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Nürburgring
Der neue Herr des Rings

Der Autozulieferer Capricorn hat den Zuschlag im Rennen um den insolventen Nürburgring erhalten. Das Unternehmen ist für die Einheimischen der Region kein Unbekannter. Seit 2007 sitzt eine Konzernsparte in unmittelbarer Ring-Nähe - im beschaulichen Dörfchen Meuspath.

Von Jan-Martin Altgeld | 14.03.2014
    Arndt Hartelt, Werksleiter von capricorn Composite (Standort Nürburgring), hält einen Heckdiffusor für den Audi R8 in Händen.
    Arndt Hartelt, Werksleiter von capricorn Composite (Standort Nürburgring), hält einen Heckdiffusor für den Audi R8 in Händen. (Jan-Martin Altgeld)
    "Durch die Investitionen, die in der Vergangenheit dort getroffen worden sind, kam es dort zu einem, sagen wir mal - Investitionsstau."
    Robertino Wild Anfang dieser Woche auf einer Pressekonferenz. Sein Unternehmen, der Autozulieferer Capricorn, hat jüngst den Zuschlag im Rennen um den insolventen Nürburgring erhalten.
    Bis zu 25 Millionen Euro des Transaktionsvolumens von über 100 Millionen will die Capricorn Group, die an unterschiedlichen Standorten unterschiedliche Autoteile produziert, in die weitere Entwicklung der legendären Rennstrecke stecken. Mit welchem Ziel man diese Strategie verfolgt, weiß der Motorsport begeisterte Wild ganz genau:
    "Zur Aufrechterhaltung des Betriebes beziehungsweise zur Verbesserung der Nutzung von Nordschleife und Grand-Prix-Strecke."
    Mit motorsportfernen Altlasten, die dem Gesamtkomplex Nürburgring letztendlich das finanzielle Genick brachen, will der neue Besitzer nicht zimperlich umgehen: Die Gastronomiemeile "Grüne Hölle" solle sofort eingestellt und abgerissen werden. Und auch die Achterbahn Ring-Racer wird wohl bald verschwinden – zu unwirtschaftlich.
    Das Unternehmen ist für die Einheimischen der Region kein Unbekannter. Seit 2007 sitzt mit Capricorn Composite eine Konzern-Sparte in unmittelbarer Ring-Nähe. Das Werk mit etwa 60 Mitarbeitern ist auf die Fertigung von Hochleistungsbauteilen aus Faserkunststoff-Verbunden spezialisiert - hauptsächlich für den Motorsport, aber auch für stark motorisierte Straßenfahrzeuge.
    "Also wir fertigen aktuell zum Beispiel die Heckdiffusoren für den aktuellen Audi R8. Wir haben in der Vergangenheit beispielsweise das komplette Monocoque für den Peugeot Le-Mans-Prototypen gefertigt. Kunden wie Mercedes in der Formel 1 gehören auch zu unserer Klientel,"
    sagt Werksleiter Arndt Hartelt. Mit etwa 80 Prozent nimmt kohlenfaserverstärkter Kunststoff, auch als Carbon bezeichnet, den Bärenanteil der verwendeten Materialien ein. Aber auch Glas- oder Aramid-Fasern werden verarbeitet.
    Das Rohmaterial, mit verschiedenen Wachsen imprägnierte Kunststoff-Fasern, bekommt Capricorn Composite als Rollenware angeliefert – die sogenannten Prepregs.
    "In diesem Bereich hier werden die Faserrohmaterialien, diese Rollenware, zugeschnitten – nach entsprechend berechneten Zuschnittmustern. Das Ganze geschieht auf einem Ultraschall-Cutter. Hier vorne wird gerade ein Zuschneide-Kit für eine Motordesign-Abdeckung für den Audi RS5 zusammengestellt."
    In der Layup-Halle werden die zugeschnittenen Faserlagen anschließend händisch auf das sogenannte Werkzeug aufgelegt – quasi die Formvorlage für das spätere Bauteil. Die Vorteile von Faserverbundwerkstoffen liegen für Werksleiter Hartelt auf der Hand:
    "Die Kohlefaser hat eben eine besonders hohe Steifigkeit. Das heißt, ich kann damit zum Beispiel Fahrgastzellen bauen, um möglichst hohe Torsions-Steifigkeiten in einem Auto zu erzielen, die ich mit einem Metall in der Form nicht darstellen kann."
    Und das bei minimalem Gewicht. Das Unternehmen, das auch zu Berufen wie Kunststoff-Techniker oder Technischer Produktdesigner ausbildet, stellt Bauteile für die unterschiedlichsten Rennserien her – und in allen möglichen Größen: vom kleinen Schaltpanel bis hin zu Karosserieteilen von zwei Mal drei Metern.
    "Hier vorne an der Arbeitsstation werden die HANS-Systeme gefertigt – das ist der Head and Neck Support, der zum Beispiel auch in der Formel 1 eingesetzt wird. Der überträgt die Lasten bei Beschleunigungen vom Helm, verhindert halt eben, dass der Nacken überbelastet wird."
    Ist ein solches Bauteil in seine Form gebracht, muss es zum Aushärten in einen sogenannten Autoklav. Was ein bisschen aussieht wie eine Dekompressionskammer für Taucher, sorgt bei etwa sechs Bar Druckbeaufschlagung, appliziertem Vakuum und 130 Grad Celsius dafür, dass Heckdiffusoren, Fahrgastzellen und Co. für immer formbeständig bleiben.
    Damit die einzelnen Autohersteller die in Auftrag gegebenen Bauteile später mit eigenen Komponenten verbinden können, müssen zusätzlich Verschlüsse, Nuten und Taschen eingefräst werden.
    Wolfgang Lorse, bei Capricorn zuständig für 3D-Fräsung nach Computer-Modellen:
    "Wir arbeiten mit High-Tech-Fünfach-Fräsmaschinen. Die sind in der Lage, die Bauteile komplett von fünf Seiten rundherum zu bearbeiten – dreidimensional."
    Nur wenige 100 Meter vom Werk entfernt, befindet sich das Testcenter von Capricorn. Mit zahlreichen Messständen und einer spezialisierten Werkstatt will das Unternehmen seinen Kunden die Möglichkeit geben, Autokomponenten eingängig zu testen und spezielle Fahrsituationen zu simulieren.
    Werksleiter Hartelt:
    "Die Anlage ist entsprechend gesichert gegen Einsicht von außen. Das heißt eben auch: Prototypen oder sogenannte Erlkönige können da vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen aufbereitet werden."
    Das Testcenter liegt noch näher am Nürburgring als das Werk – und hat sogar eine direkte Anbindung an die Nordschleife.
    Übrigens: Wo sich jetzt noch die Gastronomie-Meile "Grüne Hölle" befindet, möchte der frühere Rennfahrer und Capricorn-Chef Robertino Wild einen Technologiepark für die Autoindustrie errichten. Der soll in der Region letztendlich auch für mehr Arbeitsplätze sorgen.