen und Mittleren Osten.

    Liminski: Bevor wir dazu kommen, Sie sagten Bedrohung und Stärke, da unterscheiden wir uns. Bush meint, wir seien Pazifisten. Sie kennen nun das amerikanische Denken, ist das ein Synonym für Feiglinge oder für Leute mit historisch gebrochenem Rückrat?

    Rühe: Ich halte das schlicht für falsch und es ist auch nicht gut beraten, solche Formulierungen zu verwenden. Ich denke, dass ihm der Kanzler auch entgegen getreten ist. Wir haben 40 Jahre mit unseren amerikanischen Verbündeten zusammen mit einer hoch gerüsteten Bundeswehr klar gemacht, dass wir notfalls für die Freiheit kämpfen würden, und zwar in unserem eigenen Lande, das war kein Pazifismus. Und wir haben auch in den letzten zehn Jahren wichtige Auslandseinsätze durchgeführt, das war auch kein Pazifismus. Unsere Hemmschwelle ist größer aufgrund der deutschen Geschichte, wenn die Situation eintritt, dass man mit diplomatischen Mitteln nicht mehr weiter kommt. Aber Deutschland insgesamt Pazifismus vorzuwerfen, das ist neben der Sache.

    Liminski: Das Stichwort Naher Osten, das Sie eben genannt haben, im Auswärtigen Amt gehörte es in den letzten Jahrzehnten zum allgemeinen Erkenntnisgut der Diplomaten, dass Europa nur eine komplementäre Rolle im Nahen und Mittleren Osten spielen könne, die müsse aber auch gespielt werden. Sehen Sie hier Defizite auf europäischer Seite?

    Rühe: Die sehe ich und das bedeutet keinen Vorwurf an Einzelne. Ich möchte es noch mal sagen, die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde durch den Ost-West-Konflikt, die Teilung Europas und die Teilung Deutschlands bestimmt. Das alles ist jetzt auf einer guten Schiene mit der Öffnung der Europäischen Union. Die Arbeiten im Inneren der Europäischen Union und die Öffnung der NATO, das ist faszinierend, dabei ist aber längst nicht alles geleistet, es ist aber auf einer richtigen Schiene, auf einem richtigen Gleis. Und mein Eindruck ist, dass das, was der Ost-West-Konflikt an existenziellen Gefahren für uns bedeutete im letzten Jahrhundert, das kann in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten sein, Irak, Palästina, Iran. Und deswegen muss Deutschland sein Gewicht hier stärker einbringen. Das kann man nicht den Mittelmeeranrainern in erster Linie überlassen, das ist eine gesamteuropäische Aufgabe: Deutschland muss hier auch eine wichtige Rolle spielen, der Außenminister hat es zu einem guten Teil in den letzten Jahren schon begonnen, und in diesem Zusammenhang, ich war grade in der Türkei, ist natürlich der wichtigste Partner die Türkei. Und eine Türkei auf dem Wege nach Europa, die dann Kraft gewinnt, um stabilisierend in dieser Region sich auszuwirken, das ist ein ganz wichtiger Partner Europas. Und dafür fehlt vielfach noch das Verständnis, weil man zu sehr nach innen schaut in Europa und nicht die weltpolitische Aufgabe sieht, den Nahen Osten mit zu stabilisieren. Ich glaube im Übrigen, das europäisch-amerikanische Verhältnis wird sich auch dort entscheiden. Dort wird es sich entscheiden, wie gut dieses Verhältnis, wie effektiv, wie strategisch bedeutend dieses Verhältnis in diesem Jahrhundert sein wird.

    Liminski: Wie sehen Sie denn die Türkei-Frage? Ist der Beitritt noch abzuwenden?

    Rühe: Sie sagen das ja so negativ. Die Türkei hat die Perspektive der Mitgliedschaft. Das haben wir in der Regierung Helmuth Kohl immer wieder auf den Gipfeln beschlossen, und ich habe nicht die Absicht, davon abzuweichen. Wir haben auch gesagt, sie kriegt keinen Rabatt, das heißt, sie muss genau dieselben Bedingungen erfüllen wie andere Staaten auch. Ich bleibe bei dieser Haltung und kann niemandem empfehlen, davon abzuweichen. Aber es wird auch nicht von einer Partei oder einem Land entschieden. Ganz entscheidend wird der Bericht der Europäischen Kommission Ende nächsten Jahres sein. Es wird jetzt schon im November einen Fortschrittsbericht geben, aber Ende nächsten Jahres muss die Europäische Kommission mit großer Objektivität sagen, ob die Türkei die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen erfüllt. Das ist ja noch ein Prozess von vielen Jahren während der Verhandlungen, ob sie die politischen Bedingung erfüllt, so wie alle anderen auch. Und wenn sie das tut, sie hat Schritte im Inneren in diese Richtung unternommen, dann werden auch die Verhandlungen 2005 beginnen, davon bin ich fest überzeugt.

    Liminski: Es gibt einen Link zwischen Türkei und Irak, denn es gibt auch Gedankenspiele, vielleicht auch mehr als das Hoffnungen und Pläne, den Irak als Föderation neu zu bilden, und die Kurden im Norden sollten in diesem Sinne ein eigenes Bundesland bilden. Glauben Sie, Herr Rühe, Sie waren ja auch grade in der Türkei, dass die Türken davon zu überzeugen sind und dass sie selbst den Kurden in der Türkei Autonomierechte einräumen werden?

    Rühe: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Ich war auch fünf Tage in den kurdischen Gebieten von Südost-Anatolien, in Diyarbakir, in Batman und Urfa und ich bin in der Tat davon überzeugt, der Irak wird nur zusammenhalten, wenn er nicht so ein Zentralstaat ist wie Frankreich und die Türkei. Die Türkei ist übrigens ganz ähnlich organisiert, die Gouverneure wie die Präfekten in Frankreich, ein Zentralstaat. Übrigens, das deutsche Modell kann man nicht übertragen. Viele deutsche Länder sind älter als Deutschland, wenn Sie mal an Bayern denken oder an Hamburg oder an viele andere mehr. Das ist dort nicht der Fall. Aber der Irak muss zusammenhalten, aber nicht als ein total zentralisierter Staat, und deswegen wird es Spielräume geben, regionale Selbstbestimmungsspielräume für die Schiiten im Süden, für die Kurden, Turkmenen in Norden und die Sunniten in der Mitte. Ich bin überzeugt, wenn das gut funktioniert, wenn die Iraker hier eine überzeugende Verfassung schreiben, dass sich das dann auch auf den Zentralstaat Türkei auswirken kann, nicht durch Separatismus. Den kurdischen Staat darf und wird es nicht geben, aber mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Kurden in den Regionen, in denen sie sind. Wenn das ein geordneter Prozess ist, dann ist das gut. Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass eine Türkei, die auf dem Wege nach Europa ist, das Beste für die Kurden ist und dass auf diese Weise ihre Rechte gesichert werden und sie auch mehr Spielraum für Kultur und Sprache innerhalb der Türkei bekommen.

    Liminski: Der transatlantische Graben ist wieder zugeschüttet. Das war Volker Rühe, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, besten Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio