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Norwegen: Buchmessen-Gastland 2019
Ein Hauch literarischer Exotik 

Ein Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse ist mit enormen organisatorischen und finanziellen Verpflichtungen verbunden. Für einen nachhaltigen Erfolg müssen nicht nur die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Auch die Literatur muss international und lokal zugleich sein.

Von Miriam Zeh |
Flagge Norwegen
Norwegen ist das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2019 (picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
Dem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse kommt jedes Jahr eine besondere Aufmerksamkeit zu. Rund um die weltweit wichtigste Handelsschau der Branche finden Lesungen, Theateraufführungen, Konzerte und Ausstellungen mit einem jährlich wechselnden Länderschwerpunkt statt. Und auch im Herbstprogramm der deutschsprachigen Verlage tauchen ungewöhnlich viele Titel aus dem Gastland oder der Gastregion auf. Im vergangenen Jahr war Georgien Ehrengast, im kommenden wird es Kanada sein und 2023 – auch das steht bereits fest – hat die italienische Literatur ihren großen Auftritt. In diesem Jahr gebührt Norwegen die Ehre. Die Vor- und Nachbereitungen für einen solchen Auftritt ziehen sich über mehrere Jahre, erklärt Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse:
"Uns ist immer sehr wichtig, dass man einen Gastlandauftritt nicht als Event versteht, sondern als Projekt. Das heißt, im Vorfeld arbeiten wir schon drei Jahre auf den Auftritt hin. Und die Übersetzungsförderung ist der wichtigste Bestandteil davon. Wie viele Bücher werden ins Deutsche übersetzt in diesem Zeitraum? Wie viele Lizenzen werden verkauft? Und wir verfolgen das dann auch immer in den Jahren danach, das heißt, das Ganze dauert in der Regel sieben bis acht Jahre."
Planen und zahlen müssen die Gastländer
Jedes Jahr soll eine andere Nationalliteratur nachhaltig sichtbarer und erfolgreicher werden. Wie gut das allerdings gelingt, hängt in großem Maß vom Gastland selbst ab. Die Frankfurter Buchmesse stellt zwar ihre Infrastruktur zur Verfügung. Die Organisation und die Finanzierung des Auftritts liegen allerdings in der Verantwortung des Ehrengasts.
Juergen Boes: "Erstmal ist es ein großes finanzielles Engagement In der Regel sind das zwischen 25 Mio. Euro, die investiert werden über einen Zeitraum von 3 bis 4 Jahren."
Einen Zusammenhang zwischen Budget und Erfolg eines Gastlandauftritts sieht Buchmessen-Direktor Juergen Boos allerdings nicht, und verweist auf Island, den Ehrengast von 2011.
Island hatte als Land mit etwas über 300.000 Einwohnern, hatten 3 Mio. Euro Budget für den Gesamtauftritt, über mehrere Jahre hin gesehen. Und durch die Wirtschaftskrise haben die die Hälfte des Budgets verloren und plötzlich hat jeder über Island gesprochen und jeder ist nach Island gereist, obwohl das Budget halt gar kein Vergleich hatte zum Budget von China. Also einen Zusammenhang zwischen Geld gibt es nicht.
Zukunft des Georgian National Book Centers
Hatten beim ohnehin umstrittenen Gastlandauftritt der Volksrepublik China 2009 politische Auseinandersetzungen den Kulturaustausch erschwert, zeigt sich anhand des Ehrengasts aus dem letzten Jahr, wie wichtig nicht nur politische, sondern auch organisatorische Kontinuität ist. Für Georgien hatte das Georgian National Book Center den Gastlandauftritt koordiniert. Erst 2014 wurde es vom georgischen Kultusministerium gegründet, auch anlässlich der Kooperation mit Frankfurt, die eine solche unabhängige Institution voraussetzt. Nun, nur ein Jahr später, soll das Georgian National Book Center bereits organisatorisch aufgelöst und mit dem Schriftstellerhaus in Tiflis zu in einer "Nationalen Literaturstiftung" zusammengelegt werden. Mit welchen Konsequenzen das verbunden sein wird, ob mit Budgetkürzungen oder personellen Umbesetzungen, weiß bislang nicht einmal die Direktorin des Centers Medea Metreveli. Sie bedauert aber die Entscheidung des Ministeriums und fürchtet um die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit. Damit ist sie nicht allein. Mit einem offenen Brief an den georgischen Minister für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport protestierten auch die Kurt-Wolff-Stiftung und Vertreter namhafter deutscher Verlage von Hanser bis Suhrkamp gegen die drohende Auflösung des Georgian National Book Centers.
