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NRW-Schulministerin: Frühe Förderung fängt Unterschiede auf

Nach dem schlechten Abschneiden der nordrhein-westfälischen Schüler beim letzten Pisa-Bildungstest will die neue Landesregierung konkrete Maßnahmen ergreifen. Unter anderem werde das Einschulungsalter schrittweise von sechs auf fünf Jahre gesenkt, kündigte Schulministerin Barbara Sommer an. Wenn man Kinder früh genug fördere und Unterschiede auffange, klaffe die Bildungsschere nicht gleich am Anfang auseinander.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Gestern haben sich die Kultusminister der Bundesländer gegenseitig auf die Schultern geklopft. Nach dem miserablen Abschneiden der ersten Pisa-Tests vor fünf Jahren hat nun eine Nachfolgeuntersuchung festgestellt, die deutschen Schulen sind ein bisschen besser geworden.
    Noch einmal: im Bundesländervergleich bleiben Bayern und seine Schüler Spitze, gefolgt von Sachsen, Baden-Württemberg und Thüringen. Schlusslicht Bremen und nur ein bisschen besser das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Seit kurzem erst, seitdem die rot-grüne Landesregierung abgelöst wurde, ist in Düsseldorf Barbara Sommer von der CDU die Schulministerin. Sie ist jetzt im Deutschlandfunk am Telefon. Guten Morgen Frau Sommer!

    Barbara Sommer: Guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Frau Sommer, was lehren Sie die Pisa-Ergebnisse? Was macht man anderswo besser als in Nordrhein-Westfalen?

    Sommer: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass ich sehr unglücklich über diese Ergebnisse bin, denn das ist eine Bilanz und wir sehen ja auch an anderen Stellen kann es besser gemacht werden. Die Bilanz für Nordrhein-Westfalen ist sehr schlecht und ich hatte mir für unsere Schüler – und nur um die geht es – eigentlich etwas Besseres erhofft.

    Spengler: Woran liegt es denn Ihrer Ansicht nach?

    Sommer: Ich glaube, dass wir noch nicht zielgerichtet unsere Lehrerzuweisung getätigt haben.

    Spengler: Was heißt das Lehrerzuweisung?

    Sommer: Mir ist es wichtig, dass die Lehrer dorthin kommen, wo sie wirklich gebraucht werden. Es kann nicht sein, dass alle Schulen gleich behandelt werden im Hinblick auf Lehrerversorgung. Da müssen wir sehr genau hingucken. Ein Gießkannenprinzip wird es nicht mehr geben. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass man spezifischen Schulen, die auch ein spezifisches Problem haben, auch eine andere Ausstattung vom Lehrerbedarf her geben muss als eben anderen. Da ist meiner Ansicht nach noch nicht die Gerechtigkeit eingekehrt und das wollen wir ändern.

    Spengler: Heißt das, dass man so ein bisschen die Verlagerung mehr von den Gymnasien hin zu den Hauptschulen und den Gesamtschulen macht, wo ja die Probleme größer sind?

    Sommer: Das würde ich jetzt nicht sagen. Ich denke wir müssen dort agieren, wo wirklich Mangel ist, und das ist die spezielle Schule. Dabei ist es nicht interessant, ist das nun vorrangig ein Gymnasium, eine Hauptschule oder eine Grundschule, sondern wo ist Lehrermangel, wo ist ein Bedarf und den müssen wir dann decken. Was Sie jetzt insbesondere mit der Hauptschule ansprechen, da wollen wir ja reagieren, dass wir sagen, wir wollen jetzt auch analog der Grundschule den Ganztagsbetrieb eröffnen. Ich sehe auch darin eine große Chance, Kinder beziehungsweise Jugendliche länger in der Schule zu behalten. Das glaube ich wird uns weiter nach vorne bringen.

    Spengler: Laut der Pisa-Studie gibt es ja in allen Bundesländern vor allem zwei große Probleme, nämlich einmal ein zu großes Leistungsgefälle zwischen den guten und den schlechten Schülern so groß wie nirgendwo sonst in Europa und ein zu großer Einfluss auch der sozialen Herkunft. Kinder aus armen Elternhäusern landen eher in der Hauptschule. Wollen Sie das ändern, oder ist das für Sie eine Art Naturgesetz, wer arm ist bleibt dümmer?

    Sommer: Das hoffe ich nicht. Ich glaube, dass wir sehr früh reagieren müssen. Es kann nicht sein, dass ein Schüler erst ein Schüler wird, wenn er sechs Jahre ist und in die Schule kommt. Wir wollen ja auch den Schulbeginn vorverlegen und vor allen Dingen müssen Maßnahmen vor der Schule betrieben werden. Kinder lernen von Anfang an. Wenn sie auf die Welt kommen fangen sie an, wunderbar zu lernen. Wir müssen früh genug auffangen, wenn es dort Unterschiede gibt, zum Beispiel aus Familien, wo die Anregung an die Kinder nicht so groß ist, dort gleich Stützmechanismen einzubauen, damit die Schere nicht gleich am Anfang auseinandergeht, denn lernen wollen alle und lernen können alle.

    Spengler: Sie wollen die Schulpflicht ja in Nordrhein-Westfalen, soweit ich es weiß, mit fünf einführen. Was machen Sie denn eigentlich mit den Kindern, die dann noch nicht schulreif sind? Sitzen die dann in der Schule unterm Tisch, oder was machen Sie mit denen?

