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"Obama hatte keine andere Wahl"

Für den Chef des Transatlantic Network, Andrew Denison, gab es für US-Präsident Barack Obama keine andere Option, als ein geplantes Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin abzusagen. Nach den diplomatischen Verwerfungen um den Fall Snowden stehe Obama innenpolitisch unter Druck.

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.08.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Nachricht von der Absage des Vier-Augen-Gesprächs mit Wladimir Putin schlug gestern ein wie eine Bombe, auch wenn die Erklärung, die das Weiße Haus verbreitete, auf fehlende Fortschritte in den bilateralen Beziehungen insgesamt hinwies. Auch Moskau ist klar: Die Absage ist vor allem eine Reaktion darauf, dass Russland Edward Snowden politisches Asyl gewährt hat. Andrew Denison ist Politikwissenschaftler und Leiter der Denkfabrik Transatlantic Networks, jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Denison.

    Andrew Denison: Guten Tag.

    Heckmann: Herr Denison, ist Barack Obama ein schlechter Verlierer?

    Denison: Barack Obama hatte keine andere Wahl, als er diese Rede hielt, dieses Treffen abzusagen. Das hat nichts mit seinen Emotionen zu tun, sondern mit politischen Realitäten.

    Heckmann: Weshalb hatte er keine Wahl?

    Denison: Er hatte keine Wahl, und das wissen die Russen seit Tag eins Snowdens Anwesenheit in Moskau. Wenn Snowden in Moskau bleibt, dann würde Obama von Zuhause aus so stark politisch kritisiert, wenn er sich mit Putin träfe, als ob nichts los war. Snowden – man kann darüber debattieren, wie wichtig er ist, aber er ist tagtäglich in den Schlagzeilen und ich denke, das war Putin auch ganz klar, dass Obama so reagieren würde.

    Heckmann: Aber ist es wirklich souverän, so zu reagieren, ein Gespräch immerhin mit dem Präsidenten eines sehr wichtigen Landes, das kaum verzichtbar ist, abzusagen?

    Denison: Ja gut, man hört diese Kritik auch in Amerika, Obama ist ein schlechter Verlierer, eher von den Republikanern als von den Demokraten, auch hier in den deutschen Zeitungen sind manche der Meinung. Nein! Man muss ja miteinander sprechen, auch wenn die Beziehungen schwierig sind. Aber erstens ist da wie gesagt der politische Druck wegen dieses Schrittes auch von Putin, obwohl er ganz klar wusste, Obama könnte das nicht machen. Und zweitens: Im Vergleich mit Zeiten des Kalten Krieges, wo wir viel mehr Unterschiede miteinander hatten, aber auch größte Bedeutung auf die Beziehungen legten, ist es so, dass Obama sich es eher erlauben kann bei einem Russland mit schrumpfender Bevölkerung, mit gigantischen wirtschaftlichen Problemen und einem Energiereichtum, der nicht ewig lang zu benutzen sein wird. Obama hat da einfach weniger Notwendigkeit, mit diesem Russland zu verhandeln, als zum Beispiel mit einem China, wo wir mehr und mehr Probleme haben.

    Heckmann: Der Fall Syrien zeigt doch deutlich, dass es ohne Russland nicht geht.

    Denison: Ja ich denke, wir haben in den letzten zwei Jahren gesehen, dass Russland nicht bereit ist, mitzumachen, und das haben wir auch im Kosovo gesehen. 1999 haben die Russen, damals Jelzin, Milosevic unterstützt, drei Monate lang. Am Ende haben sie ihn doch fallen gelassen und dann war eine Einigung möglich. Bis jetzt wird Assad von Russland unterstützt und viele in Amerika sagen auch, Putin bezahlt keinen Preis dafür, auch dass er Iran weiter unterstützt, dass er auch Probleme in Georgien macht, dass er nicht bereit ist, Polen eine souveräne Entscheidung zuzulassen, Raketenabwehr auf seinem Territorium zu stationieren. Also es gibt schon Probleme mit Russland, wo Amerika das Gefühl hat, wir haben ein Reset, einen Neuanfang versucht. Da kam nichts!

