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NSA-Untersuchungsausschuss
Linken-Obfrau: "Rechte der Opposition massiv verletzt"

Die Themen, zu denen Snowden gehört werden solle, seien seit Monaten klar umrissen, sagte Martina Renner, Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss im DLF. Mittlerweile hätten sich Grundsatzfragen entzündet, es komme zu "Verfahrenstrick seitens der Großen Koalition". Wegen des nahenden Endes von Snowdens Asyl in Moskau sei Eile geboten.

Martina Renner im Gespräch mit Mario Dobovisek | 10.04.2014
    Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner, steht in einem Pulk von Mikrofonen
    Martina Renner schließt rechtliche Schritte nicht aus (dpa / Daniel Naupold)
    Mario Dobovisek: Aufklären soll er sie, die NSA-Abhöraktionen in Deutschland, der NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Wichtiger Kronzeuge dabei könnte Edward Snowden sein, also jener frühere NSA-Mitarbeiter, der mit seinen umfassenden Veröffentlichungen die Debatte erst ins Rollen brachte. Die Opposition möchte ihn einladen, doch die Große Koalition hat Vorbehalte. Statt Aufklärung also erst einmal Streit vor der zweiten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses, über den dessen Vorsitzender Clemens Binninger überraschend zurückgetreten ist. Der Ausschuss tagt in diesen Minuten. Nun muss er erst mal einen neuen Vorsitzenden wählen und sein weiteres Vorgehen abstecken.
    Ich freue mich, dass Frau Martina Renner von der Linkspartei aus diesen Türen herausgetreten ist für uns. Sie ist die Obfrau der Linkspartei im NSA-Untersuchungsausschuss. Ich grüße Sie, Frau Renner.
    Martina Renner: Ja, grüße zurück.
    Dobovisek: Schwarz-Rotmacht Ihnen, der Opposition, schwere Vorwürfe. Mit Ihrem Vorpreschen in Sachen Snowden-Einladung hätten Sie das Klima gleich zu Beginn vergiftet. So konnten wir das ja auch eben von meinem Kollegen Falk Steiner hören. Warum haben Sie nicht von Anfang an mit CDU und SPD eine gemeinsame Linie finden können?
    Renner: Wir haben in vielen Fragen mit CDU und SPD eine gemeinsame Linie gefunden. Wir haben heute Dutzende von Verfahrensbeschlüssen und Beweisbeschlüssen gefasst zur Aktenbeiziehung und Ähnliches. Es ist also keinesfalls so, dass unter den vier Fraktionen nicht auch sehr sachlich und auch in einem guten Klima gearbeitet wird.
    "Man darf es nicht auf die Person Snowden konzentrieren"
    Dobovisek: Wo hakt es also?
    Renner: An der Frage Snowden-Vorladung, aber auch an einer Frage weiterer Beweisbeschlüsse, die von Bündnis 90/Die Grünen und uns vorgelegt wurden. Da geht es um Herrn Steinmeier, Herrn Pofalla, Herrn Fritzsche, Herrn Friedrich. Man darf es auch nicht auf die Person Snowden konzentrieren. Da gibt es tatsächlich jetzt Dissens und wir können das an der Stelle überhaupt nicht nachvollziehen. Die Anträge sind fristgerecht eingereist. Die konnten in diversen Runden auf Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenebene und unter den Obleuten besprochen werden. Es ist ja nun auch, ich sage mal, keine Überraschung, dass wir Herrn Snowden für einen wichtigen Zeugen halten, dass wir sagen, er soll in Berlin vernommen werden. All das ist seit Monaten kommuniziert. Und jetzt heute, als es zur Beschlussfassung zu diesem Antrag und den Anträgen kommen soll – und wir hätten gerne gesehen, dass alle vier Fraktionen gemeinsam diese wichtigen Zeugen beschließen -, kommt es zu einem Verfahrenstrick seitens der Großen Koalition. Man hat jetzt tatsächlich unsere Anträge vertagt auf die nächste Sitzung und man schaltet ein Ersuchen an die Bundesregierung vor, die erst einmal prüfen soll, unter welchen Bedingungen Herr Snowden hier aussagen darf, und das halten wir für rechtlich wie politisch so höchst fragwürdig, dass wir gegebenenfalls auch heute noch rechtliche Schritte einleiten werden.
    Dobovisek: Nun sagte aber der mögliche neue Ausschussvorsitzende, der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg, heute Morgen bereits bei uns im Deutschlandfunk, der Ausschuss müsse sich erst einmal darüber verständigen, was er denn genau Snowden überhaupt fragen wolle. Was ist denn falsch daran?
