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Obama in Hiroshima
"Eine Entschuldigung stand zu keinem Zeitpunkt auf der Agenda"

Der Besuch von US-Präsident Barack Obama in Hiroshima sei symbolisch sehr wichtig für Japan und den Ministerpräsidenten Shinzo Abe, sagte der Politologe Wilhelm Vosse von der International Christian University in Tokio im DLF. Eine Bitte um Entschuldigung von Obama hätten die Japaner nicht erwartet.

Wilhelm Vosse im Gespräch Thielko Grieß | 27.05.2016
    US-Präsident Barack Obama mit Japans Premierminister Shinzo Abe
    US-Präsident Barack Obama mit Japans Premierminister Shinzo Abe (dpa / picture-alliance / Kimimasa Mayama)
    Vosse betonte, der Besuch sei lange ein ganz großes Thema in Japan gewesen. Es sei viel diskutiert worden, ob Obama überhaupt komme und ob er das Hiroshima-Museum besichtige. Das alles habe nun stattgefunden. Eine Bitte um Entschuldigung sei aber zu keinem Zeitpunkt in der Diskussion auf der Agenda gewesen. Japan selbst habe ja Probleme, für seine Taten während des Krieges bei seinen Nachbarländern um Verzeihung zu bitten.
    Für Japan sei der Besuch aber symbolisch wichtig. Auch für Ministerpräsident sei es "ein symbolischer Sieg, dass er es geschafft hat, einen amerikanischen Präsidenten nach Hiroshima zu holen". Schließlich habe Abe ein sehr enges Verhältnis zu Kriegsopfern und Veteranen, die in dem Krieg gekämpft hätten.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Thielko Grieß: Jetzt begrüße ich am Telefon Wilhelm Vosse, Politikwissenschaftler an der International Christian University in Mitaka, auch in Japan. Ihnen einen guten Tag oder für Ihre Zeitzone einen guten Abend.
    Wilhelm Vosse: Schönen guten Abend aus Japan.
    Grieß: Danke schön. Schön, dass Sie bei uns sind. - Wir haben gehört, was die Ergebnisse sind, und wir haben auch davon gehört, dass US-Präsident Obama in Hiroshima war. Und grob gehört, wie er sich dort geäußert hat. Sie haben sich das auch angeschaut, Herr Vosse. Eine Entschuldigung war es nicht, wie angekündigt. Hätte Obama sich den Besuch dann dort nicht auch gleich sparen können?
    Vosse: Der Besuch Obamas in Hiroshima ist seit Monaten ein ganz, ganz großes Thema in Japan. Ob er überhaupt kommt, stand ja zunächst mal infrage. Und was er genau sagen würde, ob er das Friedensmuseum in Hiroshima besuchen würde oder nicht. Und ob er überhaupt die Opfer direkt trifft oder nicht. Alles das hat jetzt stattgefunden. Insofern ist das zunächst mal symbolisch ein sehr, sehr wichtiger Besuch für Japan selber, auch für den Premierminister Abe. Die Opfer haben eigentlich nicht erwartet, dass sich Obama direkt für den Atombomben-Abwurf entschuldigen würde. Das stand eigentlich zu keinem Zeitpunkt wirklich auf der Agenda. Und ist wie gesagt auch von keinem erwartet worden.
    Grieß: Wir wissen ja auch grob von vielen kulturellen Unterschieden zwischen dem sogenannten Westen und Japan. Wie hätte denn eine solche Entschuldigung aussehen müssen?
    Vosse: Das ist natürlich sehr, sehr schwierig. Japan selber hat ja sehr, sehr große Probleme, sich für seine Kriegstaten während des Zweiten Weltkrieges bei seinen Nachbarländern zu entschuldigen. Insofern ist Entschuldigung ein sehr, sehr großes Thema. Welche Worte man verwenden würde, welche Vokabeln man in welchem Zusammenhang verwendet, ist in Japan ohnehin sehr, sehr schwierig. Ich denke mal, für Obama selber wäre es innenpolitisch auch sehr, sehr schwierig geworden, sich jetzt direkt in Japan dafür zu entschuldigen.
    Grieß: Er muss ja keine Wahl mehr bestehen.
    Vosse: Das ist richtig.
    Grieß: Er kann ja frei agieren. Er weiß, wann er das Weiße Haus für immer verlässt.
    Vosse: Das ist richtig. Aber auf der anderen Seite stehen natürlich hinter ihm trotzdem die amerikanischen Soldaten oder die Veteranen, die von ihrem Präsidenten weiterhin erwarten, dass er im Grunde genommen sich hinter sie stellt. Auch wenn die Rede natürlich im Großen und Ganzen daraufhin abzielte, die Atomwaffen im Großen und Ganzen abzuschaffen, war es im Grunde genommen eine eher groß angelegte philosophische Rede, die sehr, sehr viel Symbolik beinhaltete, wie gesagt für Japan selber sehr, sehr wichtig war, aber sicherlich kaum direkte politische Folgen nach sich ziehen wird.
