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Obamas "Chancen sind besser, als sie vor Kopenhagen waren"

Barack Obama habe beim Klimagipfel ungeheure politische Bürden auf sich genommen, analysiert Michael Werz vom Center for American Progress in Washington. Bei innenpolitischen Fragen wie der Gesundheitsreform und Klimaschutz in den USA seien Obamas Chancen auf Durchsetzung jetzt besser.

21.12.2009
    Bettina Klein: Wir haben Sie in dieser Sendung bereits ausführlich informiert: Im US-Senat läuft heute Morgen, also mitten in der Nacht in Washington, die erste Abstimmung über die geplante Gesundheitsreform, und die ist eine wichtige Vorentscheidung für das gesamte Projekt. Rücksichten auf die Innenpolitik, auch auf die Zukunft seines wichtigsten Vorhabens, wurden dem amerikanischen Präsidenten unter anderem vorgeworfen von jenen, die sich enttäuscht zeigten von seinen Verhandlungen beim Weltklimagipfel in Kopenhagen, gemessen am Minimalergebnis und an den Hoffnungen, die auf ihm geruht hatten. Nun scheint ein historischer innenpolitischer Erfolg möglich jedenfalls. Wird das die Klimapolitik der Vereinigten Staaten beeinflussen? – Unter anderem über diese Frage habe ich heute Morgen mit Michael Werz gesprochen, er ist Sozialwissenschaftler am Center for American Progress, einer Denkfabrik in der US-Hauptstadt.

    Michael Werz: Nein. Ich glaube, das geht für die Strategie im Weißen Haus Hand in Hand. Man muss auch sehen, dass Barack Obama, der ja erst vor neun Monaten das Amt angetreten ist, am 20. Januar, schon sehr viel bewegt hat, nachdem seine Vorgängerregierung ja in allen erdenklichen Sprachen in den vergangenen acht Jahren nur immer nein zu allen Klimafragen gesagt hat. Er hat 70 Milliarden Dollar für erneuerbare Energien in den Stability Pack, also in das Stimulus-Paket zur Wirtschaftsförderung eingestellt, er hat die Verbrauchsstandards für Autos gesenkt, er hat ein Dekret erlassen, das die Reduzierung von Treibhausgasen in öffentlichen Gebäuden vorsieht, und man muss natürlich auch recht realistisch sehen, dass ohne den China-Besuch und ohne die Auseinandersetzung mit Indien diese beiden großen Schwellenländer sich in Kopenhagen unter Umständen noch destruktiver verhalten hätten, als sie es schon getan haben.

    Klein: Auf der anderen Seite greifen das gerade die Kritiker heraus und sagen, wir haben so eine neue Allianz in Kopenhagen gesehen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und China, beide hätten sich verbündet und dafür gesorgt, dass da im Grunde nichts rauskommt, aus, man muss es so sagen, wirtschaftlichen Interessen.

    Werz: Ich glaube, das ist eine Einschätzung, die nicht ganz richtig ist und die vielleicht auch damit zusammenhängt, dass die Europäer eine strategische Entscheidung nicht getroffen haben, nämlich die, Seite an Seite und Schulter an Schulter mit den Amerikanern gemeinsamen nach Kopenhagen zu gehen und dort eine westliche Allianz starkzumachen. Die Chinesen sind ja nach Kopenhagen gekommen und haben behauptet, es sei eine riesige Überraschung, dass in dem Kopenhagener Entwurf eine Transparenzklausel vorgesehen war, nämlich dass alle Staaten ihre Umweltverschmutzung und ihren CO2-Ausstoß auch entsprechend dokumentieren lassen müssen. Das war natürlich eine Art von Kabuki-Theater, die da inszeniert wurde, denn sowohl auf dem Apec-Gipfel als auch bei Obamas Besuch in Beijing waren diese Dinge ganz klar ausgehandelt. Es war für Barack Obama eher die Situation, dass er versuchen musste, zu retten, was zu retten ist. Man muss sich auch eingestehen, dass natürlich das Format dieser UN-Konferenz mit 194 Staaten und dann noch unter der Führung eines sudanesischen Verhandlungsführers und mit einer lateinamerikanischen Linken, die das als antiamerikanische Plattform benutzt hat, keine guten Voraussetzungen dafür geboten hat, eine Lösung zu finden.