    Heckmann: Herr Denison, kein Präsident ging so konsequent gegen Whistleblower vor wie Barack Obama. Hat sich Europa getäuscht in dem Präsidenten Obama, in seiner Liberalität?

    Denison: Wenn Europäer gemeint haben, Obama wäre bereit, jeden der sich als Whistleblower definiert auch als Whistleblower zu sehen, auch einen, der legale Programme veröffentlicht, die vom Kongress und den Gerichten Amerikas zugestimmt sind, und natürlich auch jede Art von technologischen Mitteln hat, um dieses zu tun, und dass er dann nicht zuhause bleibt, sondern zuerst nach China geht, wo wir wirklich Probleme haben mit Internetkriminalität, und dann nach Russland geht, der fällt auch unter einer Mehrheit der amerikanischen Meinung nicht mehr als Whistleblower, sondern als jemand, der für seine eigenen Zwecke viel Schaden angerichtet hat.

    Heckmann: Aber ist nicht das auch mit das Problem, dass sich Moskau, dass sich gerade Russland jetzt als Hort für solche Menschen, als Hort der Freiheit sozusagen definieren kann?

    Denison: Ich meine, wenn Obama jetzt in St. Petersburg sagen würde, ich möchte mich mit allen Menschenrechtsgruppen in Russland treffen, auch vielleicht mit Chodorkowski, der im Gefängnis sitzt, oder mit Nawalny, der gerade jetzt die Bürgermeisterwahl anstrebt, oder vielleicht mit Pussy Riot-Mitgliedern sprechen, dann können wir sagen okay, das ist ein quid pro quo. Aber ich denke, hier ist ein bisschen Messen mit ganz unterschiedlichen Maßstäben, wenn man Putin jetzt als Held der Menschenrechte hochhält, weil er einem Snowden Asyl gibt, und man vergisst, was sonst in Russland los ist.

    Heckmann: Dennoch stellt sich die Frage, wie weit es gekommen ist, wenn man sieht, dass ein Brief geschrieben werden muss durch Washington, gerichtet an Moskau, mit der Versicherung, dass Edward Snowden nicht gefoltert werden wird. Wie weit ist es gekommen?

    Denison: Amerika wollte Snowden wieder zurückhaben und anscheinend war das eine Art quid pro quo, was Amerika dann entgegengekommen ist, anscheinend aber ohne Gegenleistung seitens der Russen. Auf der anderen Seite automatisch anzunehmen, dass Amerika jetzt diese Leute foltern und ins Gefängnis werfen wird, ich denke, das ist auch zu schnell geschossen.

    Heckmann: Angela Merkel – kommen wir mal zur Abhöraffäre insgesamt -, die hat betont, in Deutschland gelten die deutschen Gesetze und die Grundrechte. Wenn aber die gesamte Kommunikation durchleuchtet wird, dann hat man nicht den Eindruck, dass das so ist. Gelten in Deutschland deutsche oder amerikanische Gesetze?

    Denison: Amerikanische Geheimdienste sind da, und das hat Obama auch gesagt, um nicht-öffentlichen Quellen hinterherzugehen. Und es ist daher keine Überraschung, wenn Amerika versucht, alles abzuspeichern, was es irgendwie abspeichern kann, was nach Deutschland reingeht und raus.

    Heckmann: Keine Überraschung und es ist auch legitim aus Ihrer Sicht?