    Grieß: Wir können festhalten, Herr Vosse, dass auch 71 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Zeit für wirklich offene Worte noch nicht reif ist, immer noch nicht?
    Vosse: Das würde ich ganz so nicht sagen. Das Verhältnis zwischen Japan und den USA war ja von Anfang an erstaunlich gut, wenn man davon ausgeht, dass während des Atombombenabwurfs 70.000 Japaner direkt beim Abwurf umgekommen sind und etwa die gleiche Zahl danach noch mal. Wenn man sich das vor Augen hält, war das Verhältnis der beiden Länder, aber auch der Menschen untereinander, relativ gut. Es gab relativ wenige Japaner, die offen Gefühle von Hass gegenüber den USA entwickelt haben. Es gab ein merkwürdiges Verhältnis von Hochachtung durchaus, dass die Amerikaner den Krieg gewonnen haben, auch technisch überragend waren. Den Opfern musste man natürlich gedenken, das steht natürlich außer Frage, aber es gibt keine hasserfüllte Beziehung zwischen den beiden Ländern, bis heute nicht. Insofern wäre eine Entschuldigung sicherlich in Japan sehr gut angekommen, aber wie gesagt: Es ist eigentlich von keinem erwartet worden.
    Grieß: Dann wollen wir andocken an das, was Sie in der vorletzten Antwort schon angedeutet haben, nämlich Ihre Bewertung dessen, was Obama gesagt hat und was er getan hat. Er hat ja auch Überlebende getroffen und nicht allzu viel Zeit - so habe ich es wahrgenommen - dort verbracht. Wie schaut es bei Ihnen aus, wie bewerten Sie das? Reicht das?
    Vosse: Ich denke, es war eine richtige Entscheidung. Ob es reicht, ist immer die Frage, was man sich von dem Besuch erwartet hat. Wie Sie Anfangs schon erwähnt haben, war es nun der erste Besuch eines amtierenden amerikanischen Präsidenten in Hiroshima. Es hätte ja nun in den letzten 70 Jahren schon öfter mal Gelegenheit gegeben. Für Obama ist es natürlich insofern im letzten Jahr seiner Amtszeit wichtig. Er hat 2009 ja in seiner Rede in Prag hervorgehoben, dass er weltweit darauf hinarbeiten wird, die Nuklearwaffen abzuschaffen, daraufhin dann ja auch den Friedensnobelpreis bekommen hat. Und insofern natürlich in den letzten sieben, acht Jahren immer diese Erwartung vor sich hergetragen hat, dass er auch in diesem Zusammenhang sehr, sehr viel oder mehr macht. Für die Amerikaner war ja die Entscheidung oder, sagen wir, das Abkommen zwischen den USA und dem Iran, das Atomprogramm im Iran nicht weiter fortzusetzen, sehr wichtig.
    Grieß: Herr Vosse, wenn ich da kurz noch mal einhaken darf? Setzen wir noch einmal die japanische Brille auf. Reicht es aus Sicht der Japaner?
    Vosse: Besuch war wichtiges Symbol
    Vosse: Ich denke mal, allein die Tatsache, dass ein amerikanischer Präsident in Hiroshima war, ist wichtig. Das ist für die Japaner schon sehr, sehr wichtig. Es ist sehr symbolisch. Natürlich erwartet dort keiner eine Entschuldigung. Keiner erwartet, dass der amerikanische Präsident nun sagt, dass die Amerikaner einseitig ihr Atomwaffenpotenzial abschaffen werden. Unter Akademikern und Intellektuellen gibt es natürlich eine Diskussion darüber, was die Amerikaner tatsächlich machen und ob man da nicht mehr machen kann. Für Abe, wenn ich das so sagen darf, für den Premierminister war natürlich dieser Besuch auch sehr, sehr wichtig. Premierminister Abe hat nicht erst, seitdem er Premierminister ist, ein sehr, sehr enges Verhältnis zu den Kriegsopfern, ein sehr, sehr enges Verhältnis auch zu den ehemaligen japanischen Soldaten, die im Krieg gekämpft haben. Insofern ist es für ihn auch ein symbolischer Sieg, dass er es geschafft hat, den amerikanischen Präsidenten - wie gesagt ja zum ersten Mal in der Geschichte - nach Hiroshima zu holen. Es stärkt im Grunde auch seine Position.
    Grieß: Der in Japan lebende deutsche Politikwissenschaftler Wilhelm Vosse von der International Christian University in Mitaka in Japan. Herr Vosse, danke für Ihre Einschätzungen.
    Vosse: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.