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NSA und CIA
Norwegen als Spionage-Hochburg

Der Journalist Bård Wormdal beschreibt in seinem Buch, wie Norwegen seit dem Kalten Krieg zum Dreh- und Angelpunkt von Spionagetätigkeiten für die USA und die NATO wurde. Er sprach mit Zeitzeugen und nutzte unter anderem Dokumente, die Edward Snowden öffentlich gemacht hat.

Von Berthold Forssman | 30.05.2016
    Das Logo des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA)
    Norwegen spionierte in erster Linie für die USA (dpa / picture-alliance / Nicolas Armer)
    Der Domen ist ein ganz besonderer Ort in der Finnmark. Hier ist Norwegen zu Ende. Eisige Polarwinde fegen über die Landspitze hinweg, und der Ausblick auf die schneebedeckten Berghänge ist grandios. Der Horizont erstreckt sich so weit, dass man geradezu die Krümmung der Erdoberfläche erahnen kann. Vom höchsten Gipfel sieht man den östlichsten Punkt des Landes. Aber dahinter sieht man noch etwas anderes: die Schiffe auf dem russischen Teil der Barentssee. Hier führt die mächtige Nordmeerflotte ihre Manöver durch, und der Luftraum ist Tummelplatz für russische Kampfflugzeuge, die von hier zu ihren Erkundungsflügen aufbrechen. Und noch weiter oben, über den Pol hinweg, verlaufen die Flugbahnen für Interkontinentalraketen."
    In der Nähe des Domen befindet sich auch die 6000-Seelen-Gemeinde Vadsø mit ihrer weithin sichtbaren Abhörstation mit hunderten Mitarbeitern. Doch was in ihrem Inneren genau passiert – das erahnen die Anwohner allenfalls. Ähnliches gilt für die "Marjata". Das unauffällige Schiff sieht man auch mal an den Anlegern der Fährlinie "Hurtigruten" vor Anker liegen, deklariert als Forschungsschiff. Aber seine Aufgabe besteht in Wirklichkeit aus Spionageeinsätzen auf der Barentssee.

    Angst vor einem atomaren Angriff aus dem Osten
    Bård Wormdal beschreibt zuerst, wie Norwegens Grenzregion im Kalten Krieg in den Fokus des Interesses der Amerikaner geriet. Nach Beginn der Konfrontation zwischen den Supermächten herrschte in den USA Angst vor sowjetischen Flugzeugen, die mit Atombomben über den Nordpol fliegen könnten. Später folgte die Angst vor Atom-U-Booten mit Raketen an Bord.
    Darum wurde im hohen Norden zu Land und zur See spioniert und abgehört, was das Zeug hält. Es wurden Flugbewegungen registriert, Funksprüche aufgeschnappt, Codes geknackt, Signale entschlüsselt und ausgewertet. Mit Erfolg: Norwegischen Erkenntnissen ist es zu verdanken, dass Atomtests vorausgesagt werden konnten, verschwundene Flugzeuge wurden aufgespürt, und es ließen sich sogar Rückschlüsse über Pläne der Sowjetunion in anderen Teilen der Welt ziehen.
    "Zu Beginn der 50er-Jahre sind in Vadsø 20 Mitarbeiter angestellt, zwei Jahrzehnte später sind es bereits zehnmal so viele. Zwei Drittel von ihnen werden aus US-Geldern bezahlt, aber kaum jemand in Norwegen weiß davon. Die eigentliche Aufgabe der Station Vadsø bleibt ein gut gehütetes Geheimnis. Im Pentagon ist man begeistert, denn die Station liefert ständig neue Erkenntnisse und Informationen, darunter über sowjetische Atomraketen mit dem Ziel USA."

