Archiv


NRW-Grünenchef: Aktenkenntnis vor Fischer-Aussage nötig

Der Grünen-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Frithjof Schmidt, hat seine Forderung bekräftigt, Außenminister Joschka Fischer so schnell wie möglich vor dem Visa-Untersuchungsausschuss ausssagen zu lassen. Alle Mitglieder des Ausschusses müssten zuvor aber ausreichend über den Inhalt wichtiger Akten informiert sein, schränkte er ein. Schmidt verteidigte das Krisenmanagement des Außenministers. Man solle abwarten, was Fischer am Wochenende auf dem Landestreffen der Grünen in Köln sage.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Gestern tagte der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Visa-Affäre aufklären soll. Nach der Vernehmung von Beamten des Bundeskriminalamtes waren Regierung und Opposition erwartungsgemäß uneins über die Verantwortlichkeit von Joschka Fischer für die massenhafte Schleusung von Ukrainern nach Deutschland und auch darüber, wann der Außenminister vom Ausschuss vernommen werden soll. Besonderes Gewicht gewinnt die Visa-Affäre – wir hörten es -, weil am 22. Mai im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt wird. Und dort geht es zum Beispiel darum, dass sich die rot-grüne Landesregierung behaupten will nach dem Dämpfer in Schleswig-Holstein. Am Telefon begrüße ich nun den Landesvorsitzenden der Grünen in NRW. Guten Morgen Frithjof Schmidt!

    Frithjof Schmidt: Guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Herr Schmidt, als Wahlkämpfer an Rhein und Ruhr wäre es Ihnen da eigentlich wie Ihrer Ministerin Bärbel Höhn auch lieber, wenn Joschka Fischer noch vor der Landtagswahl im Ausschuss aussagen würde?

    Schmidt: Ja. Wir haben immer gesagt, es wäre gut, so schnell wie möglich auszusagen, damit auch Dinge so schnell wie möglich klargestellt werden können. Joschka Fischer sagt das auch. Aber natürlich ist auch richtig, dass eine Aussage im Ausschuss in einem sinnvollen Zusammenhang mit der Arbeit des Ausschusses stehen muss. Nach meiner Kenntnis geht es da um mehrere Tausend Akten, die bis letzte Woche noch gar nicht beim Ausschuss waren, die gelesen und vorbereitet werden müssen, damit überhaupt sinnvoll befragt werden kann.

    Spengler: Nun sollte man doch glauben, dass der Außenminister vielleicht nicht mehrere Tausend, aber die wichtigsten Akten aus seinem Ministerium kennt?

    Schmidt: Ja, er schon. Aber ich meine auch die Abgeordneten. Man muss ja einen solchen Untersuchungsausschuss auch als parlamentarisches Gremium ernst nehmen. Die müssen sich ja vorbereiten, müssen die Akten durchgehen. Wenn die Obleute im Ausschuss sagen, sie brauchen dazu eine gewisse Zeit, dann ist das ihre Entscheidung. Da würde ich hier aus Düsseldorf keine Ratschläge erteilen.

    Spengler: Dafür haben Sie aber Verständnis?

    Schmidt: Dafür haben wir natürlich Verständnis, weil es eine sinnvolle Aussage sein muss im sinnvollen Arbeitszusammenhang des Ausschusses. Aber noch einmal: so schnell wie möglich wäre gut.

    Spengler: Gestern gab es in Berlin ein Treffen des Bundesvorstands und der Landesvorstände und danach hieß es, es gebe großen Rückhalt für die Strategie der Partei und großes Vertrauen in Joschka Fischer. Stimmt das?

    Schmidt: Ja, das ist völlig richtig.

    Spengler: Aber Sie waren nicht dabei?

    Schmidt: Wir waren nicht dabei, weil wir hier intensiv unseren Landesparteitag vorbereiten. Aber wir sind in enger Abstimmung mit der Bundesspitze. Wir telefonieren täglich mit unserem Bundesvorstand. Wir sind ja im Wahlkampf hier mitten im größten Bundesland. Und wir stehen auch ganz eindeutig hinter der Strategie und der Politik des Bundesvorstands.

    Spengler: Aber ein bisschen komisch mutet einen das als Beobachter schon an, wenn Sie in so einer Krisensituation sagen: na ja, wir haben hier einen Landesparteitag, da kann keiner von uns nach Berlin fahren.

    Schmidt: Das finde ich jetzt nicht, weil man im Zeitalter der modernen Medien nun wirklich auch Telefonkonferenzen machen kann. Da die Kommunikation funktioniert - und das ist ja die Hauptsache, dass es dort eine gute Kommunikation gibt -, ist das nicht problematisch.

