Spengler: Die Antragsteller haben dem Bundesverfassungsgericht vor wenigen Tagen ja nun die gewünschten Auskünfte über die Informanten innerhalb der NPD angeboten. Es soll zwischen 1997 und 2002 rund 30 V-Leute in den NPD-Vorständen gegeben haben, das sind rund 15 Prozent der Vorstandsmitglieder. Sind Sie sicher, Herr Beckstein, dass eine solche Anzahl den Charakter einer Partei nicht eben doch maßgeblich mitprägen kann?
Beckstein: Ich bin mir sicher, dass V-Leute nicht den Charakter der NPD verändert haben, denn ein V-Mann ist ja, wie Sie in der Anmoderation richtig gesagt haben, ein Spitzel. Das heißt, er gibt Mitteilungen weiter, die er erfahren hat. Er ist nicht etwa jemand, der selber vom Staat hineingeschickt wird, um bestimmte Aufgaben dort zu erfüllen. Der V-Mann ist nicht Mitarbeiter in dem Sinne, dass er sozusagen dienstliche Befehle gibt, was er in die NPD hineinzubringen hat, sondern er ist lediglich jemand, der bei der NPD mit dabei ist, aber von dort Dinge verrät, die er einfach mitkriegt.
Spengler: Aber je nach seiner Stellung, Herr Beckstein, muss er doch beispielsweise die Initiativen ergreifen, will er sich nicht verdächtig machen.
Beckstein: Da gibt's ganz klare Regeln, und diese Regelungen sind dem Bundesverfassungsgericht auch vorgelegt worden. Diese Regeln sagen: Er darf mitschwimmen, er darf auch zum Beispiel extremistische Symbole mit zeigen - also wenn die anderen in einem Vorstand zum Beispiel - was weiß ich - ein Hakenkreuz-symbol auf den Tisch legen, dann darf er das auch - auch wenn sozusagen das eine extremistische Handlung ist. Aber er darf den Extremismus nicht selber anheizen. Wenn er ein aktiver Mann wird, der selber den Vorstand gestaltet, dann sagen die V-Mann-Führungsregeln, dann muss er abgeschaltet werden. Und wir haben als Beweismittel angeboten, die jeweilig Verantwortlichen in den Verfassungsschutzämtern, dass diese Regelungen über die V-Mann-Führung auch stets eingehalten worden sind.
Spengler: Nun haben Sie dem Gericht auch angeboten, die Akten der V-Leute einsehen zu können, aber nur dann, wenn die NPD, also der Antragsgegner, und wenn auch die Öffentlichkeit nichts aus diesen Akten erfährt. Ist ein solches Hinterkammerverfahren rechtsstaatlich?
Beckstein: Es ist jedenfalls notwendig, dass man hier die Eigenschaft des V-Mannes nicht der Öffentlichkeit und erst recht nicht der NPD mitteilt. Einen V-Mann zu gewinnen, ist schwierig. Es ist aber unabdingbar notwendig, V-Leute in extremistischen Organisationen zu haben. Sie erinnern sich, dass nach dem 11. September in Deutschland der Ruf groß war, dass man gesagt hat: Warum habt Ihr nicht mehr über die islamischen Extremistenorganisationen gewusst? Wir haben eben große Schwierigkeiten, V-Leute zu gewinnen. Diese Schwierigkeiten sind im Zusammenhang mit der Diskussion um V-Leute im NPD-Verfahren noch größer geworden und würden ins Unermessliche gesteigert, wenn V-Leute damit erkennen müssten, dass die Vertraulichkeit, die ihnen zugesichert wurde, nicht eingehalten wird. Wer wäre denn bereit, aus einer extremistischen Organisation Mitteilungen zu machen, wenn er damit rechnen müsste, dass die extremistische Organisation erfahren würde, dass sie in Wirklichkeit dem Staat Informationen gibt. Deswegen ist es unabdingbar notwendig, und ich bin überzeugt, dass das Bundesverfassungsgericht das auch mit einbezogen hat, denn das Gericht hat die Antragsteller - also Bundestag, Bundesrat - aufgefordert, die Namen der V-Leute mitzuteilen oder die Hinderungsgründe zu begründen. Und das haben wir nun getan.
