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Notkredite für Griechenland
"Nur ein Bruchteil wird zurückgezahlt werden"

Griechenland hat nach Ansicht des Ökonomen Thomas Straubhaar strukturell einen so großen Rückstand, dass es sehr lange dauern wird, bis es zu den anderen europäischen Ländern aufschließen kann. "Wir werden in drei Jahren wieder da stehen, wo wir heute stehen", sagte Straubhaar im DLF.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Jasper Barenberg | 17.07.2015
    Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg
    Thomas Straubhaar auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2011. (imago/Reiner Zensen)
    Griechenland brauche jetzt sowohl Reformen im institutionellen Bereich, etwa im Steuerwesen, als auch finanzielle Hilfen, um wieder zu Wachstum zu kommen, sagte der Ökonom Thomas Straubhaar im DLF. Er würde deshalb, wenn er Abgeordneter wäre, "mit großen Bauchschmerzen" für weitere Hilfen für Athen stimmen. Denn es sei ausgeschlossen, "dass Griechenland in drei Jahren alles umgesetzt haben wird, was jetzt beschlossen wurde."
    Die im griechischen Parlament beschlossenen Steuererhöhungen würden sicher kein Wachstum generieren, auch Touristen würden dadurch nicht mehr Geld ausgeben, sagte Straubhaar. Aber bis die Steuererhöhungen "faktisch Realität werden, das wird noch sehr lange dauern", warnte Straubhaar. Absehbar sei auch, dass Griechenland seinen Schuldenberg niemals werde abtragen können, dass es "nur einen Bruchteil" werde zurückzahlen können. Ein Schuldenschnitt wäre in der jetzigen Situation vielleicht der falsche Ansatz, sagte Straubhaar, aber dass es zu einer Umschuldung kommen müsse, sei schon lange klar. "Gesichtswahrender und erfolgversprechender" sei es, die Laufzeiten zu verlängern und die Zinsen zu senken. "Bis Griechenland wieder ein normales Land wird, das wird eine Generation dauern."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Griechenland hat geliefert. Wie verlangt, hat das Parlament in Athen die ersten Reformen gebilligt, und jetzt scheint es so zu laufen wie auf dem EU-Gipfel vereinbart. Die Finanzminister der Eurogruppe versprechen Verhandlungen über weitere Hilfen, die EZB versorgt die griechischen Banken weiter mit Geld. Wie andere Parlamente in Europa, wird wohl auch der Bundestag heute mit großer Mehrheit zustimmen. Und doch ist die Skepsis allerorten mit Händen zu greifen, und die Zweifel, ob ESM und ESFM, ob Brückenfinanzierung und ELA-Kredite reichen werden, um Griechenland auf einen guten Weg zu bringen, ob das die richtigen Instrumente sind. Etwas Orientierung erhoffen wir uns von Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg, vielen noch ein Erinnerung aus seiner Zeit an der Spitze des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Nicht nur viele Politiker zweifeln ja, sondern man hat auch den Eindruck, dass in der Welt der Fachleute sich zwei Lager gebildet haben. Die einen sagen, ein drittes Hilfspaket gegen besonders strenge Auflagen könnte Griechenland auf einen guten Weg bringen. Die anderen sehen schwarz. Zu welcher Gruppe gehören Sie!
    Straubhaar: Ich gehöre eigentlich auch zu jenen, die sagen, es braucht beides als Wechselspiel. Einmal ganz sicher, dass Griechenland ein normaler, durchschnittlicher europäischer Staat wird, und das ist nur zu haben mit Reformen, vor allem auch im institutionellen Bereich, vor allem im Steuerwesen. Und im Gegenzug braucht Griechenland Wachstum, um aus dieser langen, langen Rezession herauszuwachsen. Und dafür gibt es Geld. Und ich glaube, dieses Paket – einmal muss Griechenland liefern, einmal müssen die Gläubiger liefern – halte ich unverändert für das einzig Richtige.
    Alle glauben, erpresst zu werden
    Barenberg: Wären Sie also Abgeordneter heute im Bundestag, Sie würden für Verhandlungen über das dritte Hilfsprogramm stimmen?