    "Es zeigt, dass Deutschland sehr unsicher ist in seinem Umgang mit Amerika"

    Denison: Es ist aus meiner Sicht legitim! Natürlich als deutscher Bürger würde ich sagen, wo ist meine Abwehr. Warum kann die Telekommunikationsfirma das nicht verhindern? Denn ich möchte schon gewisse Grundrechte wie in Artikel 10 des Grundgesetzes genießen. Aber die Annahme, Amerika wird einfach den Internet-Verkehr, der durch Deutschland geht, total in Ruhe lassen, vor allem, wenn Deutschland darum bittet, ich finde, das ist nicht realistisch. Was wir hoffen können ist, dass Amerika diese Informationen nicht für politische oder wirtschaftliche Vorteile missbraucht. Wenn plötzlich aus NSA-Dokumenten herauskommt, dass Angela Merkel doch ganz ehrlich ist und der Steinbrück nicht, dann hätten wir ein Problem.

    Heckmann: Das heißt, Sie sagen ganz klar, Herr Denison, sollte die deutsche Bundesregierung sagen, bitte beendet diese Praxis, dann würde der Geheimdienst sich nicht darum scheren und die amerikanische Regierung auch nicht?

    Denison: Der amerikanische Geheimdienst würde sagen, wir reden nicht über Quellen und Methoden. Natürlich: Wenn Amerika jetzt mit klaren Beweisen, nicht irgendwie aus zweiter Hand aus irgendwelchen Dokumenten vorgeworfen wird, hier ist eine Wanze, oder hier ist eine Abzapfanlage an irgendwelchen deutschen Internet-Schaltstellen, ja dann ist das sehr peinlich und dann muss Amerika wirklich zurücktreten. Aber erst sind das jetzt unbelegte eingesehene Dokumente, die diese ganzen Vorwürfe machen. Es zeigt, dass Deutschland sehr unsicher ist in seinem Umgang mit Amerika und noch Sorgen hat über seine Souveränität. Aber ich denke, auf der anderen Seite zu sagen, dass das die größte Gefahr für die deutsche Souveränität ist, das ist eine komische Definition von Souveränität, denn rund um Europa gibt es Probleme, die nur Deutschland mit Amerika lösen kann und da, denke ich, muss man einen anderen Weg finden, eine neue Geschäftsgrundlage für die Internetzeit zu haben, wo alle Daten doch auch Gefahren in sich tragen.

    Heckmann: In Deutschland, Herr Denison, da darf Kommunikation ja nur abgehört werden, wenn es einen Verdacht gibt und nach Anordnung eines Richters. Wenn es aber so ist, dass die gesamte Kommunikation in der Tat durchleuchtet wird, abgehört wird, aus Ihrer Sicht auch zurecht, schützt sich der Rechtsstaat dann nicht zu Tode, nämlich der Staat, der sich selber seiner Berechtigung schützen will?

    Denison: Wäre Deutschland ein Bundesstaat von Amerika, wie Kalifornien, dann natürlich würden wir anders vorgehen. Aber zweitens: Man muss einen Unterschied machen zwischen Abhören und Abspeichern. Die deutschen Daten werden nicht abgehört. Wir haben nicht genug Leute dafür, das wäre sinnlos. Schon das Abspeichern, kann man sagen, ist sinnlos, nur es ist relativ einfach, weil so viel Internetverkehr einfach abzuzapfen ist. Aber dass das an die Grundrechte der Deutschen geht, dass die Daten der Deutschen gespeichert sind, finde ich erst mal noch nicht. Wir sind ja auch bereit, Steuerdaten bei der Regierung lagern zu lassen. Unsere Anmeldungspflicht ist auch nicht aus großer Position auf Grundrechte gesehen. In dem Sinne denke ich, selbst in Deutschland sollte man sollte man Verbindungsdaten speichern können, sodass Kriminelle oder Terroristen nicht reingehen können. Aber was man nicht machen sollte ist, in die Inhalte reingehen und das politisch oder wirtschaftlich missbrauchen, sondern man muss diese Daten natürlich sehr vorsichtig mit Transparenz und Zurechenbarkeit gegen Legislative und Judikative schützen. Aber zu sagen, kein Abspeichern von irgendwelchen Daten im Internet, ich denke, da machen wir eine sehr gefährliche Welt.

    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Andrew Denison war das live hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen sehr für das Gespräch.

    Denison: Ich danke Ihnen.


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