    Renner: Wir haben ja einen Einsetzungsbeschluss zu diesem Untersuchungsausschuss gemeinsam gefasst, und da stehen ja sämtliche Themen, zu denen wir Herrn Snowden hören wollen. Wir wollen natürlich hören zur Praxis der NSA auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Wir wollen hören zu den technischen Voraussetzungen zur Erhebung von Massenkommunikationsdaten. Wir wollen Informationen zur Zusammenarbeit mit dem BND. Sie wissen, Herr Snowden hat unlängst vor dem Europarat insbesondere hierzu weitere Angaben gemacht. Also die Themen sind doch klar umrissen, zu denen Herr Snowden gehört wird. Ich halte das für ein sehr vorgeschobenes Argument, und auch die ganze Argumentationsführung jetzt im Ausschuss ist nicht nachvollziehbar und sie tangiert eigentlich diesen Bereich. Es geht hier um Minderheitenrechte der Opposition. Der Opposition steht nach Grundgesetz eine Gestaltungsmacht auch in der Beweisführung und Beweiserhebung so eines Untersuchungsausschusses zu, und damit, dass man heute unsere Beweisanträge vom Tisch gewischt hat, sehen wir uns auch in unseren Rechten als Opposition massiv verletzt.
    Dobovisek: Warum, glauben Sie, mauert die Union, mauert die Regierung und greift, wie Sie sagen, zu Verfahrenstricks?
    Renner: Ich glaube, die Union und die SPD müssen sich einfach entscheiden. Sie stecken in einem Dilemma. Der Ausschuss muss natürlich eine zentrale Frage auch klären, und da geht es um effektiven Grundrechtsschutz jeder Bürgerin und jedes Bürgers in diesem Land. Und es geht auf der anderen Seite anscheinend, so kann man vermuten, auch um Geheimhaltungsinteressen der Dienste und auch möglicherweise um Bedenken von Regierungsmitgliedern, dass wir sie zu Absprachen treffen, Informationsaustausch in den letzten Jahren zwischen der Bundesrepublik, den USA und Großbritannien befragen. Da muss sich dann der eine oder andere Parlamentarier einfach mal fragen: Wer ist er hier? Ist er hier als Vertreter einer Regierungsfraktion, oder ist er als Abgeordneter hier, der auch das Parlamentsrecht, der die Minderheitenrechte, die Oppositionsrechte durchsetzen will? Das ist, glaube ich, eine Grundsatzfrage, die sich mittlerweile an dieser Stelle hier auch entzündet.
    Dobovisek: Nun sagt Patrick Sensburg von der CDU aber auch, die Union verschließe sich ja überhaupt nicht einer Einladung Snowdens. Das bedeutet, die könnte ja tatsächlich stattfinden. Aber es gäbe noch viel zu viele offene Fragen, Fragen, die Sie offensichtlich auch noch nicht beantworten können, nämlich wie soll Snowden nach Deutschland kommen, ob er hier Asyl bekommt. Derartige Fragen müssen natürlich vorher geklärt werden. Also warum die Eile?
    Snowdens Asyl in Moskau läuft ab
    Renner: Die Eile ist darin begründet, dass das Asyl in Moskau abläuft. Wir brauchen eine ladungsfähige Anschrift für Herrn Snowden. Wir können jetzt Herrn Snowden über den Anwalt in Moskau erreichen. Wenn das Asyl abgelaufen ist, wissen wir nicht, wo Herr Snowden sich aufhält. Möglicherweise müssen wir ihn aus der Untersuchungshaft in den USA laden, dann wird er niemals kommen. Deswegen auch die Eile. Die ist in der Sache geboten, weil wie gesagt der Aufenthaltstitel von Herrn Snowden endlich ist. Und zum anderen geht es auch uns darum, dass wir Sorge haben, dass jetzt dieses vorgeschaltete Berichtsersuchen an die Bundesregierung, die erst einmal Auskunft geben soll, inwieweit die Ladung überhaupt möglich ist, einen weiteren Hinderungsgrund darstellen könnte. Wenn nämlich die Antwort kommt, die Bundesregierung sieht sich außerstande, den Untersuchungsausschuss zu unterstützen, wozu sie eigentlich rechtlich verpflichtet wäre, auch aus dem Untersuchungsausschuss-Gesetz, hat möglicherweise die Große Koalition ein weiteres Argument an der Hand, dann in der Mai-Sitzung endgültig die Snowden-Vorladung zu verhindern.
    Dobovisek: Warum ist eine persönliche Aussage Snowdens so wichtig, wenn doch nach eigenen Angaben inzwischen fast alle Dokumente öffentlich sind und er bereits mehrfach, zuletzt, wie Sie selber sagten, gestern vor dem Europarat, Stellung genommen hat?