    Straubhaar: Also erstens bin ich sehr glücklich, dass ich als Ökonom sozusagen nur von außen hoffentlich gute Ratschläge geben kann und nicht in der Politik gefordert bin, diese unglaublich schwierige Entscheidung zu fällen, weil letztlich ja nicht nur Griechenland glaubt, erpresst zu werden, sondern genauso wird natürlich Deutschland, werden die Gläubiger und wird die Europäische Zentralbank erpresst. Und unter diesem Druck der Erpressung kluge Entscheidung als Politikerin treffen zu müssen, ist alles andere als einfach. Ich würde aber mit riesigen Bauchschmerzen und großer Unsicherheit heute auch zustimmen, ja.
    Barenberg: Denn Sie kennen ja auch das Gegenargument. Und das zentrale Gegenargument lautet ja, wenn beispielsweise die Mehrwertsteuer erhöht wird – gerade haben wir erfahren, dass das schon jetzt passieren wird –, dass dann die Wirtschaft, die ohnehin schon am Boden liegt, noch weiter abgewürgt, dass ein Wachstum daraus gar nicht entstehen kann.
    Straubhaar: Genau so ist es. Und vor allem eben in dieser schwierigen Phase Steuern zu erhöhen, wie immer diese Steuern aussehen, wird sicher nicht Wachstum jetzt generieren, sondern ganz im Gegenteil, auch die Touristinnen und Touristen, auch die Deutschen, die jetzt in Griechenland Urlaub machen werden, werden dann weniger Geld sozusagen in den Kreislauf abgeben können, wenn es alles teurer wird. Wobei man natürlich ganz vorsichtig sein muss: Diese Mehrwertsteuer ist jetzt mal im Parlament beschlossen worden. Bis so was umgesetzt wird, bis wirklich so was im hintersten Restaurant in Griechenland faktisch Realität werden wird, das wird sehr, sehr lange dauern. Ich erlaube mir hier auch, darauf hinzuweisen, dass wir in Deutschland ja sehr stark durch Schwarzarbeit und andere Tätigkeiten versuchen, diese Mehrwertsteuer zu umgehen. Das ist in Deutschland der Fall, ich kann mir vorstellen, in Griechenland wird das noch viel ausgeprägter der Fall sein.
    Dieses Land hat strukturell einen großen Rückstand
    Barenberg: Wie beunruhigend nehmen Sie die Analysen des Internationalen Währungsfonds wahr? Der IWF sagt ja, dass der immer größere Schuldenberg Griechenland eigentlich erdrücken wird.
    Straubhaar: Ich gebe zu, dass mich das natürlich beunruhigt. Andererseits ist das eigentlich schon lange aus meiner Sicht völlig klar, dass Griechenland niemals in absehbarer Zeit mehr als nur einen kleinen Bruchteil seines riesigen Schuldenberges selber wird abtragen können. Also ist es nichts als ehrlich zu sagen, wir werden als Gläubiger nur einen Bruchteil dieses Geldes wiedersehen. Und deshalb halte ich das vom Internationalen Währungsfonds jetzt auf den Tisch gelegte Konzept für durchaus richtig. Ich würde nicht einen Schuldenschnitt jetzt ins Gespräch bringen wollen, das wäre der falsche Ansatz jetzt in diesen heutigen Tagen das zu tun. Aber dass es zu einer Umschuldung kommen wird, wie immer die dann ausschauen wird, ist aus meiner Sicht schon lange klar. Und ich denke sozusagen, das gesichtwahrendste und vielleicht auch langfristig erfolgversprechendste Konzept könnte in der Tat eben sein, dass man die Schuldenlaufzeiten verlängert und die Zinsen für diesen Schuldenberg senkt. Das wissen wir ja auch aus der deutschen Wiedervereinigung, ist gar kein so schlechtes Modell, einfach mal zu sagen, man macht alle Schulden in einen Topf, lässt lange Lauffristen zu und sorgt dafür, dass wenigstens die Zinsen bedient werden.
    Barenberg: Und das wäre dann so etwas wie ein, ich sage mal Schuldenmoratorium, eine sehr langfristige Streckung, die etwas Luft verschaffen würde, um der Wirtschaft eine Möglichkeit zumindest zu verschaffen, ein wenig zu wachsen.
