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Nowak: Schröder fehlte die Distanz zu sich selbst

Wolfgang Nowak, ehemaliger Planungschef im Bundeskanzleramt, hätte sich gewünscht, dass Altbundeskanzler Gerhard Schröder sich mehr Zeit für seine Memoiren gelassen hätte. Schröder habe die Agenda 2010 überhöht, gleichzeitig aber keine schlüssigen Erklärungen für politische Ereignisse wie den Bruch mit Blair oder seine Haltung zur amerikanischen Politik gefunden, sagte Nowak.

    Bettina Klein: Hat es sich gelohnt für Sie das Buch zu lesen?

    Wolfgang Nowak: Man könnte meinen die spannenden Stellen sind alle schon im Spiegel und in der Bildzeitung erschienen und eigentlich ist das Buch, was wir gerade erleben ist weniger ein Buch als ein mediales Gesamtkunstwerk bestehend aus dem "Spiegel", der "Bild"-Zeitung, dem sprechenden Schröder und dem geschriebenen Schröder. Und was mir aufgefallen ist, dass der sprechende Schröder, der Frau Merkel angreift, der die Gewerkschaften angreift, ein ganz anderer ist, als der geschriebene Schröder. Der geschriebene Schröder ist sanft, milde. Er geht mit seinen politischen Gegnern, ausgenommen Herrn Stoiber fast liebevoll um und fast voller Verständnis für Lafontaine. Er ist ja selbst Heidemarie Wieczorek-Zeul - ich habe ihn anders erlebt, da sagt er Hut ab vor dieser Frau. Man hat fast das Gefühl er wolle mit dem Buch versöhnen, während er mit seinen öffentlichen Auftritten spalten möchte.

    Und da ist die Gefahr! Der sprechende Schröder ist jemand, der den geschriebenen Schröder anfängt ein bisschen zu schaden und dieses mediale Gesamtkunstwerk, das aus so verschiedenen Teilen besteht, sagt sehr viel über Schröder aus, den wir auch eigentlich nie richtig deuten könnten, den Gewerkschaftskanzler, den Reformkanzler, den kämpferischen Kanzler und diese Frage, wer Schröder ist, wird um so deutlicher, je größer der Medienrummel ist.

    Klein: Und wer ist Schröder?

    Nowak: Ich habe ihn im privaten Teil einen sehr sympathischen, einen sehr selbstironischen, sich selbst gegenüber auch kritischen Menschen, ja nachdenklich und jetzt erleben wir wieder einen, der draufhaut, der sich sozusagen sonnt und der sich selbst an der Droge Schröder eigentlich berauscht und nach dieser Überdosis Schröder die wir diese Woche erhalten haben wird das Interesse an dem Buch erlahmen, wenn man dann liest. Es ist teilweise auch sehr dröge geschrieben, teilweise auch ein bisschen kitschig, wenn er dann am Kanzleramt steht - diese Stelle ist mir besonders aufgefallen- und in die letzten versinkenden Strahlen der untergehenden Sonne blickt. Das ist schade, dass er sich so wenig Zeit für das Buch und doch so viel Aufwand für den Medienrummel genommen hat.

    Klein: Was fehlt in dem Buch nach Ihrer Erinnerung?

    Nowak: In dem Buch fehlt für mich eine klare Erklärung, warum er zum Schluss die Sachen hingeschmissen hat. Er schildert da so eine einsame Entscheidung mit Müntefering, in dem sie beide nachsinnen, dass es nicht mehr weitergeht. Aber da stimmt vieles nicht. Erstens haben ihm alle seinen wichtigen Ratgeber abgeraten dazu. Er hätte vielleicht bedenken müssen, dass er die Linkspartei groß macht. Das sagt ihm sogar Lafontaine inzwischen und er hätte bedenken müssen, dass er in seinem Wahlkampf ja Gott sei Dank ein Wahlkampf für die Leute macht, die angeblich nicht hinter ihm standen und als er dann die Wahl knapp verloren hatte wollte er weiter regieren. Das sind viele Widersprüche.

    Ich hatte den Eindruck, er ist eher zurückgewichen vor dem riesigen Schuldenberg, der damals da war, vor den Arbeitslosenzahlen, vor dem zerrütteten außenpolitischen Verhältnissen und hat das gesucht, was er am besten konnte und worin er auch großartig ist, dem Kampf, die Medienpräsenz, sozusagen alleine vor einer großen Menschenmenge. Der Meister des Augenblicks ist es, der in einer Situation, in einem Wahlkampf, in einer Versammlung erkennt und daraus manchmal die falschen, aber oft die richtigen Schlüsse zieht. Das ist der Schröder, den ich kennen gelernt habe in Konferenzen, der eine Situation nach stundenlangem Zuhören richtig einschätzen kann und im richtigen Augenblick das Richtige sagt.

    Aber diesen Schröder findet man in dem Buch nicht. Da findet man langatmige Erzählungen von Dingen, die er glaube ich gar nicht so wahrgenommen hat. Ich hätte auch gerne gewusst, ob die Amerikaner von uns wirklich Truppen gefordert haben, wie immer in der Legende behauptet hat wurde oder einfach eigentlich nur Überflugrechte. Ich hätte gerne gewusst, warum er sich mit Blair, den er am Anfang ja fast kopiert hat - und ich oute mich hier als einen großen Befürworter der Blairschen Reformen Politik, nicht eines Irakkrieges - warum er mit dem einen Bruch gemacht hat, um dann zu Chirac zu gehen, der in dem Wahlkampf sich geradezu auf peinlicherweise an Stoiber damals angedient hat. Das alles fehlt.

