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NPR-Interview in der Kritik
Eine Plattform für Neonazis?

Der öffentliche US-Sender NPR hat den Neonazi Jason Kessler interviewt und damit eine Kontroverse ausgelöst: Soll man Rechtsextremen und ihren Rassentheorien Sendezeit zur Verfügung stellen? US-Medienjournalistin Brooke Gladstone hat dazu eine klare Meinung.

Von Peter Weissenburger | 21.08.2018
    Ein Aufmarsch von Rechtsextremisten mit Hakenkreuz-Fahne in Charlottesville, Virginia
    Rechtsradikale Kundgebung in Charlottesville (imago/ZUMA Press)
    "Das sind Meister der Medienmanipulation. Und Redaktionen, die nicht verstehen, wie die ticken, sind leichte Beute für die." Brooke Gladstone ist seit 35 Jahren Radiojournalistin beim öffentlichen US-Sender NPR. Sie verantwortet dort das Medienmagazin "On the media".
    Als Journalistin sollte man vor Neonazis und ihren Tricks auf der Hut sein, sagt sie. Aber ignorieren dürfe man sie nicht: "Ich teile die Ansicht nicht, dass man diese Leute nicht anhören soll. Denn sie sind da und sie verändern unsere Welt."
    Entsetzen über Interview mit Rechtsextremen
    In den USA wird das gerade diskutiert. Auslöser war ein Interview, das Gladstones NPR-Kollegin Noel King mit dem rechtsextremen Jason Kessler geführt hat - zum Jahrestag des rechten Aufmarschs in der Stadt Charlottesville.
    "Some of what you’re about to hear is racist - and offensive." - "Was Sie jetzt hören werden, ist zum Teil rassistisch und beleidigend", sagt Noel King. Dann fragt sie Kessler, was er über die "Intelligenz von Rassen" denke.
    "Ashkenazi Jews rate the highest in Intelligence, then Asians, then White people, then Hispanic people, then Black people" - Juden seien am intelligentesten, dann Asiaten, Weiße, und so weiter, sagt Kessler. Es handelt sich um eine pseudowissenschaftliche Rassentheorie aus den Neunzigerjahren, die unter Neonazis in den USA äußerst beliebt ist.
    Viele Hörerinnen und Hörer von NPR waren entsetzt. Auch die Meinungsseiten der großen Zeitungen griffen das Thema auf. "NPR zeigt uns, wie man Neonazis füttert und pflegt", spottete etwa die "Washington Post". Es sei nicht die Aufgabe von NPR, im Namen der Ausgewogenheit Nazis sprechen zu lassen.
    "Es reicht nicht mehr aus, über sie zu richten"
    Brooke Gladstone sieht das anders: "Als ich Ende der 80er zu NPR kam, ging es gerade um die Frage, ob man über Aufmärsche des Ku Klux Klan berichten soll. Ein paar wenigen Klansleuten standen dort immer eine Riesenmenge Gegendemonstranten und Presse gegenüber. Ich fand damals wie viele andere, dass man über sowas nicht zu berichten braucht."
    So eine klare Grenze lasse sich heute jedoch nicht mehr ziehen: "Sie sind eine politische Bewegung geworden. Sie haben jetzt Einfluss, stellen Kandidaten zur Wahl auf. Es reicht nicht mehr aus, über sie zu richten. Man muss sie kennen, und zwar bis ins kleinste Detail."
    Medien machen Randfiguren größer
    Andererseits wirken die Medien als Vergrößerungsglas. Obwohl nie mehr als ein paar hundert Neonazis irgendwo aufmarschieren, bekommt die Bewegung gewaltige Aufmerksamkeit. Auf den Punkt gebracht hat das jüngst Steve Bannon, der früher das rechtsextreme Portal "Breitbart" geleitet und dann für Donald Trump gearbeitet hat. Der Steve Bannon ausgerechnet, den viele selbst für einen Wortführer der extremen Rechten halten.
    Steve Bannon: "It’s the mainstream media that continues to give marginal people, these marginal guys a platform and make them bigger than they are".
    Es seien doch gerade die Medien, die immer wieder Randfiguren größer machten als sie sind, sagt Bannon in einem Interview mit MSNBC. Er hat nicht Unrecht. Protagonisten wie Jason Kessler, der bis vor kurzem noch ein Niemand war, sitzen plötzlich zur besten Sendezeit am Mikro und werben für ihre Sache.
    "Ich vertraue meinen Hörerinnen und Hörern"
    Jason Kessler: "I’m not a White supremacist, I’m not even a White nationalist. I consider myself a civil and human rights advocate, focusing on the underrepresented Caucasian demographic."
    Er sei kein Nationalist, sagt Kessler im Interview, bloß ein Menschenrechtler für die unterdrückte weiße Bevölkerung. Gerade wegen Wortspielereien wie diesen, sagt Brooke Gladstone, müsse man sich als Journalistin mit den Neonazis konfrontieren.
    "Wenn zum Beispiel einer sagt: Hey, die Natur hat das so bestimmt, sie hat nicht vorgesehen, dass wir alle zusammenleben. Auf diese Weise versuchen sie ihre Botschaft bekömmlicher zu machen. Das ist die perfekte Gelegenheit, sich mit ihren wiederkehrenden Argumenten zu beschäftigen."
    Und dennoch: Ist nicht alles längst verloren, wenn es jemand schafft, uralte Rassentheorien im öffentlichen Rundfunk auszubreiten?
    "Wenn man sich sein Publikum als eine Herde treudoofer Schafe vorstellt, vielleicht. Ich vertraue meinen Hörerinnen und Hörern. Und sie verdienen zu erfahren, was diese Leute denken. Sie verdienen, dass jemand an ihrer Stelle dagegenhält - so gut er oder sie das eben kann."