Nachtrag: Die Zusammenlegung des Georgia National Book Center und des Literaturhauses Tiflis zu einer "Nationalen Literaturstiftung" ist mittlerweile vollzogen worden. Beide früheren Leiterinnen Medea Metreveli und Nata Lomouri haben die Institution daraufhin verlassen. Zuletzt hatte auch der georgische Pen-Club an den georgischen Premierminister Mamuka Bachtadse appelliert, die "hektische" und "undurchdachte" Entscheidung zurückzunehmen - allerdings ohne Erfolg.
Beständige Förderungsstrukturen in Norwegen
Unwahrscheinlich ist, dass dem diesjährigen Gastland Ähnliches blüht. Im Gegensatz zu Georgien, gibt es in Norwegen seit über 40 Jahren eine Organisation zur Förderung der eigenen Literatur im Ausland. Sie heißt Norwegian Literature Abroad, kurz: NORLA. Direktorin Margit Walsø erklärt:
"Die Gründung ging 1978 auf eine Initiative der Buchindustrie zurück. Man beschloss, dass es an der Zeit sei, die norwegische Literatur verstärkt auch international zu präsentieren. Deshalb wurde NORLA aufgebaut, zunächst nur von einer Person, Kristin Brudewol, der Gründerin."
Während einige Gastländer gerade durch ihre Andersartigkeit bestechen, ist die norwegische Kultur seit Jahrhunderten mit der deutschen verbunden. Edvard Grieg studierte in Leipzig und Edvard Munch lebte um die Jahrhundertwende in Berlin. In München entstanden einige von Henrik Ibsens berühmtesten Dramen wie "Nora" oder "Hedda Gabler". Nach der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges entwickelten sich bald wieder enge wirtschaftliche und politische Beziehungen. Und für die jüngste gemeinsame Literaturgeschichte beider Länder legte Jostein Gaarder in den 1990er Jahren den Grundstein. "Sophies Welt" verkaufte sich in Deutschland über zwei Millionen Mal und war das erste Jugendbuch, das in Deutschland je auf einer Bestsellerliste stand.
Weltliteratur zwischen Anpassung und Eigenheiten
Doch nicht nur in Deutschland ist norwegische Literatur erfolgreich. Sie hat drei Literaturnobelpreisträger hervorgebracht und gehört zu den 17 meistübersetzen Sprachen der Welt. Karl Ove Knausgård, Jo Nesbø und Maja Lunde sind internationale Literaturstars. Nach Meinung von NORLA-Direktorin Margit Walsø ist diese norwegische Literatur nicht erfolgreich, weil sie sich an den internationalen Markt angepasst hat – im Gegenteil.
"Bücher, die in vielen Ländern erfolgreich sind, müssen natürlich bestimmte universelle Qualitäten haben. Gleichzeitig hat internationale Literatur aber oft auch eine Handlung, die einen starken lokalen Bezug hat und zum Beispiel aus verschiedenen Teilen Norwegens stammen."
Für den Erfolg eines Gastlandauftritts müssen also mehrere Dinge zusammenkommen: stabile politische Strukturen, ein nachhaltiges organisatorisches und finanzielles Engagement des Gastlandes und eine Literatur, die noch nicht zu bekannt ist, die noch einen Hauch von Exotik versprüht, aber trotzdem international anschlussfähig ist.
Europäisch geprägte Gastlandliste bis 2023
Diese internationale Anschlussfähigkeit definiert dabei vor allem der westlich-europäische Kulturkreis. Auch wenn Buchmessen-Direktor Juergen Boos betont, dass sein Team von der Frankfurter Buchmesse einem eigenen Kriterienkatalog bei der Gastlandauswahl folgen.
"Wenn wir ein kleines Land haben, dann wird das nächste sicher ein großes Land, wenn wir in Europa sind, dann werden wir nach Afrika oder Asien gehen im nächsten Jahr. Also wir haben auch Wünsche, was wir gerne machen würden. Also ich würde auch gern Länder jetzt zum Beispiel machen, an die man nicht sofort mit Literatur denkt. Wir sprechen im Moment mit den Philippinen zum Beispiel. Oder wir sprechen mit Vietnam. Aber wir haben dann auch wieder Gespräche mit ganz kleinen Ländern im Baltikum. Also das ist eine ganz, ganz wilde Liste."
Bis 2023 liest die Liste der Frankfurter Ehrengäste jedoch überaus westlich. Asiatische oder afrikanische Länder tauchen kaum auf. Oder anders formuliert: Die Liste möglicher Buchmessen-Gastländer ist lang. Im Rahmen des diesjährigen Gastlandauftritts wird Mette Marit Kronprinzessin von Norwegen übrigens mit einem Literaturzug durch Deutschland fahren. Ein wenig Eventcharakter bekommt das Ganze also doch. Auch wenn man Tomas Espedal, Dag Solstad und Linn Ullmann natürlich nur nachhaltig begeisterte Leserinnen und Leser wünschen kann.