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NS-Propagandafilm "Jud Süß"
Boshafte und geschichtsverfälschende Judenhetze

Zum berüchtigten kulturellen Erbe der NS-Zeit gehörten auch die Propagandafilme: antisemitisch, gewissenlos und geschichtsverfälschend. Einen der übelsten Filme produzierte der NS-Star-Regisseur Veit Harlan. Heute vor 75 Jahren wurde der Spielfilm "Jud Süß" auf den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt.

Von Hartmut Goege | 05.09.2015
    Eine Besucherin steht vor einem Filmplakat zur Sonderausstellung zum Propagandafilm im NS-Staat - Jud Süss - im Haus der Geschichte in Stuttgart.
    Als "Jud Süß" am 5. September 1940 auf der Biennale in Venedig uraufgeführt wurde, waren die Zuschauer im faschistischen Italien begeistert. ( imago / Horst Rudel)
    Als "Jud Süß" am 5. September 1940 auf der Biennale in Venedig uraufgeführt wurde, waren die Zuschauer im faschistischen Italien begeistert. Das vom Propagandaministerium in Auftrag gegebene Machwerk war ganz nach Goebbels Geschmack und für ihn der erste wirklich antisemitische Film, wie er in seinem Tagebuch vermerkte. Die Mischung aus tragischer Liebesgeschichte, boshafter Judenhetze und dramatisch inszenierten Massenszenen sollte vorhandene Vorurteile vertiefen.
    "Totschlagen, totschlagen den Sünder, der Jude muss weg, der Jude muss weg."
    Regie führte der Star des NS-Unterhaltungskinos und Spezialist für publikumswirksame rührende Melodramen Veit Harlan, vor dem sich auch der damals noch junge – und spätere italienische Meisterregisseur - Michelangelo Antonioni in einer überschwänglichen Film-Kritik verbeugte: "Wenn dies Propaganda ist, so begrüßen wir Propaganda. Dies ist ein überzeugender, prägnanter und außerordentlich wirkungsvoller Film."
    Presse durfte den Film nicht als antisemitisch bezeichnen
    Erzählt wird von Harlan die Geschichte des Juden Joseph Süß Oppenheimer, der im 18. Jahrhundert in den Diensten eines deutschen Fürsten steht. Aber anders als nach den historisch verbürgten Tatsachen, in denen der Württemberger Herzog Karl Alexander nach neuen Einnahmequellen für seinen verschwenderischen Staatshaushalt sucht und in Süß Oppenheimer einen loyalen Finanzberater und Steuereintreiber findet, vereinigen Goebbels und Harlan in seiner Person alle Stereotypen des hinterlistigen Juden: Oppenheimer verführt den Herzog zum prunkvollen Lebensstil und nutzt seinen Einfluss, um in Stuttgart den Judenbann aufzuheben und sich selbst maßlos zu bereichern.
    "Nach Stuttgart kommt kein Jude rein, das weißt Du doch."
    "Wenn Seine Durchlaucht ein Interesse daran hat, mit mir ins Geschäft zu kommen, so werden Eure Exzellenz gewiss Mittel und Wege finden, mir einen Pass zu verschaffen, der mir an der Grenze alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumt."
    Harlan inszeniert Oppenheimer als geldgierigen Machtmenschen, der selbst vor der Vergewaltigung einer arischen Frau nicht zurückschreckt. Nach dem Tod des Herzogs aber fällt der verhasste Oppenheimer beim Volk in Ungnade und wird gehängt. Für das NS-Prestigeprojekt erhielt der Regisseur fast unbegrenzte Mittel. Selbst 120 jüdische Komparsen wurden aus den Gettos der eroberten Ostgebiete zusammengesucht. Besonders perfide war: In der gleichgeschalteten Presse durfte der Film nicht als antisemitisch bezeichnet werden. Umso mehr machte er deshalb viele Besucher glauben, dass sich der Fall Oppenheimer wirklich so zugetragen hatte.Der jüdische Journalist Ralph Giordano, damals 17 Jahre alt, erinnerte sich an den Kinobesuch in Hamburg.
    Der Filmregisseur Veit Harlan filmt 1954 auf dem Münchner Flughafen mit einer Schmalfilm-Kamera.
    Veit Harlan, der repräsentative Regisseur des Dritten Reichs (picture alliance / dpa / DB Göbel)
    "Einer meiner Freunde, der schwieg, als wir nach Hause gingen, und es war irgendwie ein bedrückendes, ein unheilvolles Schweigen … und dann hat er einen Satz ausgesprochen, der mich wirklich tief getroffen hat. Er sagte, irgendwas muss doch dran sein."
    Pflichtprogramm für Himmlers SS
    Bis 1943 hatten über 20 Millionen "Jud Süß" gesehen; hochkarätig besetzt mit Schauspielern wie Heinrich George, Werner Krauß, Kristina Söderbaum und Hauptdarsteller Ferdinand Marian. In geheimen Meldungen berichtete der Sicherheitsdienst SD dem Propagandaministerium, welche Wirkung der Film auf die Zuschauer hatte: "Nach übereinstimmenden Berichten aus dem ganzen Reich findet der Film 'Jud Süß' eine anhaltend zustimmende Aufnahme. So kam es zum Beispiel in Berlin zu Ausrufen wie 'Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den letzten Juden aus Deutschland‘!"
    In den besetzten Gebieten war "Jud Süß" Pflichtprogramm für Himmlers SS, ebenso für KZ-Wachmannschaften. Für seine Verdienste wurde Harlan 1943 von Goebbels ausgezeichnet. "In Ihren besten Filmen haben Sie, besonders während des Krieges, das deutsche Volk beim Portepee gefasst und es dadurch in seiner moralischen Widerstandskraft gestärkt. Der Führer anerkennt Ihre hervorragenden künstlerischen Leistungen dadurch, dass er Ihnen den Titel Professor verleiht."
    Nach dem Krieg wurde Veit Harlan wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gemacht, am Ende wurde er aber freigesprochen. Erst Jahre später kam heraus, dass der zuständige Richter während der NS-Zeit als Staatsanwalt für zahlreiche Todesurteile verantwortlich war.