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NRW-Minister plädiert für Integration

Anlässlich des 15. Jahrestages des Brandanschlags von Solingen, dem fünf türkischstämmige Personen zum Opfer fielen, hat NRW-Integrationsminister Armin Laschet für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen geworben. Deutschland sei ein Einwanderungsland. Es liege im Interesse der deutschen Gesellschaft, "dass jedes Kind, das hier geboren wird, jede Bildungschance hat".

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Vor 15 Jahren wurde in Solingen das Haus der türkischstämmigen Familie Genç angesteckt - in voller Absicht von vier jungen Deutschen. Fünf Frauen und Mädchen starben - die älteste 27, die jüngste 4 Jahre. Die Äußerung eines Täters gleich danach hat das Entsetzen im ganzen Land verstärkt. Zitat: "Was ich gemacht habe, war doch kein Mord. Ich habe bloß das Haus angesteckt und dabei sind halt welche umgekommen". 15 Jahre ist das her. Solingen war nicht der erste Fall dieser Art und auch nicht der letzte hier bei uns in Deutschland. Am Telefon ist Armin Laschet, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen Herr Laschet!

    Armin Laschet: Guten Morgen!

    Durak: Sie, Ihre Landesregierung und andere erinnern heute gemeinsam mit der Stadt Solingen zum Beispiel und einer türkisch-deutschen Stiftung in einer Gedenkveranstaltung an die Opfer. Es gibt einen großen politischen Bahnhof, auch mit Bundesinnenminister Schäuble, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Türkei und Staatsminister für die im Ausland lebenden Türken, Ihnen und anderen. Weshalb das und weshalb so?

    Laschet: Ich denke das eine ist wichtig, die Erinnerung an solche Ereignisse wach zu halten, und das sollte nicht nur der türkischstämmigen Gemeinschaft in Deutschland überlassen werden, sondern das war zugleich auch ein Anschlag auf die deutsche Gesellschaft, dass nämlich Menschen, die inmitten unserer Gesellschaft lebten, ums Leben kamen durch diesen Anschlag. Ich denke es ist deshalb auch besonders wichtig, dass der Bundesinnenminister heute nach Solingen kommt, dort sprechen wird. Er ist der für Sicherheit zuständige Minister in diesem Lande und er will damit auch unterstreichen: Es kann sich jeder auf die deutschen Organe verlassen, wenn solche Fälle vorkommen. Das "ihr" und "wir", die Abgrenzung zwischen Zuwanderern und deutscher Gesellschaft wollen wir nicht akzeptieren und wir leben heute ja auch in einem wesentlich entspannteren Klima, als das noch 1993 der Fall war.

    Durak: Auf die deutschen Behörden kann man sich unter Umständen verlassen, aber auch auf die Deutschen - wirklich?

    Laschet: Ich glaube schon und das ist auch das besondere an Frau Genç, der Mutter, die dort ihre Kinder, Teile ihrer Familie verloren hat. Sie hat von Anfang an differenziert und gesagt, das waren Einzeltäter, aber es war nicht die deutsche Gesellschaft. Ich war im letzten Jahr am Grab der Familie in Mercimek in der Türkei und dort ist eine kleine Gedenkstätte, wo auch die türkische Fahne weht. Und sie hat quasi gebeten, auch eine deutsche Fahne ihr zu besorgen, denn sie will für diese Versöhnung zwischen Deutschen und Türken eintreten. Das hätte auch alles ganz anders sein können. Sie hätte auch zur Abgrenzung und sogar zum Hass aufrufen können, was man bei jemandem, der seine Kinder verliert, sogar vielleicht hätte verstehen können. Aber sie hat das Gegenteil gemacht und insofern ist sie auch eine beeindruckende Frau, die ebenfalls heute gewürdigt werden soll.

    Durak: Dafür sind wir dieser Frau und dieser Familie sicher auch sehr dankbar. Herr Laschet, Sie haben gesagt, in den vergangenen 15 Jahren hätte sich viel verändert in Deutschland. Gibt es keinen Ausländerhass mehr, keine Fremdenfeindlichkeit?

    Laschet: Doch, die gibt es und es gibt weiter Rechtsextremismus. Es gibt weiter ansteigende Zahlen von Rechtsextremisten, wie der letzte Verfassungsschutzbericht deutlich gemacht hat. Aber es gibt ein anderes gesellschaftliches Klima. Wir sprechen heute offen über Integration und das geht parteiübergreifend heute, ganz anders als noch vor 15 Jahren. Wir wissen, dass es auch in unserem Interesse, im Interesse der deutschen Gesellschaft liegt, dass jedes Kind, das hier geboren wird, jede Bildungschance hat. Wir machen heute Ernst mit Bildungsförderung schon vor der Schule und wir werben auch darum, dass die Menschen, die gut ausgebildet sind, hier bleiben. Wir haben also erkannt, dass wir Einwanderungsland sind. Das hat lange gedauert, aber ich glaube auch der nationale Integrationsplan der Bundeskanzlerin, viele Initiativen in den Ländern lassen doch spüren, dass sich das Klima verändert hat.

