Dienstag, 30. April 2024

Archiv


NPD ist eine "eminente Gefahr für die politische Kultur"

Die NPD sei keine sterbende Partei, sondern repräsentiere 13.000 und mehr gewaltbereite Neonazis, betont der Politikwissenschaftler Hajo Funke. In abgehängten Regionen machten die Partei und ihr Umfeld demokratischen Politikern und Migranten die Hölle heiß.

Hajo Funke im Gespräch mit Martin Zagatta | 26.04.2013
    Tobias Armbrüster: Der Bundestag hat sich gestern gegen ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD ausgesprochen. Nur die Abgeordneten von SPD und Linkspartei haben für einen solchen Schritt gestimmt, aber das waren zu wenig Stimmen. Zuvor hat auch die Bundesregierung ein Verfahren in Karlsruhe abgelehnt und damit ist nun der Bundesrat die einzige politische Instanz, die die NPD beim Bundesverfassungsgericht verbieten lassen will. Die Länder hatten sich schon vor einigen Wochen auf diesen Schritt geeinigt. Mein Kollege Martin Zagatta hat über die Entscheidung gestern im Bundestag mit Hajo Funke gesprochen, dem Politikwissenschaftler und Extremismusforscher an der Freien Universität Berlin, und er hat ihn gefragt, ob die Bemühungen, die NPD zu verbieten, jetzt geschwächt werden.

    Hajo Funke: Das glaube ich nicht. Es ist natürlich ein öffentliches Schwächezeichen, dass man zugleich sehr für ein Verbot ist, es dann aber doch nicht entsprechend anordnet beziehungsweise sich darauf vorbereitet. Aber in der Sache ist das Problem eher darin, ob die V-Leute-Freiheit des Materials als Grundlage gesichert ist. Ich habe da noch gewisse Zweifel, weil das bedeutet, sie müssen es testieren lassen können. Das kommt auf die beantragende Gruppe, die Länder zu, weil das Bundesverfassungsgericht nichts machen würde, was nicht wirklich beglaubigt die V-Leute-Freiheit garantiert sieht. Und es gab da eine Menge an Bewegung: Textkürzungen, einige Landesinnenminister mussten zugeben, dass es doch noch V-Leute-Material enthält, und und und. Das ist, glaube ich, das größte Problem. Mein Eindruck ist, dass man sich diesen politischen Stress seitens der Bundesregierung und der entsprechenden Parteien ersparen will.

    Martin Zagatta: Diese V-Leute-Problematik ist ja das eine und auf der anderen Seite sagt zum Beispiel FDP-Chef Rösler, Dummheit kann man nicht verbieten. Hat er da nicht Recht?

    Funke: Nein! Es geht nicht darum, eine verschwörerische und paranoide Ideologie des Neonationalsozialismus zu verbieten, sondern die praktische Umsetzung als eine Partei, die öffentlich dafür wirbt, die es versucht, auch dann, wenn sie die Macht hätte oder eine Teilmacht, dies entsprechend umzusetzen. Es geht um die Kritik an der Ideologie, die mit einem solchen Verfahren verbunden ist, und die Ausschaltung einer entsprechenden Praxis durch ein Verbot. Es war nie von irgendwem gesagt worden, dass man damit die Ideologie platt mache. Das ist überzogen!

    Zagatta: Herr Funke, jetzt geht aber das Bundesverfassungsgericht offenbar auch davon aus, dass bei einem Parteienverbot eine Gefahr von dieser Partei ausgehen müsste. Welche Gefahr geht denn von einer Partei aus, die bei Wahlen zuletzt nicht einmal ein Prozent erreicht hat und die offenbar auch pleite ist?

    Funke: Das Problem der Pleite wird völlig überzogen. Sie ist auch keine sterbende Partei, sondern sie repräsentiert 13.000 plus gewaltbereite Neonationalsozialisten. Sie ist der politische Arm einer sich so verstehenden Kampfbewegung für ein "Viertes Reich". Natürlich haben sie keine Mehrheiten und ich hoffe, sie werden sie nie mehr bekommen, aber die Gefahr ist eher im gesellschaftlichen Bereich in abgehängten Regionen, wo sie dominieren – entweder die NPD oder ihr Umfeld. Und damit den Bedrohten - das können sehr viele sein: demokratische Politiker oder Migranten - die Hölle heiß machen, sie in ihrem Alltag gefährden. Es ist eine eminente Gefahr für die politische Kultur. Wenn sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein sollen und das nicht anders verhindert werden kann, dann ist das Parteiverbot ein Mittel. Aber entscheidend ist, dass man es gesellschaftlich, polizeilich durch Repression, auch ohne ein solches Verbot endlich hinkriegen könnte, dass der Alltagsterror endlich verschwindet.

    Zagatta: Was würde das denn in der Praxis ändern, wenn die NPD verboten wäre? Würden da die Mitglieder oder ähnlich Gesinnte nicht in andere Organisationen ausweichen?

    Funke: Ja. Aber Wiederholungs- oder Wiederbetätigung ist dann gleich mit verboten, und das wird genau wie bei diesem sehr erfolgreichen Verbot der Kameradschaften in NRW hier auch sehr genau geprüft. So geht es ja nicht. Ein Verbot einer entsprechenden Organisation erlaubt keine Wiederholung in einer Parallelorganisation, die die gleichen Ziele hat. Das wäre ja absurd. Also das kann nicht ernsthaft gemeint sein und gedacht sein.

    Zagatta: Würde so ein Verbot, davon gehen Sie aus, dann rechtsextreme Umtriebe in Deutschland tatsächlich eindämmen?

    Funke: Ja natürlich! Es hängt natürlich davon ab, ob man das Verbot auch ernst nimmt. Wir haben jede Menge von Vereinigungsverboten aus dem rechtsextremen neonazistischen Bereich, Verbote von Vereinen, das ist unterhalb des Parteienverbots, und Sie sehen an der Umsetzung, wo es ernst gemeint ist und wo es dahin gesagt wird und nichts gemacht wird. Wir haben beide Weisen. Diese negative etwa beim Verbot des "Blood and Honour"-Netzwerkes. Man hat das furchtbar verharmlost, von Musikgruppen gesprochen. Dabei war es sozusagen das Kaderfeld, aus dem auch das sogenannte Trio der NSU seine Kraft bezog. Also es gibt beides: Negativ ist das eben genannte, positiv ist die Entscheidung, die drei Kameradschaften in NRW, die Aachener, die Dortmunder und die Hammer, zu verbieten. Natürlich hat das Wirkungen und es erlaubt, es verbessert die Chancen, tatsächlich als Polizei, Justiz und als Öffentlichkeit, als Bürgermeister vor Ort den Rückenwind zu bekommen, um entschieden gegen diese Wiederholungstäter einzuschreiten.

    Armbrüster: Soweit der Berliner Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Hajo Funke gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zagatta.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema auf dradio.de:

    Bundestag lehnt eigenen NPD-Verbotsantrag ab
    Keine Mehrheit für SPD-Vorschlag

    Bundesregierung: Kein eigener Antrag auf NPD-Verbot
    Zentralrat der Juden: "Schwäche der Demokraten"

    "Dummheit kann man nicht verbieten"
    FDP-Minister lehnen NPD-Verbotsverfahren ab

    Grünes Licht für NPD-Verbotsantrag
    Bundesrat will vor Verfassungsgericht ziehen