Montag, 13. Mai 2024

Archiv

NRW-Kommunalwahlen
"Corona-Politik ist offenbar von den Parteien der Mitte positiv gemanagt worden"

Aus den NRW-Kommunalwahlen sei die politische Mitte gestärkt hervorgegangen, analysiert der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Dlf. Grund dafür sei auch das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie. Die Grünen hätten zudem mit Perspektiven über die Pandemie hinaus gepunktet.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Stefan Heinlein | 14.09.2020
Der noch amtierende Essener CDU Oberbürgermeister Thomas Kufen (l) freut mit dem Ministerpräsidenten des Landes, Armin Laschet.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (rechts) sieht sich durch die Kommunalwahlen bestätigt (picture alliance/dpa/Roland Weihrauch)
Die CDU ist aus den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen mit 34,3 Prozent der Stimmen erneut als stärkste Kraft hervorgegangen. Allerdings blieb die Union 3,2 Prozentpunkte hinter ihrem Ergebnis von 2014 zurück und verbuchte das schlechteste Kommunalwahlergebnis in NRW seit 1946. Gleiches gilt für die SPD. Die Sozialdemokraten, die schon seit 1999 bei NRW-Kommunalwahlen hinter der CDU liegen, büßten weitere sieben Prozent ein und kommen damit nur noch auf einen Zuspruch von 24,3 Prozent.
Große Gewinner sind die Grünen. Sie steigerten ihren Stimmenanteil um 8,3 Prozentpunkte und erreichten mit 20,0 Prozent ihr bestes Ergebnis bei Kommunalwahlen in NRW. Die FDP legte leicht auf 5,6 Prozent zu. Die AfD kam auf landesweit 5,0 Prozent - 2,5 Prozentpunkte mehr als 2014. Die Linke blieb mit 3,8 Prozent 0,8 Punkte unter dem Ergebnis von 2014.
Trotz des historisch schlechten Abschneidens von CDU und SPD sieht der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen in den Wahlergebnissen von NRW eine Bestätigung für die Parteien der Mitte. Die Mitte sei breiter geworden und habe sich stabilisiert, nicht die Extreme, sagte er im Dlf. Der Erfolg der Grünen beruhe auch auf einer Mobilisierung der jungen Wähler, bei denen allerdings auch die CDU Potenzial habe.
Stefan Heinlein: Ein selbstbewusster, ein gut gelaunter NRW-Ministerpräsident – wir haben ihn gerade mehrfach gehört. Ist Armin Laschet nun auf dem geraden Weg für höhere Aufgaben in Berlin?
Karl-Rudolf Korte: Ja, so kann es wirken. Wir haben es zwar hier mit Nebenwahlen zu tun, klassisch in der Wahlforschung, insofern mit einem anderen Gewicht. Trotzdem wird er das so deuten, und andere auch. Tages-Integrations-Weltmeisterschaft muss man ja als Parteivorsitzender erbringen und den Laden zusammenhalten als Integrationsamt nicht durch Polarisierung, sondern durch Management aus der Mitte heraus, und das hat er ja zum Thema gemacht und das wird vor allen Dingen von Sauerländern sicherlich anders interpretiert.
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
Heinlein: Über Friedrich Merz müssen wir gleich noch sprechen. Aber wenn ein Wähler jetzt am Sonntag in Herne, Kleve oder Meinerzhagen seinen Bürgermeister wählt, hat er dann im Hinterkopf, meine Stimme ist auch wichtig für die Entscheidung um den CDU-Bundesvorsitz?
Korte: Nein, auf keinen Fall. Das sind lokale Ereignisse. Und trotzdem wissen wir, dass das Wählen gehen eine komplexe Entscheidungsmischung ist aus rationalen Überlegungen, aus Information, aus Emotion. Man möchte auch Fan des Erfolgs sein, bei den Siegern dabei sein, so dass die Gesamtlage des politischen Klimas sich auch durchaus insgesamt mit abbildet, und das sehen wir auch hier. Die Corona-Politik ist offenbar von den Parteien der Mitte positiv gemanagt worden. Die Mitte ist breiter geworden, sie hat sich stabilisiert, nicht die Extreme. Das zeugt auch oder sollte uns mahnen, nicht das überzubewerten, was sich in den sozialen Netzwerken oder auf einzelnen Straßen ab und zu an Kritik darstellt.