Spengler: Wenn nun das Gericht darauf besteht, die V-Namen zu erfahren und zugleich darauf besteht, auch dem Antragsgegner, also der NPD diese Unterlagen zugänglich zu machen, werden Sie dann lieber - ich sage mal - 'die Hosen herunter lassen' - das ist ein Zitat des SPD-Abgeordneten Wiefelspütz, und er meint damit, eben dann doch alle V-Leute nennen, oder werden Sie dann lieber den Verbotsantrag zurückziehen, um die V-Leute nicht auffliegen zu lassen?
Beckstein: Also, alle Innenminister der Länder und auch des Bundes haben sich darauf verständigt, eine Sperre-Erklärung abzugeben. Das bedeutet, dass die Namen der V-Leute eben nicht dem Gericht in einem Verfahren mitgeteilt werden können, so dass es auch die Öffentlichkeit und die NPD erfährt. Also, man würde die Namen keinesfalls mitteilen. Da müsste das Gericht eben die weiteren Konsequenzen daraus ziehen. Jedenfalls haben wir uns darauf verständigt, diese für die Nachrichtendienste unabdingbaren Geheimhaltungsregeln gegenüber V-Leuten auf jeden Fall einzuhalten.
Spengler: Das heißt, das Gerichtsverfahren ist immer noch gefährdet. Gibt das nicht den Kritikern recht, die von Anfang an gewarnt haben, die gesagt haben, das Verbotsverfahren ist eigentlich unsinnig, das Beweismaterial ist nicht ausreichend, man muss sich mit der NPD politisch auseinandersetzen. Gestern erst hat die FDP gefordert, das Verfahren sofort zu beenden. Wäre das jetzt nicht das Beste?
Beckstein: Also ich glaube, dass das nicht der Fall ist, denn dass die NPD eine aggressiv kämpfende Partei gegen den Rechtsstaat ist, das wird von der Partei selber ja nicht bestritten; sie führen es eben nur sozusagen auf die V-Leute zurück. Aber ich glaube, dass es ziemlich abwegig ist, den Eindruck zu erwecken, dass ein Deckert, der bisher Vorsitzender war und mehrfach zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt ist wegen seiner verbotenen Handlungen, oder der jetzige Vorsitzende Voigt, oder der Vorsitzende 'Junge Nationaldemokraten', Herr Rossmüller - das sind die Träger des Extremismus, und nicht V-Leute. Dass die NPD das Prinzip 'ausländerbefreiter Zonen' entwickelt hat, dass es in diesen Zonen keinen Ausländer geben darf und wenn er doch hinkommt, dann muss er damit rechnen, niedergeschlagen zu werden - da reicht es nicht, sich politisch auseinanderzusetzen. Da reicht es auch nicht, die Einzelnen zu bestrafen, wenn sie einen Ausländer niedergeschlagen haben, sondern da muss die öffentliche Sicherheit in der Weise hergestellt werden, dass eben eine solche Partei auch verboten wird. Und ich denke, dass die Verbotsgründe sehr, sehr stark sind. Und ich meine, dass es deswegen sinnvoll ist, das Verfahren auch zu betreiben.
Spengler: Erklären Sie mir eines, Herr Beckstein. Wenn denn am Ende die NPD nach über zwei Jahren verboten werden sollte, was wäre denn damit gewonnen? Die Partei hat doch durch diese lange Zeit genügend Zeit, sich auf das Verbot einzustellen, also irgendwelche Nachfolgeorganisationen aufzubauen und im Grunde unter neuem Namen weiterzumachen.