    Durak: Sie beschreiben hier mit Respekt vielleicht auch ein Wunschbild, Herr Laschet, denn es ist auch Ludwigshafen passiert. Nicht dass dies ein Brandanschlag gewesen wäre - keineswegs; es war ein Brand, aber sofort, sofort war bei ausländischstämmigen Menschen der Gedanke "das war ein Anschlag" und sogar Ministerpräsident Erdogan hat einen Besuch hier im Lande genutzt, um den Türken den Rücken zu stärken. Das heißt im Kopf ist die Angst da!

    Laschet: Ja, sie ist da. Sie ist auch nicht weg und deshalb ist auch ein Tag wie heute um so wichtiger, denn es ist letztlich dann gar nicht entscheidend, ob es in Ludwigshafen ein Anschlag war oder nicht. Sie wissen, es gibt bisher keine Belege dafür. Es haben ja auch türkische Experten mit diesen Brand untersucht. Aber wenn die Menschen subjektiv den Eindruck haben, es gibt Brände, es gibt immer wieder Anschläge gegen uns, insbesondere die türkeistämmigen Menschen, dann ist man auch weniger bereit zur Integration. Wenn man jeden Abend mit Angst schlafen geht, ist das eine Frage, die abgebaut werden muss. Ich habe mir gerade die Brandstiftungszahlen in den letzten Wochen einmal geben lassen. Es gibt natürlich Brandstiftungen gegen Häuser, in denen türkeistämmige Menschen leben. Aber es gibt eine viel höhere Zahl von Brandstiftungen gegen Häuser, in denen Deutsche leben. Das muss man dann erklären. Da muss man ein Klima schaffen, wo man wirklich unterstreicht: die Feuerwehr, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, alle sind bereit, jeden einzelnen Fall aufzuklären. Es wird nichts vertuscht und wir wollen dieses Gefühl, dieses subjektive Gefühl der Unsicherheit nehmen. Dazu ist noch viel an gegenseitigem Respekt, an gegenseitigem Klima nötig und ein Tag wie heute, wo man auch der türkischen Gemeinschaft zeigt "wir wollen, dass ihr hier seid; ihr seid in diesem Land willkommen und wenn irgendetwas an rechtsextremen Vorfällen passiert, wird das aufgeklärt", das ist ein wichtiges Signal. Wir sind aber längst noch nicht am Ende. Da würde ich Ihnen zustimmen.

    Durak: Sind Sie sicher, Herr Laschet, dass viele Menschen, die fremdenfeindliche Gedanken hegen und diese auch äußern, schon Rechtsextremisten sind?

    Laschet: Nein. Es gibt viele, die mit dem Fremden so nicht leben können, die auch innere Vorbehalte haben. Aber auch die müssen abgebaut werden. Nicht jeder ist automatisch ein Rechtsextremer. Nicht jeder würde einen Brandsatz in ein Haus werfen, wo Menschen leben. Das sind kriminelle Einzeltäter. Aber ein Klima zu schaffen, wo Zuwanderer und deutsche Gesellschaft gut zusammenleben, das bleibt eine Aufgabe und das bleibt eine Aufgabe, die man auch jeder neuen Generation wieder neu beibringen muss. Insbesondere beim Rechtsextremismus erleben wir, dass es nicht die ewig Gestrigen sind, sondern dass schon auf Schulhöfen mit moderner Musik Jugendliche gefangen werden für rechtsextreme Ideen. Deshalb muss man immer wieder neu appellieren, aufklären und für ein friedliches Zusammenleben auch unterschiedlicher Kulturen werben.

    Durak: Herr Laschet, bei der Gedenkveranstaltung heute in Solingen, die unter dem Motto steht "respektvolles Miteinander", wird ein Preis vergeben. An wen?

    Laschet: Das ist der Genç-Preis, der zum ersten Mal vergeben wird durch die Türkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung. Das ist eine Gemeinschaftsinstitution von Deutschen und Türken. Der wird vergeben zum einen an den Kölner Oberbürgermeister Schramma und zum anderen an Herrn Kaplan, der seine Familie in Ludwigshafen verloren hat. Hier geht es im Wesentlichen um eine Grundhaltung, die ausgezeichnet wird. Bei Oberbürgermeister Schramma wissen Sie, dass er ein eigenes Kind durch einen türkischen Jugendlichen verloren hat, der mit einem Auto durch die Stadt gerast ist und dabei kam der Sohn des Oberbürgermeisters ums Leben. Er ist dadurch nicht verbittert worden, sondern hat sich weiter um Integrationspolitik in seiner Stadt, in Köln bemüht. Diese Grundhaltung soll ausgezeichnet werden. Und bei Kaplan in Ludwigshafen gilt das gleiche. Er hat seine Familie verloren und hat sich trotzdem für die Feuerwehrbeamten, für die Polizei, für das Zusammenleben in Ludwigshafen eingesetzt. Wer trotz eines Schicksalsschlages weiter an der Versöhnung arbeitet, der soll ausgezeichnet werden, weil das auch das Grundprinzip von Frau Genç in Solingen war.

    Durak: Armin Laschet, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, hier im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke Herr Laschet für das Gespräch.