    Sommer: Zunächst einmal möchten wir ja nur schrittweise die Verlagerung zum Fünfjährigen hin. Es geht ja nicht, dass man den Hebel umlegt und sagt, jetzt kommen alle Fünfjährigen hinein, sondern wir wollen monatsweise, vielleicht zweimonatsweise, dreimonatsweise den Beginn vorverlegen. Das ist das eine und zum anderen können wir uns natürlich auf diese Kinder, die dann dort sind, auch einstellen. Ein fünfjähriges Kind ist ja nicht ohne weiteres nicht schulfähig und wir haben ja vor, zwei Modelle zu fahren in Nordrhein-Westfalen, wenn es erfolgreich war: die flexible Schuleingangsphase an den Schulen, die das wollen, weiterzuführen und zum anderen wieder eine Form der Förderklasse. Ich möchte das nicht mehr Schulkindergarten nennen, weil der Begriff ist meine ich verbraucht. Aber eine Förderklasse wird diejenigen Kinder, die diese Förderung brauchen, unterstützen. Das ist nicht unbedingt das junge Kind. Das kann auch das ältere Kind sein.

    Spengler: Gibt es denn für diese Förderkinder sozusagen auch neue Schulmaterialien, oder müssen die mit den Materialien, die normalerweise Sechs- und Siebenjährige bekommen, auskommen?

    Sommer: Wir haben ja Kompetenzen. Wir haben ja in den ehemaligen Schulkindergartenleitungen Fachkräfte, die sehr gut vor Ort gearbeitet haben und die auch Qualifikationen haben, die zum Teil die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Ausbildung nicht genossen haben, und auf die möchte ich auch zurückgreifen.

    Spengler: Wenn der große Leistungsunterschied das große Problem ist, müsste man dann nicht alles, was diesen Leistungsunterschied begünstigt, abschaffen, also zum Beispiel die frühe Selektion schon nach Klasse vier?

    Sommer: Gut, das ist eine Sichtweise. Wir möchten einen anderen Weg gehen. Die Bundesländer, die erfolgreich waren und erfolgreich sind jetzt nach Pisa, haben deutlich das gegliederte Schulsystem. Das möchten wir beibehalten. Das heißt nicht zum Beispiel, dass ich die Gesamtschule abschaffen werde, aber sie wird unter den gleichen Bedingungen laufen wie alle anderen Schulformen auch. Ich glaube die einzelne Schulform sollte man stützen. Das heißt auch, dass man sehr deutlich und sehr früh immer wieder Lernstandserhebungen einführen muss und überprüfen muss wo steht mein Kind und nicht was kannst du nicht, sondern was könntest du erreichen wenn. Ich glaube man kann auch Lernstandserhebungen und Überprüfungen derlei Art sehr positiv sehen.

    Spengler: Sind Lernstandserhebungen dasselbe wie Notengebung?

    Sommer: Nein, das sind keine Notengebungen, sondern das sind Erfahrungen, die man macht. Das Stichwort ist zum Beispiel Vera. Das ist eine Lernstandserhebung, die wir zum Beispiel in der Grundschule bald im dritten Schuljahr machen werden. Da wird in Mathematik und Deutsch der Lernstand überprüft und zwar landesweit und da wird man sehen, wo sind einzelne Schwächen. Mir geht es darum, nicht zu sagen da ist eine Schwäche oder da ist eine Schule schlecht, sondern es geht mir darum was muss ich tun, damit die Schule aufschließt.

    Spengler: Frau Sommer, was ich noch nicht ganz verstanden habe ist, warum es wirklich diese frühe Selektion nach Klasse vier gibt. Warum macht man das nicht nach Klasse sechs, einfach später, dass man die Kinder länger zusammen lässt?

    Sommer: All die Erfahrungen in anderen Bundesländern, zum Beispiel in Niedersachsen, zeigen ja, dass die Orientierungsstufe sich nicht bewährt hat. Ich glaube schon, dass auch nach vier Jahren mit all den Fördermaßnahmen, mit all diesen Unterstützungskonzepten, was wir ja vor haben, ein Lehrer sehr genau weiß, wohin der Weg gehen kann. Außerdem – und das ist ja auch sehr wichtig – haben wir unter den einzelnen Schulformen eine große Durchlässigkeit, so dass es nicht heißt, ich bin Realschüler und muss da immer bleiben. Da müssen wir auch genau hingucken, dass das möglich wird und dass nicht Schüler in einem System gefangen sind, in dem sie nicht bleiben sollten, weil sie bessere Leistungen erbringen.

    Spengler: Ich wollte gerade sagen: haben wir die wirklich schon, diese große Durchlässigkeit, von der Sie gerade reden?

    Sommer: Nein, nein. Ich glaube da muss an vielen Stellen noch sehr genau geguckt werden, weil natürlich auch die Tendenz besteht – das ist eine natürliche Sache – zu sagen, ich habe hier einen guten Schüler in der Klasse meiner Realschule beispielsweise, schade, wenn ich ihn ans Gymnasium abgeben müsste. Analog ist das auch in der Hauptschule zu sehen. Aber da müssen wir doch vom Schüler aus denken und ich glaube, dass da in den Köpfen der Lehrer auch noch ein Umdenken stattfinden muss.

    Spengler: Das war Barbara Sommer, die nordrhein-westfälische Schulministerin. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Sommer!

    Sommer: Ich danke Ihnen!