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NRW-Wahlkampf - Die F.D.P wirb mit Adolf Hitler

Gerner: Deutschlands berühmtesten Fallschirmspringer, dem F.D.P.-Politiker Jürgen W. Möllemann, ist es einmal mehr gelungen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auf einem Plakat für die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen bedient sich Möllemann der Person Adolf Hitlers. Dessen Konterfei mit SA-Uniform prangt in der Mitte eines Großplakates. Hitlers Foto ist links von einem Guru flankiert und rechts von einem Horror-Kultstar. Darunter der Schriftzug: "Wenn wir nicht schnell für mehr Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche. NRW braucht Tempo. Möllemann". Am Telefon ist der Grafiker und Verleger Klaus Staeck, bekannt für viele politisch ebenfalls provozierende Plakatideen und SPD-Mitglied. Einen schönen guten Morgen.

    Staeck: Guten Morgen.

    Gerner: Herr Staeck, was denken Sie über dieses Plakat?

    Staeck: Nun ja, zunächst einmal ein Gag des Herrn Möllemann, wenn man das ganz locker nehmen will, und Herr Möllemann ist ja - vergleichbar den Aktionskünstlern - ein Aktionspolitiker für mich immer gewesen. Sie haben ja eben den Fallschirmspringer erwähnt. Der Mann versucht mit allen möglichen Aktionen Aufmerksamkeit zu schaffen. Ob das unbedingt der Politik gut tut, das wage ich zu bezweifeln.

    Gerner: Wo liegen Ihre Bedenken?

    Staeck: Nun ja - wissen Sie -, also heute mit Adolf Hitler zu kommen, das ist schon ein ‚dickes Hündchen', um es mal ein bißchen salopp auszudrücken. Und dann muss man fragen: Was ist eigentlich die Botschaft. Ich gehöre ja zu den Leuten, die auch mal ein bißchen dahinterleuchten und nicht nur die Provokation sehen. Und dann muss ich sagen, also ...'suchen sich unsere Kinder selber welche' - also diese Lehrer, die sie sich angeblich dann suchen? Ich glaube, die suchen sich viel eher berühmte Sportler, wie einen Schumi, Boris oder wie eine Steffi, oder Börsenmakler oder am Ende Besserverdienende, aber nicht unbedingt diese Gestalten.

    Gerner: Würden Sie denn zugestehen, dass es immerhin bei jungen Menschen Interesse auslösen kann, sich mit den Menschen, die man da im Bild sieht, auseinanderzusetzen?

    Staeck: Also da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, es wird eher bei den Älteren eine gewisse Provokation erreicht. Und Sie haben es ja schon erwähnt: Wir helfen ja da so ein bißchen mit im Augenblick. Bei vielen Plakataktionen dieser Art habe ich festgestellt in letzter Zeit: Das werden Sie in großer Zahl gar nicht im Wahlkampf sehen, sondern in der Regel reicht die Vorstellung vor Presse und Medien. Da wird es schön transportiert - in der FRANKFURTER RUNDSCHAU hab ich's gesehen -, und wann wird schon mal ein Plakat sonst abgebildet? Also in der Regel ist das dann schon abgefeiert, und von daher ist Herr Möllemann jemand, der die Medien bedient. Aber das war's dann - glaube ich - auch. Gerade in diesen Zeiten, wo es um ganz andere Themen geht, wo die Glaubwürdigkeit aller Politiker doch nun auf eine sehr ernste Probe gestellt wird, kommt man mit solchen Aktionen nicht sehr weit.

    Gerner: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe: Sie würden sagen, das ist demagogisch - aber von der Meinungsfreiheit gedeckt?

    Staeck: Die Meinungsfreiheit geht ja - Gott sei Danke - sehr weit bei uns. Insofern wird man ihn da nicht ‚an den Karren fahren' können, an den Plakatkarren. Aber auch Satire hat nicht unbedingt Grenzen, aber es gibt ganz bestimmte Tabus. Und wenn man an bestimmten Tabus rührt, muss man Gründe haben, warum man das tut. Also, ich habe es nun auf viele Prozesse gebracht, aber der Kern jedes satirischen Plakates muss auf Wahrheit beruhen.

    Gerner: Das Foto Adolf Hitlers ist ein Tabu?

    Staeck: Das meine ich schon, ja. Also, nennen Sie mir mal eine Partei, die in den vergangenen 50 Jahren mit Adolf Hitler im Wahlkampf geworben hat. Also, Möllemann greift ja immer sehr tief - um das mal ganz vorsichtig auszudrücken -, und das passt zu ihm. Ob das seiner Partei hilft, habe ich große Zweifel. Nun muss man allerdings der F.D.P. zugestehen, dass sie in einem Verzweiflungskampf ist. Also wenn man so darniederliegt wie diese wunderbare Fallschirmspringertruppe von Herrn Möllemann, dann muss man ihr auch schon ein bißchen einen Freiraum zugestehen, wo man den anderen sagt: Das lasst mal lieber bleiben.

    Gerner: Ich erinnere mich: Im Zusammenhang mit dem Möllemann-Plakat fallen mir Bennetton-Werbungen - die Bekleidungsfirma - ein. Da wird mit HIV-positiven Menschen geworben, mit ölverschmierten Vögeln, jetzt auch mit Todeskandidaten, die in Zellen in den USA sitzen. Ist das die Lust an der Provokation, die auch aus dem Möllemann-Plakat spricht - der Zeitgeist, der sich durch die Plakate schleppt?

    Staeck: Gut, Herr Möllemann mag ja ein Zeitgeistflieger auch sein, das ist sicher so. Ich habe genau so etwas gegen Pullover-Werbung, die mit Tabuthemen jongliert, anders kann man das nicht nennen. Aber wissen Sie - um es mal ein bißchen generell einzuordnen: Die F.D.P. ist ja ein Teil eines 16jährigen Systems, das in der Bundesrepublik sehr viele Maßstäbe außer Kraft gesetzt hat. Und das Plakat ist nur ein bildlicher Beweis für diese These. Also, die Maßstäbe sind ohnehin nur noch schwer auszumachen. Das ist ja auch das, was die Bürger auch teilweise zur Verzweiflung bringt, die an eine demokratische Substanz immer fest geglaubt haben und die auch dafür eintreten, dass sie erhalten bleibt. Ich glaube, es ist nicht hilfreich, mit solchen Plakaten zu kommen. Aber jeder - so gut er kann. Die freie Wildbahn erlaubt ja vieles, und Herr Möllemann ist nur ein Trampolinspringer, und er wird letztlich die Quittung der Wähler bekommen. Die entscheiden darüber, ob so etwas wirksam ist oder nicht.

    Gerner: Sind Sie dafür, dass die Plakate wieder abgenommen werden? Was soll man damit tun?

    Staeck: Nein, ich fürchte - das heißt, ich nehme an - dass diese Plakate in der Öffentlichkeit gar nicht geklebt werden. Ich komme zurück auf das, was ich vorhin gesagt habe: Ich glaube, das war wieder nur ein Mediengag. Viele Zeitungen werden es bringen, werden es abbilden, im Fernsehen wird es gezeigt werden. Und das war's dann. Plakate dieser Größe - auch wenn es ein großflächiges Plakat sein soll - sind sehr teuer, auch teuer zu kleben. Und ganz geschickte Medienmanager streuen das im Vorfeld - und das war es dann.

    Gerner: Die F.D.P. wirbt mit Adolf Hitler. Professor Klaus Staeck war das, SPD-Mitglied und bekannt für zahlreiche politische Plakataktionen.

    Link: Die F.D.P in NRW