    Man erlebt jetzt den Medienkanzler Schröder, der meisterhaft die Medien beherrscht, der heute wieder eine große Show um sich machen wird und der es geradezu genießen wird, wieder mit den Journalisten zu sein und der doch so anders ist als Frau Merkel, die ihm gegenüber eher langweilig wirkt. Aber wenn er glaubt ihr zu schaden, dann muss ich ihm fast sagen, man wird Frau Merkel wieder schätzen, weil sie eben nicht Schröder ist.

    Klein: Was haben Sie denn Herr Nowak noch Neues hinzu gelernt, denn Sie waren ja nur vier der sieben Jahre ganz dicht dran?

    Nowak: Ich habe leider gar nichts Neues hinzugelernt. Ich habe nur hinzugelernt, dass er also die Agenda 2010 überhöht. Ich habe den Schluss… das ist meiner Erklärung etwas Unerklärbaren, man wird auf die Fischer-Memoiren warten müssen um wirklich zu erfahren, was geschieht. Man erfährt nichts Neues. Man erfährt alles, was man schon immer über Schröder wusste, allerdings nicht so schön aufbereitet als wenn er es selbst frei vom Text sprechen würde. Und ich glaube, dass nach dieser Woche des Medienrummels dann die Leute genug haben von diesem Schröder-Rummel und sich dann eher wieder anderen Fragen zuwenden werden. Es ist schade. Er hätte sich mehr Zeit nehmen müssen, hätte sich sein Verhältnis zu den Amerikanern, seine anderen Entscheidungen klarer erklären und auch begründen und in Zusammenhang stellen müssen. So ist es ein schnell geschriebenes Buch oder wenn man böse ist, ein Buch, das er hat schnell schreiben lassen von seinem ghostwriter und dann vermisst man immer noch eine Frage, was war eigentlich.

    Klein: Herr Nowak, einen konkreten Punkt möchte ich gerne noch herausgreifen, die Einschätzung Lafontaines, seines Weggangs. Damals waren sie ja schon im Kanzleramt, wenn ich das richtig erkenne.

    Nowak: Nein, aber ich kannte die ganzen Zusammenhänge. Ich bin mit Bodo Hombach dann eng zusammen gewesen.

    Klein: Ja, er zeigt sich ja sehr versöhnlich jetzt gegenüber Lafontaine. Ist das eine Einschätzung, die damals schon so vorhanden war oder die erst später entstanden ist?

    Nowak: Nein, also damals war die Einschätzung, wenigstens der Beteiligten die ich kannte vorhanden, dass man sich eher… gut man war froh, dass Lafontaine weg war, weil er wurde zu einer Belastung der Regierung mit seiner Besserwisserei und das sagt Schröder richtig, mit seinem Wunsch so zu sagen zu einer Art Nebenersatzkanzler zu werden und sich mit Zuständigkeiten vollzupappen. Daran ist ja auch Stoiber gescheitert. Aber man war eigentlich eher erleichtert und das hat auch die Reaktion der internationalen Presse gezeigt. Lafontaine hat von Intrige gesprochen, die gegen ihn gemacht wurde. Aber es war auch ein bisschen Verbitterung da über den würdelosen Abgang, des Sich-Davon-Schleichens, immerhin des Finanzministers einer der größten Industrienationen.

    Davon sieht man jetzt nichts. Schröder übt sich als Psychologe und versucht also Lafontaine zu verstehen als jemanden der Schwierigkeiten mit der Verantwortung hat. Der sicherlich, das will ich gar nicht bestreiten, an den Folgen seines Attentates litt. Aber man weiß nicht, was zwischen den beiden war, warum das Tuch zerschnitten worden ist. Jeder hat seine eigene Version. Es bleibt offen. Man wird auch hier auf die Memoiren anderer Beteiligter warten müssen.

    Klein: Nach ihrer Einschätzung nach der Lektüre unter dem Strich Herr Nowak, wie wird dieses Buch den Ruf des Kanzlers beeinflussen und wird er die Geschichte die man eines Tages über ihn schreibt beeinflussen?

    Nowak: Ich glaube, natürlich wird man aus dem Buch zitieren um ihn dann auch wieder zu widerlegen. Herr Schröder hat es selbst in der Hand, je mehr er öffentlich auftritt und zeigt, was er alles kann, wie er formulieren kann, desto mehr wird er seinem etwas drögen Buch schaden. Ich glaube nicht, dass das Buch etwas aussagt über die Probleme und den dritten Weg, das moderne Regieren im 21. Jahrhundert, die Frage Krieg oder Frieden, wenn man darüber Nachdenkliches sucht, der wird nicht viel finden, der wird eben Schröder finden, so wie man ihn kannte - das Buch kommt ja auch viel zu früh, so dass auch Schröder die Distanz fehlte zu sich selbst- es wird also sozusagen,… darf es auf einem Gabentisch fehlen? Nein. Als Taschenbuch werden es sicher später viele politisch Interessierte lesen wollen, aber die Geschichte der rot-grünen Koalition, die muss noch geschrieben werden.

    Klein: Wolfgang Nowak, ehemaliger Planungschef im Bundeskanzleramt über das neue Buch von Altkanzler Gerhard Schröder. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nowak.