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Nostalgie
Belgien hat die letzte Telefonzelle abgebaut

Nicht mehr genutzt, Nicht mehr rentabel: In vielen Ländern Europas verschwinden die öffentlichen Telefonzellen. Und das weitgehend unbemerkt. In Belgien ist jetzt die letzte öffentliche Telefonzelle abgebaut worden, denn kaum einer wollte mehr Münzen einwerfen. Trotzdem ist die Trauer nun groß.

Von Andreas Meyer-Feist |
    Eine einsame Telefonzelle im Hohen Venn in Belgien im Jahr 2008.
    Einfach verschwunden. Eine einsame Telefonzelle im Hohen Venn in Belgien im Jahr 2008. (Imago / Horst Galuschka)
    Es war nicht immer leicht reinzukommen. Die Türen klemmten immer. Wenn man drin war, war alles gut: allein schon das Wählen. Wer telefonieren wollte, musste eine echte, lange Nummer parat haben und auf das silberne Zahlenfeld tippen: großen Tasten, sattes Klicken. Einen schweren schwarzen Telefonhörer gab's auch, wenn er nicht wieder abgeschnitten war.
    Längst vergessen: Das Phänomen der kommunikationsbesessenen Warteschlange, die netten Zeitgenossen, die draußen im Regen standen, während man drinnen lange telefonierte. Manchmal klopfte jemand ungeduldig an die Scheibe (Echtglas, bruchsicher): "C'est une cabine publique!". Und dann diese Klapptür. Man wusste nie: geht sie jemals wieder auf, wenn man drin war. Vor einigen Wochen wurde die letzte Zelle in Antwerpen abgebaut - und Belgien versinkt in einer seltsam-nostalgischen Stimmung.
    Die Zelle war ein Teil der belgischen Alltagskultur, bis zuletzt: Refugium der Frischverliebten (wenn sie nicht zu muffig war), Trutzburg der Obdachlosen, Schirmersatz bei Regengüssen. Manchmal war die Zelle sogar ein Tatort. Früher schrieben belgische Zeitungen häufiger von Telefonzellen-Schlägereien: Einer war drin, einer war draußen, dem einen wurde das Warten zu lang ...
    "Man telefoniert doch mit dem Handy", sagen die Brüsseler, die auf leere Flächen schauen, an denen Unkraut wuchert. Da standen die letzten: Typ offene Bauweise "La cabine de la gloire", die Kabine der Herrlichkeit: rund, türlos zum Mithören für alle. Der Chic der 60er-Jahre in Plexiglas geformt. Daneben die Variante, die Geheimnisse wahren konnte: geschlossen mit zweiteiliger Falttür und Holzablage. Typ: "La Cabine Confidence". "Ein Souvenir aus vergangenen Zeiten. Ich werde sie vermissen", sagt eine Brüsslerin am Gare du Midi. Und ihr Begleiter: "Nostalgie war das nicht. Sinnvoll früher nicht nur zum Telefonieren. Ich habe da nie meine Freundin mit reingenommen, war nie sehr sauber und da hing oft das Parfüm von anderen Leuten drin."
    Jetzt stehen die Brüsseler um die leeren Flächen. Das letzte Mal in der Zelle? Wann war das? "Ich erinnere mich nicht, mein Akku war damals leer, jetzt halten die besser. Zehn Jahre vielleicht ..." - "Es muss was Wichtiges gewesen sein. Damals habe ich nur Wichtiges am Telefon erzählt. Vor 15, 20 Jahren."
    Dass es überhaupt noch so lange Telefonzellen in Belgien gab, liegt am belgischen Telekommunikationsgesetz. Dort wurde 1990 festgelegt: In jeder belgischen Gemeinde muss es mindestens ein Häuschen geben. So etwas zu ändern, ist in Belgien sehr schwierig. Sehr spät ist es gelungen.
    "Nur noch 14 Minuten wurde zuletzt in einer Zelle telefoniert, im Monat", erklärt Haroun Fenoux vom belgischen Telefonanbieter Belgacom. "Vor fast 20 Jahren waren es noch 16 Stunden. Eine Zelle in Ordnung zu halten, kostet 1.000 Euro im Jahr. Reparaturen sind teuer. Das alles hat sich nicht mehr rentiert."
    Also: keine Falttüren mehr, keine Münzen und Tasten. Jetzt gibt es in Belgien einen Telefonzellen-Friedhof. Ein idealer Ort für Fotografen auf Motivsuche. Einige Zellen wurden zu Kunstobjekten. Sie hatten Stil. Und ganz Belgien verfällt in die Erinnerungskultur der besonderen Art. Internet-Blogs sammeln die schönsten Zellen-Fotos, Zeitungen die besten Zellen-Geschichten, der belgische Fernsehsender RTBF hat der Zelle einen eigenen wunderbaren Web-Auftritt zum Durchklicken gewidmet. Da sprechen wir nicht mehr in der Zelle - die Zelle spricht mit uns. Sie wird den Belgiern am Ende doch fehlen.