    Renner: Wenn Sie gehört haben, was er gestern gesagt hat – er hat an vielen Stellen gesagt, ins Detail kann ich nicht gehen, weil ja eine Grundlage seines Aufenthaltstitels derzeit in Moskau ist, dass er nicht im Kern aussagt, und wir wissen ganz genau, dass Herr Snowden über das, was er an Dokumenten beizusteuern hatte und möglicherweise auch noch hat, natürlich über persönliches Wissen in seinem Kopf verfügt, das er dem Untersuchungsausschuss mitteilen wird, was weit über das hinausgeht, was derzeit schon in seinen Antworten und in seinen weitergegebenen Dokumenten zugrunde liegt.
    Dobovisek: Seine Kritiker sagen, damit möchte Snowden sich sein Asyl in Europa, in Deutschland erpressen.
    Renner: Wissen Sie, das ist keine Frage von Erpressung, sondern es ist eine Frage, die die Bundesregierung jetzt zu klären hat, wenn der entsprechende Beweisbeschluss gefasst ist, dass Herr Snowden vor dem Untersuchungsausschuss gehört werden wird, inwieweit es auch natürlich Verpflichtung ist der Bundesregierung, in Unterstützung, also in Amtshilfe zum Untersuchungsausschuss dafür zu sorgen, dass Herr Snowden hier einen sicheren Aufenthalt hat. Ich glaube, das ist für jeden Zeugen in so einem Verfahren Grundvoraussetzung, hier frei und unbefangen aussagen zu können.
    Dobovisek: Bedeutet denn der sichere Aufenthalt in Deutschland automatisch Asyl in Deutschland?
    Renner: Wie das nach dem Aufenthaltsrecht dann ausgestaltet werden kann, das ist tatsächlich eine Verfahrensfrage, die nach Beschlussfassung für den Beweisantrag dann entschieden werden muss.
    Dobovisek: Das heißt, die Fragen sollten vielleicht doch erst im Vorfeld beantwortet werden?
    Zeitnahe Vernehmung
    Renner: Nein! Ich glaube, man muss jetzt einfach mal klären, wenn wir beschließen, Herrn Snowden zu hören, haben wir ihn erst mal als Zeugen benannt, und dahinter ist dann die Frage, wie das Verfahren aussieht und welche Unterstützungsleistung seitens der Bundesregierung erfolgt. Das ist der parlamentarisch vorgezeichnete Weg auch in dem Gesetz, das die Arbeit des Untersuchungsausschusses regelt. Jetzt soll dieser Weg verkehrt werden. Es soll erst von der Bundesregierung gesagt werden, ob sie helfen kann. Es soll erst im Vorfeld möglicherweise monatelang diskutiert werden, und dann wird vielleicht über die Zeugenvorladung Snowdens entschieden. Dann ist er vielleicht aber schon gar nicht mehr in Moskau, dann ist er gekidnappt oder sonst wo. Und wenn wir sagen, Snowden ist ein wichtiger Zeuge – und das sagen wir seit Monaten -, dann wollen wir jetzt endlich auch einen Beschluss, dass Herr Snowden gehört wird, und über das Verfahren wird sich der Ausschuss dann verständigen. Wir sind auch an diesem Punkt für eine zeitnahe Vernehmung, aber natürlich auch für eine Vernehmung, die natürlich auch die Sicherheitsinteressen des Zeugen beachtet, und dazu gibt es ja auch den Weg, sich mit den Anwälten, dem Anwalt von Herrn Snowden hier in der Bundesrepublik als Ausschuss ins Benehmen zu setzen.
    Dobovisek: Wie wird die Stimmung sein im Ausschuss, wenn Sie gleich durch die großen Ausschusstüren wieder zurückgehen?
    Renner: Nicht gut. Wir sind jetzt gerade noch in weiteren Punkten im Dissens. Da geht es um Fragen, Protokollierung der Sitzung und Ähnliches. Eigentlich sehr traurig, weil gerade auch die gestrige Obleute-Beratung es hat nicht absehen lassen, dass es heute zu derartigen Manövern kommen wird, und ich würde gerne wieder zu der ja auch sehr freundlichen und konstruktiven Stimmung, die bis gestern eigentlich die ganzen Wochen auch in dem Bereich der gemeinsamen Beschlussfassung, aber auch Abfassung des Einsetzungsantrages geherrscht hat, zurückkommen.
    Dobovisek: Martina Renner, sie ist Obfrau der Linkspartei im NSA-Untersuchungsausschuss, der in diesen Minuten tagt, und kritisiert die Haltung der Regierungsfraktionen in der Frage, ob Edward Snowden eingeladen werden soll. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Renner: Ja. Danke zurück.
    Dobovisek: Auf Wiederhören.
    Renner: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.