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NRW-Schulministerin: Kopfnoten fördern Sozialkompetenz

Die Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, Barbara Sommer, hat die Vergabe von Kopfnoten in ihrem Bundesland verteidigt. Das Arbeits- und Sozialverhalten sei auch bisher schon in die Fachnote mit eingeflossen. Jetzt werde lediglich die Kopfnote aus der Notengebung für ein Fach herausgenommen.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Die Politikerin, die sich gegen alle Einwände durchgesetzt hat und manche Schulen disziplinarisch anweisen musste, die Noten auch wirklich zu geben, ist nun am Telefon, die christdemokratische Schulministerin in Nordrhein-Westfalen Barbara Sommer. Guten Morgen, Frau Sommer!

    Barbara Sommer: Ich grüße Sie! Guten Morgen!

    Spengler: Frau Sommer, wollen Sie den Lehrern mit den Kopfnoten wieder mehr Macht über die Schüler geben? Dienen Kopfnoten der Disziplinierung?

    Sommer: Eine Note, wie wir sie geben wollen im Rahmen der Kopfnoten, ist zunächst einmal eine Note für den Schüler oder die Schülerin und dann auch in zweiter Linie für die Eltern. Denn das wollen wir in den Mittelpunkt rücken. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler etwas wissen über ihre Persönlichkeit. Wie werden sie von außen gesehen. Das ist uns wichtig.

    Spengler: Aber ein Lehrer könnte nun künftig einem frechen Schüler, der ansonsten gute Fachnoten hat, zeigen, wo die Harke hängt?

    Sommer: Ich glaube, dass das gar nicht so wild werden wird, weil ich ganz sicher annehme, dass die meisten Schüler sicherlich ein "gut" oder sogar noch besser verdient haben. Aber es ist keiner verpflichtet in unserem Land, in unseren Schulen, sich schlecht zu verhalten. Und ich glaube, dass gerade die Sozialkompetenz ein Softskill ist, wie man heute so schön sagt, der wirklich benötigt wird.

    Spengler: Eine weiche Fähigkeit?

    Sommer: Eine weiche Fähigkeit, ein weiches Kriterium ist, das benötigt wird, eben um einen sehr sicheren Übergang von der Schule in die Zukunft, das heißt in die Arbeitswelt, auf die Universität zu bekommen.

    Spengler: Nun sagen ja viele Kritiker: Wir wollen ja das Arbeits- und das Sozialverhalten von Schülern beurteilen, aber eben nicht als Note, sondern in zwei Zeilen als kleine Handreichung an die Eltern, als Berichtsform, wie es das ja bislang auch schon in den Grundschulen gibt. Warum reicht das nicht, so eine Beurteilung? Warum müssen es pauschale Noten sein?

    Sommer: Zunächst einmal ist es ja auch möglich, das zu tun.

    Spengler: Zusätzlich?

    Sommer: Es ist durchaus die Möglichkeit eröffnet, das zusätzlich zu tun. Wenn man das möchte, wenn man sagt: Ich möchte das noch mal unterfüttern, ich möchte es noch mal erklären an die Eltern, kann man das tun. Ich bin ja nun lange, lange selbst in der Schule gewesen, und ich habe mir jetzt auch noch einige Bemerkungen herausgekramt. Sie sind ja gerade darauf eingegangen. Es ging darum, dass Grundschulen seit langer Zeit die Praxis üben, das Arbeits- und Sozialverhalten in einem Fließtext zu gestalten. Und ich frage Sie jetzt mal: Was halten Sie denn davon, wenn da steht: Claudia arbeitete manchmal gern mit ihren Klassenkameradinnen zusammen? Ist das Sozialverhalten? Ist das Arbeitsverhalten? Was ist denn "manchmal"? Manchmal oder manchmal gern? Wir müssen auch sagen: Eine Note ist eine eindeutige Note eben für die Eltern, die das nicht noch dechiffrieren müssen, die nicht noch lange nach Erklärungen suchen müssen und auch ein Schüler. Ich sagte ja eingangs, die Note gehört dem Schüler in erster Linie, weiß im Grunde genommen, was er da damit anfangen muss, und eigentlich jeder Schüler.

    Spengler: Frau Sommer, darf ich Sie umgekehrt fragen: Was ist denn genau Verantwortungsbereitschaft. Die wird ja benotet. Wenn man einen Schüler verpetzt oder wenn zu ihm hält?

    Sommer: Verantwortungsbereitschaft und andere Kriterien, die wir ja genannt haben, um eine Benotung zu finden, sind ja noch mal für die Hand des Lehrers aufgeschlüsselt worden. Wir haben im Mai letzten Jahres diese Handreichung herausgegeben. Lehrerinnen und Lehrer konnten sich damit befassen, konnten sich darauf vorbereiten. Und wir haben Hinweise gegeben für die Lehrerinnen und Lehrer. Natürlich steht es jeder Schule frei, darüber noch mal zu diskutieren, was verstehen wir unter unserem speziellen Schulprofil darunter. Aber ich denke, da ist eine Vorleistung geschaffen worden, an der man sich orientieren kann.