"Die Frage der Kanzlerschaft wird sich im Frühjahr stellen"
Heinlein: Ist der Sieg von Armin Laschet damit auch eine Niederlage für den Corona-Kurs von Markus Söder, seinem möglichen Mitbewerber um die Kanzlerschaft?
Korte: So weit würde ich nicht gehen. Aber im Moment zielt man ja darauf, erst mal den Parteitag hinzubekommen und sich zu positionieren. Laschet, darf man nie vergessen, macht ein Doppelangebot mit Spahn, insofern auch ein integratives Angebot, jünger, in andere Richtungen, durchaus auch konservativer in der Anmutung und auch als Krisenmanager in dieser Doppelung. Das wird sicherlich schon sehr stark wahrgenommen von den 1001 Delegierten. Die Frage der Kanzlerschaft wird sich im Frühjahr stellen, wenn die CSU auch ein paar Monate sich angeguckt hat, wie denn der neue Manager der Union so ankommt.
Heinlein: Sie haben es bereits angesprochen: Friedrich Merz und Norbert Röttgen kommen beide aus NRW. Schmerzt die beiden besonders dieser Sieg von Armin Laschet?
Korte: Sie sind natürlich auch Partei-Loyal. Insofern wird es sie nicht schmerzen, sondern in ihrem Umfeld werden sie sehen, im Sauerland oder im Rheingebiet, in den Wahlkreisen von Herrn Röttgen spielt das natürlich auch eine Rolle, dass die CDU gut abschneidet. Hat sie ja auch. So weit würde ich nicht gehen, dass sie da jetzt praktisch Widerstand wittern oder praktisch ihm das nur neiden. Insgesamt ist das natürlich eine tagespolitische Momentaufnahme. Bis Dezember ist es in der Politik bekanntlich unglaublich lang.
Heinlein: Nicht nur die CDU hat gewonnen an diesem Wochenende, trotz leichter Verluste. Die Grünen haben stark zugelegt. Ist das auch ein möglicher Fingerzeig für Schwarz-Grün, nicht nur in NRW in manchen Kommunen, sondern auch als mögliche bundespolitische Traumkoalition in Zukunft?
Mitarbeiterinnen des Wahlteams ordnen eingegangene Wahlbriefumschläge mit Stimmzetteln der Briefwahl den passenden Wahlbezirken zu.
Wahlen NRW: CDU vorn, Grüne stark (02:56)
Die CDU hat bei den Kommunalwahlen in NRW die meisten Stimmen bekommen, und ihr schlechteste Ergebnis seit 1946. Großer Gewinner sind die Grünen, die 20 Prozent gewählt haben und Chancen haben, Oberbürgermeister zu stellen.
Korte: Bundespolitisch kann auch mit kleinen Verschiebungen immer eine Ampel möglich sein, unter Führung der Grünen, aber auch unter Führung der SPD. Das würde ich nicht abtun. Wir haben ja eine Unikat-Wahl im kommenden Jahr, ohne Titelverteidigung. Insofern gehen die vermutlich drei Kanzlerkandidatinnen oder Kanzlerkandidaten relativ gleich über die Startlinie. Das verbessert die Chancen für die anderen. Aber die Grünen sind ganz offensichtlich – und das ist eigentlich das Historische am gestrigen Tag – großer Gewinner. Sie sind offenbar auch eine kommunale Kraft geworden in NRW. Die scheinen, richtige Übersetzer zu sein in der Corona-Pandemie und als solche auch wahrgenommen zu werden. Nicht nur Spielmacher des Augenblicks, sondern eigentlich mehr, weil sie offenbar der Rettung, die sich viele erwarten, durch die Politik auch eine Richtung geben, mit einer bestimmten Moralwährung kombiniert, und das macht die Sache aus Sicht von Wählern offenbar zuversichtlich und Wähler mögen solche Gefühlsmanager des Muts und die Grünen haben so agiert, ganz offensichtlich.
Heinlein: Sind die Grünen auch besonders populär bei der jungen Generation? In NRW wurde ja bereits ab 16 Jahren gewählt. Hat das zusätzlich noch ein, zwei, drei, vier Prozentpunkte für die Partei gegeben?
