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Notizen aus Berlin
Tag 3 - Wahrnehmung hin, Wahrnehmung her

Im Laufe eines Filmfestival-Lebens begegnet man so manch einer Filmfigur. Großes Vergnügen macht es, die eigene Irritation zu beobachten, wenn wenige Minuten nach dem Abspann die Darsteller in der Pressekonferenz auftauchen.

Von Maja Ellmenreich | 13.02.2016
    Schauspielerin Isabelle Huppert während der Pressekonferenz in Berlin, bei der sie ihren neuen Film "L'avenir" vorstellte.
    Schauspielerin Isabelle Huppert während der Pressekonferenz in Berlin, bei der sie ihren neuen Film "L'avenir" vorstellte. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Können wir uns in andere hineinversetzen?"Diese Frage steht zu Beginn des Filmes "L’avenir" über einer Klassenarbeit. Nur eine von zahlreichen philosophischen Fragen, die im Laufe des Wettbewerbsfilmes von Regisseurin Mia Hansen-Løve gestellt werden. Die Antwort der krakeligen Schülerschrift erfahren wir nicht; die der Berlinale ist eindeutig: Ja, wir können uns in andere hineinversetzen! Dutzende Identitäten flimmern im Laufe der Festspieltage über die Leinwände in der ganzen Stadt. Mal kann man mehr, mal weniger mitschwingen, -fühlen und –fürchten. Nicht selten trägt man das Personal eines Filmes noch ein wenig mit sich herum und fragt sich, wie es wohl weitergeht im Leben von Heinz, Sarah oder Rim?
    Großes Vergnügen macht es, die eigene Irritation zu beobachten, wenn wenige Minuten nach dem Abspann die Darsteller in der Pressekonferenz auftauchen. Schau mal einer an, aus Hedi ist ja ein richtiger Mann geworden! Nathalie sieht dagegen etwas blass um die Nase aus – vornehm, aber blass. Wie geht es ihr wohl geht? Die Scheidung müsste ja längst durchgestanden sein. Und Jaeden? Lebt der nicht inzwischen auf einem anderen Stern? Oder ist er zurückgekehrt, und wir müssen jeden Moment damit rechnen, dass seine Augen wieder zu leuchten beginnen und uns alle verhexen? Die Verwirrung dauert nicht länger als den Bruchteil einer Sekunde; dann schlägt das Hier und Jetzt wieder zu. Aber sie ist so großartig, dass ich glatt bereit wäre, Geld dafür zu zahlen. Den Preis für ein Kinoticket vielleicht?