    Spengler: Das klingt jetzt auch ein bisschen so wie Harmoniesauce, die Sie da verschütten. Ist das nicht genau diese Wagenburgmentalität, die hermetische Abschirmung, die die Öffentlichkeit nicht so ganz versteht und die - so sagt es Alice Schwarzer - fast wie bei einer Sekte sei?

    Schmidt: Na ja, das finde ich jetzt nicht. Es gibt ja auch auf der anderen Seite kritische Äußerungen, wenn ich etwa an Daniel Cohn-Bendit oder andere denke. Also so ist es ja nun auch wieder nicht. Aber es ist doch klar: Das ist ein Krisenmanagement, wo man sagen kann, manches sollte vielleicht schneller gehen. Das kann man sich dann überlegen, aber es ist dann sehr schwierig, das konkret umzusetzen. Wir haben das ja eben gerade am Beispiel der Schwierigkeiten der Ausschussarbeit diskutiert. Da finde ich es auch verfehlt, von Düsseldorf aus es irgendwie besser wissen zu wollen.

    Spengler: Aber das Krisenmanagement des Außenministers hat Sie bislang nicht so richtig überzeugt, wenn ich Ihre Worte richtig verstehe?

    Schmidt: Nein, das verstehen Sie nicht richtig. Ich glaube, dass Joschka Fischer sehr offensiv mit der Sache umgehen wird. Er musste sich auch entsprechend jetzt vorbereiten. Er hat für unseren Landesparteitag hier am Wochenende klare Worte auch zur Visa-Debatte angekündigt. Und ich denke, das wird er tun. Und wir freuen uns auf seinen Auftritt.

    Spengler: Ihr Koalitionspartner Harald Schartau, der SPD-Landesvorsitzende in NRW, hat kritisiert, dass Bundesaußenminister Fischer bislang - ich zitiere jetzt wörtlich – "in einer Weise aufgetreten ist, die alles andere als überzeugend war". Sie schließen sich dieser Kritik nicht an?

    Schmidt: Nein, ausdrücklich nicht. Und ich finde es auch irgendwie eigentlich nicht sehr sinnvoll, einem so erfahrenen Politiker wie Joschka Fischer jetzt solche Ratschläge über die Zeitung zu geben. Ich weiß nicht: das ist vom Stil her auch nicht gerade schön.

    Spengler: Ist das denn richtig, was gestern in Berlin zu hören war? Dort hieß es nämlich bei dem Grünen-Treffen, dass es in den Landesverbänden bislang wenig Resonanz der Parteibasis auf die ganze Affäre gebe. Gilt das auch für NRW?

    Schmidt: Nein. Es ist einfach so, dass natürlich im beginnenden Wahlkampf die Themen, die wir gerne nach vorne bringen möchten, ökologische Innovationen mit Arbeitsplatzeffekten im Land, die Bildungspolitik, die Fragen von mehr Lebensqualität durch eine kinder- und familienfreundliche Politik in den Städten überlagert wird durch eine Diskussion über die Frage: wie war das mit der Visa-Politik vor zwei Jahren. Das ist natürlich ein Problem im Wahlkampf. Und darüber wird diskutiert. Und da gibt es natürlich den Wunsch, dass das schnell durch eine Klärung im Ausschuss wieder anders wird. Auf der anderen Seite sehen wir - und das zeigen auch die Wahlergebnisse in Schleswig-Holstein -, dass das jetzt nicht auf unsere Akzeptanz bei denjenigen, die uns wählen würden, durchschlägt.

    Spengler: Na ja, die Umfrageergebnisse waren deutlich besser als dann das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein?

    Schmidt: Ja gut. Mit Umfragen ist das immer so eine Sache. Wir haben sehr häufig bessere Umfragen als dann reale Wahlergebnisse. Aber wir haben in Schleswig-Holstein unser Ergebnis gehalten. Die Umfragen für Nordrhein-Westfalen sagen auch, dass wir jetzt nicht etwa größere Einbrüche in den Umfragen haben. Deswegen konstatiere ich erst mal das, was mir auch so auf der Straße begegnet, dass das erst mal im Augenblick für uns politisch nicht durchschlägt.

    Spengler: Laut Forsa landen die Grünen erstmals seit Jahren unter 10 Prozent und an irgendetwas muss es ja liegen, dass Bundesaußenminister Fischer in der Popularitätsskala der Forschungsgruppe Wahlen von 1,6 auf 0,7 Punkte abgerutscht ist?