Korte: Ja! Jüngere sind sehr stark mobilisierbar für die Wahl, die 16-, 17-jährigen allemal. Sie sind bei der zweiten Wahl – das sagt die Wahlforschung – dann nur noch schlecht erreichbar. Insofern ist das ein Erfolg, den man sich genau angucken muss. Sie votieren sehr stark für die Grünen, aber an zweiter Stelle für die Union. Das haben die Ergebnisse von gestern auch gezeigt. Insofern ist auch ein Terrain für die Union durchaus da bei jüngeren Menschen.
"Viele Wähler wählen offenbar aus Sentimentalität noch die SPD"
Heinlein: Reden wir über die Verlierer. Ganz klar: die Sozialdemokraten. In ihrer einstigen Herzkammer sind sie zwar weiter auf Platz zwei insgesamt in NRW, aber haben deutlich verloren. Ist damit der Scholz-Faktor bereits verpufft?
Korte: Nein, das sehe ich nicht so. Das ist eine Ebene, die man jetzt nicht einfach vermischen kann. Hier geht es um lokale Besonderheiten und man muss durchaus sehen, dass es die SPD noch auf Platz zwei geschafft hat. Wenn es bundespolitisch eine Rolle spielt, dann weniger, denke ich, der Scholz-Faktor, sondern generell die Frage der SPD, welche SPD tritt an, die Berliner SPD oder die NRW-SPD. Das wirkt ja nicht immer wirklich schlüssig. Viele Wähler wählen offenbar aus Sentimentalität noch die SPD, aber ohne erkennbar, dass man irgendwie das soziale Kompetenzzentrum mit einer Zukunftsvision vor sich hat. Ich glaube, diese bundespolitische Ausrichtung, das Alleinstellungsmerkmal nicht richtig erkennen zu können, das hat bei dieser Wahl auch durchgeschlagen, aber weniger der Scholz-Faktor.
Heinlein: Wenn jetzt aber, Herr Professor Korte, die SPD von einer Trendwende redet und das ganze Ergebnis vergleicht mit der Europawahl, dann klingt das auch vor dem Hintergrund, was Sie gerade gesagt haben, wie das Pfeifen im Walde.
Korte: Ja, und man muss trotzdem für die, die aktiv waren und die jetzt auch in zwei Wochen noch zur Wahl stehen, etwas Positives vermitteln. Deswegen kann ich das von der Deutung her verstehen. Aber es wirkt ein bisschen wie eine Interpretation aus den Ruheräumen der alten Macht heraus und es muss dennoch in zwei Wochen noch verfangen für viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, wenige Bürgermeisterinnen, aber doch Bürgermeister und Oberbürgermeister, die für die SPD weiterhin in zwei Wochen ja antreten.
Armin Laschet, CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, mit Mund-Nase-Maske beim Auftakt zum Kommunalwahlkampf der CDU NRW am 17.08.2020 in Neuss
Kommunalwahlen NRW - Abstimmung auch über Corona-Politik
Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen sind der erste große politische Stimmungstest in Deutschland über die Corona-Politik und das Krisenmanagement von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU).
Heinlein: Ein Satz vielleicht noch über die übrigen Oppositionsparteien im Bund, AfD, Linke und FDP. Sie haben es in NRW auf kommunaler Ebene offenbar schwer, schlechte Ergebnisse. Warum sehen diese drei Parteien kein Land in den Städten und Kommunen?
Korte: Soweit es das Extreme betrifft, gibt es keine Kompetenz im Sinne des Vorsorgestaates. Die Politik, die jetzt regiert hat, hat dominiert als exekutive Macht. Sie hat Leben konkret gerettet. Insofern sind diejenigen, die sich damit extrem auseinandersetzen, nicht vorne. Bei den Linken greift ganz offensichtlich auch das Bundespolitische, was hier doch durch Uneinigkeit charakterisiert ist. Die FDP muss man davon ausnehmen. Sie hat deutlich zugelegt im Verhältnis zu der letzten Wahl und insofern muss man sich das sehr kommunal, in der Spreizung sehr detailliert ansehen. Es kann durchaus sein, dass hier auch der landespolitische Trend geholfen hat, mit als Krisenlotse in der Verantwortung gewesen zu sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.