    Spengler: Auf die komme ich gleich noch, auf diese Kategorien. Lassen Sie mich trotzdem die Frage stellen, ob sich das Arbeits- und Sozialverhalten wirklich genauso objektiv messen lässt wie Fehler in einer Mathe- oder in einer Deutscharbeit.

    Sommer: Wir müssen wissen, und das wissen eben viele nicht, dass das Arbeits- und Sozialverhalten immer schon in die Note einfloss. Wenn Sie eine Geschichtsnote bekommen haben, dann haben Sie immer auch schon integriert eine Benotung für Sozial- und Arbeitsverhalten gehabt. Das hat der Lehrer oder die Lehrerin ja auch nicht an den Knöpfen herbeigezählt, sondern es wurde ja auch aufgrund von Lehrerkriterien letztlich zusammengestellt. Ich frage mich jetzt: Was ist jetzt neu, wenn wir das aus der Notengebung für ein Fach herausnehmen und das jetzt isoliert einem Schüler noch mal mitteilen?

    Spengler: Wenn ich es richtig verstehe, ist der Haupteinwand gegen die Kopfnoten, der vor allen Dingen von den Lehrern erhoben wird, überbordende Bürokratie, eine gewaltige Mehrarbeit. Die GEW spricht von zwei Millionen Arbeitsstunden pro Schuljahr mehr.

    Sommer: Man kann natürlich, wenn man denn so will und wenn man die Benotung in diesen Bereichen ablehnt, auch solche Hochrechnungen anstellen. Ich gehe mal davon aus, und da sagte ich eben schon, dass die größte Anzahl der Jugendlichen und Kinder in unseren Schulen sich entsprechend der Note "gut" oder vielleicht sogar darüber hinaus befinden. Und es ist doch auch vielleicht für ein Kollegium einsichtig zu sagen: Wer ist denn derjenige, der sich von dieser Note positiv oder vielleicht eben mal nicht positiv abhebt? Und darüber müssen wir sprechen. Und diesen Schülern müssen wir eine Rückmeldung geben.

    Spengler: Ich will trotzdem noch mal auf die Bürokratie zu sprechen kommen. Sie haben ja selber schon die Indikatoren angesprochen. Ich habe mal nachgezählt. 50 verschiedene Indikatoren sind das für die sechs Kopfnoten. Mit denen versuchen Sie sozusagen, das nicht Objektivierbare zu objektivieren, den Lehrern zu helfen, wie man denn zu einer solchen Note kommt. Jetzt die Frage: Wie viel Zeit braucht denn ein Lehrer, um diese 50 Indikatoren pro Schüler abzuarbeiten?

    Sommer: Wenn wir davon ausgehen, dass, wie gesagt, im letzten Jahr diese Handreichung in die Schule gegangen ist, jeder wusste, wann ist das Schulgesetz in Kraft getreten, das ist noch länger her, dann befasst man sich, und so ist das in dem Großteil aller Schulen passiert, mit dieser Handreichung. Und dann legt man fest und dann bespricht man. Dieser Katalog ist ja auch ein offener Katalog. Es sind ja keine Indikatoren, die genau abgearbeitet werden sollen, sondern es ist ein Hinweis, eine Hilfestellung für Lehrerinnen und Lehrer. Ich glaube, das ist sehr laut und sehr weit gekräht, wenn man über diesen Umfang an Bürokratie beziehungsweise an Stundenaufkommen spricht.

    Spengler: Aber ich habe es durchgerechnet. Vier Minuten pro Schüler für die 50 Indikatoren, das ist ja nicht zu viel, vier Minuten, heißt dann tatsächlich 1.100 Lehrerstellen. Wäre die Zeit nicht besser genutzt, den Schüler ein besseres Arbeits- und Sozialverhalten beizubringen?

    Sommer: Ja, aber was will man denn damit, "beizubringen"? Wie denken Sie denn? Das fällt nicht vom Himmel, sondern man muss eine Basis haben, auf der man sich vereinbart und sagt, so sieht das Arbeitsverhalten oder das Sozialverhalten aus. Und von dort aus wird letztlich auch wie in einem normalen Schulfach eben auch festgelegt, an welchen Stellen kannst du dich noch verbessern. Wo kannst du noch gefördert werden. Denn ich meine, man muss ja zunächst einmal einen gemeinsamen Nenner finden, und der wird auch in dieser Note dann zutage treten.

    Spengler: Barbara Sommer, die christdemokratische Schulministerin in Nordrhein-Westfalen. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet. Morgen geht im Deutschlandfunk in der Sendung "Pisa plus" ab 14.05 Uhr eine knappe Stunde lang ausschließlich um die Kopfnoten.