    Schmidt: Ja. Ich glaube aber, das ist doch auch einfach zu erklären. Er hat sehr, sehr außergewöhnlich hohe Popularitätswerte. Das bedeutet immer, dass man nicht nur bei den eigenen Anhängern oder denen einer befreundeten Koalitionspartei ganz hoch angesehen ist, sondern eben auch bei den Wählerinnen und Wählern der Opposition. Wenn jetzt diese Oppositionspartei in dieser Weise heftig persönlich gegen Herrn Fischer schießt, dann gibt es da natürlich Bewegung bei den Anhängern der Oppositionsparteien. Und das verändert dann natürlich gravierend solche Popularitätswerte. Ich glaube, das ist ein ganz einfacher Effekt, der natürlich mit dieser Auseinandersetzung gerade zu tun hat.

    Spengler: Also Sie sagen: unsere Wähler wählen uns ohnehin, diese Affäre hat keine Auswirkungen?

    Schmidt: Ja. Ich glaube das ist eine Lehre, die auch Wahlforscher gerade aus der Wahl in Schleswig-Holstein gezogen haben: dass die Union ihre Wählerinnen und Wähler mit dieser Auseinandersetzung massiv mobilisieren konnte, dass auch die Grünen durchaus auf der anderen Seite ihre Wählerinnen und Wähler mobilisieren oder halten konnten, dass die Mobilisierung auf Seiten der SPD eben nicht so stark war. Das erklärt dann bestimmte Verschiebungen bei den Wahlen.

    Spengler: Das heißt, Sie machen sich eigentlich keine Sorgen, was die Wahl in Nordrhein-Westfalen angeht?

    Schmidt: Doch. Ich habe ja gesagt wir machen uns insofern Sorgen, als dieses Thema die Themen, die wir eigentlich im Landtagswahlkampf diskutieren wollen - wie müssen die Probleme des Landes gelöst werden, was sind die richtigen Entwürfe für die Zukunft des Landes -, hier immer stärker in den Hintergrund redet. Ich muss sagen: wenn Herr Rüttgers und der neue Generalsekretär der CDU; Herr Kauder; ankündigen, dass sie die Visa-Affäre von vor zwei Jahren ins Zentrum des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes rücken wollen, dann frage ich mich natürlich: gibt es hier eigentlich keine Probleme in Nordrhein-Westfalen, die wir diskutieren müssen, die wir lösen müssen. Das halte ich für eine Fehlentwicklung. Und darüber mache ich mir selbstverständlich auch Sorgen.

    Spengler: Sie haben jetzt Parteitag am Samstag hier in Nordrhein-Westfalen in Köln. Joschka Fischer wird auftreten. Was erwarten Sie von seinem Auftritt?

    Schmidt: Zuerst einmal eine sehr kämpferische Wahlkampfrede, denn Joschka Fischer ist lange eingeladen. Wir haben einen Programmparteitag, wo wir unser Programm zur Landtagswahl verabschieden. Joschka Fischer soll unseren Wahlkampf einläuten. Und das wird er in der bekannten kämpferischen Manier, die man von ihm eben kennt, tun. Darauf freuen wir uns. Er wird selbstverständlich auch - das hat er schon angekündigt - klare Worte zur Visa-Debatte finden. Und ich denke, er wird eben auch sehr deutlich machen, dass er natürlich, wenn er Fehler gemacht hat, dafür die Verantwortung übernimmt. Aber er wird auch sehr deutlich machen, dass das jetzt nicht so genutzt werden kann, dass eine liberale Einreisepolitik in ein weltoffenes Land diskreditiert wird.

    Spengler: Was muss er denn ein bisschen konkreter sagen, damit die grünen Wähler und Parteimitglieder ihm verzeihen?

    Schmidt: Es gibt da überhaupt nichts zu verzeihen. Ich wüsste nicht, was es ihm zu verzeihen gebe.

    Spengler: Fehler vielleicht!

    Schmidt: Es steht ja noch nicht einmal fest, welche Fehler er vielleicht gemacht haben sollte. Der Untersuchungsausschuss hat ja noch gar keine Ergebnisse. Ich finde, man sollte jetzt nicht die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses einfach so vorweg nehmen. Dann würde der ganze Ausschuss ja gar keinen Sinn mehr machen.

    Spengler: Also Sie schließen nicht aus, dass am Ende heraus kommt, Herr Fischer hat überhaupt keinen Fehler gemacht?

    Schmidt: Ich nehme an, dass da etwas schief gelaufen ist. Wie weit Herr Fischer dort beteiligt war, das wird dann im Einzelnen zu klären sein. Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Darüber will ich auch gar nicht groß spekulieren. Es ist in der Botschaft in Kiew ja ganz offensichtlich etwas schief gelaufen. Das will ich hier auch gar nicht wegreden. Aber dass ich jetzt Ergebnisse vorweg nehmen könnte oder dass irgendjemand jetzt schon wissen könnte, wie es nun ganz genau war, das glaube ich nicht.

    Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch! - Das war der Landesvorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen Frithjof Schmidt.