    Norwegen spioniert vor allem für die NATO
    Wormdal bezeichnet die norwegische Spionagetätigkeit als wichtigsten Beitrag seines Landes zur NATO-Zusammenarbeit. Für Norwegen ergibt sich daraus auch der Vorteil, dass man sich vor anderen unbequemen Aufgaben drücken kann.
    Für die Sicherheit Norwegens im eigentlichen Sinne leisten die Erkenntnisse dagegen keinen nennenswerten Beitrag, und der Preis für die eigene Bevölkerung ist hoch. An die Mitarbeiter der Abhöreinrichtungen werden enorme Anforderungen gerichtet. Sie werden nach strengen Kriterien ausgesucht und zu monatelangen Russisch-Kursen in die USA entsendet, fast ohne Kontakt nach Hause.
    Die Abhörstation in Vadsø heißt offiziell "Militärische Versuchsanstalt", ihre Mitarbeiter werden daher im Volksmund scherzhaft als "Kaninchen" bezeichnet. Wormdal hat auch mit ihren Angehörigen gesprochen.

    "Weitgehend ohne Wissen der Öffentlichkeit haben hunderte Ehefrauen unter ständiger Unsicherheit und Unruhe gelitten – ob nun durch den Dienst in einer abgelegenen Region nahe der Grenze zur Sowjetunion oder weil sie ständig in einem Spannungsfeld zwischen Vermutungen und Ahnungslosigkeit über die eigentliche Tätigkeit ihrer Partner lebten. Anne-Marie, eine dieser "Kaninchenfrauen", erzählt von vielen Scheidungen in ihrem Bekanntenkreis, von Krankheiten und psychischen Problemen aufgrund der ständigen Belastungen und sogar von Todesfällen."
    Einige Fragen bleiben offen
    Wormdal hat noch mit weiteren norwegischen Zeugen und sogar mit einem früheren Besatzungsmitglied eines sowjetischen U-Boots gesprochen. Das alles macht seine Schilderungen farbig, wenngleich der ständige Wechsel zwischen verschiedenen Erzählformen und Zeitebenen auch für Verwirrung sorgt. Fragen, die sich dem Leser immer stärker aufdrängen, werden mitunter an ganz anderer Stelle beantwortet oder bleiben am Ende offen.
    Wenn alles so geheim ist: Warum können Wormdals Interviewpartner dann so offen sprechen? Welche norwegischen Institutionen sind es genau, die diese geheime Zusammenarbeit mit den USA dulden oder gar fördern?
    Bei näherer Betrachtung der Quellen wird außerdem deutlich, dass viele Erkenntnisse gar nicht so neu sind. Und wie Wormdal selbst sagt: Geheimdienstarbeit muss geheim sein und bleiben – diesen Widerspruch vermag der Autor nicht endgültig aufzulösen.
    Bekannte Fakten werden neu zusammengesetzt
    Die Stärke des Buchs liegt aber weniger in seinen Enthüllungen. Vielmehr ist es Wormdal gelungen, teilweise auch schon bekannte Fakten zu einem neuen Gesamtbild zusammenzufügen. Einzelaspekte, die auch bei deutschen Lesern Erinnerungen wachrufen, werden in einen neuen Zusammenhang zueinander gestellt, und streckenweise liest sich das Buch spannend wie ein Krimi.
    Norwegen spielt noch immer eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, dem großen Nachbarn im Osten in die Karten zu schauen. Aber Wormdal stellt zu Recht auch eine ganz entscheidende Forderung in den Raum: Wenn diese Abhörpraktiken auch in Zukunft benötigt werden, wenn Norwegen dafür Millionensummen ausgibt und sich dabei zum willfährigen Vasallen der USA macht – dann muss der Öffentlichkeit zumindest ansatzweise reiner Wein eingeschenkt werden.
    Bård Wormdal: "Die Spionagebasis – die unbekannte Geschichte von CIA und NSA in Norwegen"
    Verlag Pax Forlag, Oslo 2015, 178 Seiten (195 mit Quellenverzeichnis und Fußnoten) ISBN: 978-82-530-3822-3