    Straubhaar: Ganz genau, wobei auch hier ich mir keine Illusionen machen würde. Dieses Moratorium wird sozusagen lange, lange Gültigkeit haben. Und bis Griechenland ein normales Land werden wird, ökonomisch, politisch, das dauert vielleicht eine Generation. Und es wäre ein Irrtum zu glauben, dass ab morgen jetzt mit einem Schuldenmoratorium – das wäre bei einem Schuldenschnitt nicht anders, in Griechenland die Landschaften zu blühen beginnen. Dieses Land hat strukturell einen so großen Rückstand zum europäischen Durchschnittsniveau, dass es sehr, sehr lange dauert. Auch das wissen wir aus der Geschichte.
    Sehr oft suchen Regierungen den Druck von außen
    Barenberg: Und wir wissen auch und haben inzwischen gelernt, Reformen auf dem Arbeitsmarkt, in der Steuerverwaltung, beim Rentensystem sind unerlässlich. Nun ist dieses Programm auf drei Jahre ausgelegt. Wo stehen wir, bei aller Vorsicht, wenn man das heute einschätzen soll, am Ende dieser drei Jahre?
    Straubhaar: Ich stimme Ihnen vollständig zu. Gerade unsere eigene Geschichte mit der Agenda 2010 hat ja gezeigt, wie lange es eben dauert, um eingefahrene Pfade verlassen zu können, wie stark der Widerstand der Bevölkerung, auch der Politik, all jener, die vorher mit dem alten System gut gelebt haben, ist, zu überwinden. Das dauert mehr als drei Jahre. Und wir werden mit Sicherheit, wie immer das auch heute ausfallen wird, in drei Jahren wieder da stehen, wo heute. Wir werden etwas Zeit gewonnen haben, wir haben uns etwas Zeit gekauft. Diese Zeit ist aber auch dringend notwendig, und in drei Jahren ist es ausgeschlossen, dass Griechenland all das, was es jetzt tun muss, auch bereits faktisch in der Realität wird umgesetzt haben können.
    Barenberg: Was ja in der politischen Diskussion derzeit eine große Rolle spielt, ist der Umstand, dass der Tonfall der Beschlüsse des EU-Gipfels sehr hart klingen, dass es sehr danach ausschaut, als würde Griechenland große Teile seiner Souveränität abgeben. Gibt es aus Ihrer Sicht eine Alternative, die es möglich macht, dass die Regierung in Athen eigenmächtig entscheidet, wo sie spart, wo sie Steuern senkt oder erhöht und wie sie das Problem löst?
    Straubhaar: Jain. Ich denke, so hatte ich die Verhandlungen verstanden, dass man das durchaus Griechenland hätte überlassen wollen. Andererseits wissen wir auch aus der ökonomischen Theorie, dass eben Reformen, die von innen selbstständig erfolgen müssen, sehr, sehr schwer auch innenpolitisch umzusetzen sind und dass deshalb sehr oft Regierungen auch den Druck von außen suchen, damit man dann eben Brüssel oder Berlin in Athen verantwortlich machen kann für all die Grausamkeiten, die jetzt kommen werden. Und von daher gesehen denke ich, war sehr viel Verhandlungsdiplomatie von beiden Seiten, und jetzt wird es vernünftigerweise darum gehen, wieder dieses zerbrochene Vertrauen aufzubauen und zu einem alltäglichen, normalen Verhalten zurückzukehren.
    Die internationalen Finanzmärkte spielen bislang mit
    Barenberg: Und wird das dann auch möglich sein, das Vertrauen in die Eurozone und in den Euro auf lange Sicht wieder aufzubauen?
    Straubhaar: Verblüffenderweise spielen ja die internationalen Finanzmärkte bis anhin sehr, sehr ruhig mit. Der Euro hat zwar gegenüber dem Schweizer Franken oder dem Dollar im letzten Jahr dramatisch an Wert verloren, ist aber immer noch vergleichsweise stärker, als er das zu Beginn mindestens gegenüber dem Dollar seiner Geburt gewesen ist. Und es ist alles andere als so, dass jetzt der Euro zu einer Fluchtwährung wird, also alle rausgehen aus dem Euro. Im Gegenteil, international ist der Euro relativ da stehend, und von daher gesehen, denke ich, dass es durchaus möglich ist, dass wir in diesem Durchmogeln und sozusagen dem Weg des geringsten Widerstandes auch vielleicht gar keine so schlechte Lösung jetzt gefunden haben.
    Barenberg: Thomas Straubhaar, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Danke Ihnen sehr für Ihre Einschätzungen heute Morgen!
    Straubhaar: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.