Beckstein: Auch Nachfolgeorganisationen werden automatisch verboten. Das heißt, sie können sich nicht ohne weiteres an Stelle von NPD dann - was weiß ich - 'Partei der Nationalisten' - PDN - nennen und damit weitermachen, sondern damit würde schon die ganze Organisation zerstört. Natürlich werden die Träger der entsprechenden radikalen Gesinnung nicht plötzlich zu Musterdemokraten werden, aber die ganze Organisation wird zerstört, das Vermögen wird eingezogen, die Strukturen sind zunächst mal weg. Und damit ist eine solche Partei schon im Kern getroffen. Wir erleben übrigens, dass alleine dass Verfahren jetzt die NPD schon ganz entscheidend auch prägt. Sie sind vorsichtig geworden, sie 'fressen Kreide', sie verlieren auch derzeit Mitglieder. Also ich denke, dass ein Verbot natürlich die Nationalisten und die gefährlichen Leute natürlich nicht völlig beseitigen würde, aber es würde die Organisation doch im Kern treffen. Und deswegen ist ein solches Verbot auch sinnvoll.
Spengler: Wenn das so stimmt, wie Sie sagen, dann wäre das sehr, sehr zu begrüßen. Es gibt aber Parteienforscher, die sagen, die NPD stünde jetzt schon besser da als vorher; sie würde Mitglieder gewinnen, sie tritt in allen 16 Bundesländern zur Wahl an; die Werbung hat funktioniert, im Prinzip sei das Verfahren ein richtiger Werbeeffekt.
Beckstein: Also jedenfalls für Bayern, wo ich es nun ganz authentisch sagen kann, trifft das nicht zu. Ich werde in diesen Tagen den Halbjahresbericht für 2002 vorstellen, und wir legen da, dass die NPD Kreide gefressen hat, das heißt, dass sie im Moment zum Beispiel die Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Skinheads weitgehend eingestellt hat, während vorher sie gewaltbereite Skinheads ausdrücklich aufgenommen hat. Leute, die wegen gefährlicher und schwerer Körperverletzung im Skinhead-Bereich verurteilt worden waren, sind bei der NPD als Ordner angeworben worden. Das hat aufgehört. Sie hat Mitglieder verloren. Das heißt, die NPD hat auch ihre aggressive Werbung im Moment deutlich zurückgefahren für 'ausländerbefreite Zonen', weil sie weiß, dass das ja sozusagen für sie existenzbedrohend ist. Richtig ist, dass sie bei der Bundestagswahl antritt. Das hängt damit zusammen, dass wirklich diese unglaubliche Panne im Bundesinnenministerium geschehen ist - wie man mit dem Bundesverfassungsgericht umgegangen ist im Frühjahr dieses Jahres. Dadurch hat sich das Verfahren verzögert. Deswegen wird die NPD antreten, wird Gelder bekommen, wird Sendezeiten im Rundfunk und Fernsehen bekommen, wird weiter natürlich Demonstrationen durchführen. Das zeigt aus meiner Sicht, wie sinnvoll ein Verbot wäre.
Spengler: Herr Beckstein, zum Schluss noch eine Frage zu Ihrer persönlichen Zukunft. Sie sind bei einem Wahlsieg der Union im Gespräch - sowohl als möglicher Nachfolger Edmund Stoibers im Amt des Ministerpräsidenten als auch als möglicher Bundesinnenminister. Sie wollen das nicht beantworten, das wissen wir, aber vielleicht können Sie sagen, was Sie bevorzugen, in welcher Stadt Sie lieber arbeiten würden, in Berlin oder in München?
Beckstein: Also, meine Richtung als Mitglied im Kompetenzteam Edmund Stoiber geht eindeutig nach Berlin. Es gibt aber keine Zusage oder Garantie, dass ich das Amt des Bundesinnenministers bekommen würde. Da würden schwierige Koalitionsverhandlungen anstehen. Und es ist eine entscheidende Voraussetzung, dass vor der Wahl nicht die Ämter vergeben werden. Erst werden Wahlen gewonnen, danach geht's um Ämter - erst wird der Bär erlegt, danach gibt's das Bärenfell zu verteilen. Jetzt heißt die Aufgabe, nicht wie ein Pferd, sondern wie fünf Pferde zu arbeiten, damit wir tatsächlich am 22. September gewinnen.
Spengler: Das war der bayerische Innenminister Günter Beckstein. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.
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