    Klein: Sie haben gerade die deutsche Seite angesprochen, die da nicht Seit an Seit mit den Amerikanern gestanden hätte. Was werfen Sie der Bundesregierung vor an dieser Stelle?

    Werz: Ich denke, man hätte eine Entscheidung treffen können, viel, viel deutlicher zu sagen und auch herauszustellen, dass Barack Obama in den neun Monaten, in denen er im Amt ist, hier in den Vereinigten Staaten alles Menschenmögliche getan hat, was er tun konnte. Er ist sogar so weit gegangen, im Vorfeld von Kopenhagen die 17-Prozent-Ziele hier öffentlich zu machen und auch zu sagen, dass er das notfalls ohne eine Senatsgesetzgebung per Präsidentendekret durchsetzen wird. Er hat politisch ungeheuere Bürden hier auf sich genommen, ist ein hohes Risiko eingegangen. Man hat manchmal den Eindruck, dass das in Europa nicht entsprechend gewürdigt worden ist, weil dort die nimmer müden Kritiker an der Politik der Vereinigten Staaten, für die Barack Obama ja nur in den vergangenen acht Monaten, aber nicht in den vergangenen acht Jahren verantwortlich ist, dass diese nimmermüden Kritiker es für wichtiger gehalten haben, ihre eigenen Leistungen sozusagen als die Spitzenschüler in der Grundschulklasse in den Vordergrund zu stellen, aber nicht längerfristig strategisch sich überlegt haben, wie sich der Westen gegenüber den Schwellen- und Entwicklungsländern positionieren sollte.

    Klein: Es gab in einer Frage ganz besonders deutliche Meinungsverschiedenheiten, und da verlief die Trennlinie zwischen den USA und anderen westlichen Industriestaaten auf der einen Seite und zum Beispiel China, aber auch Brasilien auf der anderen, nämlich bei der Frage der Transparenz und Kontrolle, was eben Zahlungen an die Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenländer angeht. War es richtig, darauf in der Weise zu insistieren?

    Werz: Ja. Selbstverständlich muss man insistieren auf Transparenzkriterien, die ja auch die Chinesen bei dem Besuch von Barack Obama im November schon mehr oder weniger akzeptiert hatten. Es ist vollkommen klar, dass man sich auf viele Zahlen, die in Schwellenländern veröffentlicht warden, nicht besonders gut verlassen kann. Darum muss es objektive und auch nachprüfbare Kriterien geben, damit der CO2-Ausstoß entsprechend quantifiziert warden kann. Das ist ein ganz wichtiges politisches Argument auch hier innerhalb der USA, um einen solchen internationalen Vertrag, sollte er denn dann eines Tages verbindlich werden, hier auch durchsetzbar zu machen.

    Klein: Abschließend, Herr Werz: Das US-Klimagesetz hängt ja im Augenblick auch noch im Senat fest. Was heißt der Ausgang des Klimagipfels am Wochenende mit einem sehr dünnen Kompromiss auf der einen und der Fortschritt bei einem wichtigen innenpolitischen Projekt, nämlich der Gesundheitsreform, was sich jetzt abzeichnet, auf der anderen Seite? Sehen Sie die Chancen für dieses Gesetz jetzt als gestiegen an?

    Werz: Ich glaube, die Chancen sind besser, als sie vor Kopenhagen waren, trotz des schlechten Ergebnisses. Man muss auch sehen, dass es auch sekundäre und tertiäre Gründe gibt, nämlich die Umweltverschmutzung hier innerhalb der USA ist ein großes Problem. Auch in diesem Rahmen ist Klimagesetzgebung einfach notwendig. Zum Zweiten auch von vielen Konservativen unterstützt das Argument, dass man sich von fossilen Brennstoffen und Öl gerade aus problematischen Regionen starker unabhängig machen muss. Was auch dafür spricht, dass dieses Gesetz im Senat passieren wird, ist die Tatsache, dass er eine Koalition zwischen John Kerry, dem demokratischen Senator aus Massachusetts, und Lindsey Graham, einem der konservativsten Republikaner aus South Carolina, gibt, die gemeinsam ein Klimagesetz einschließlich eines Cap-and-Trade-Mechanismus vorgeschlagen haben. Man kann davon ausgehen, dass der Senat im Januar oder Februar dieses Gesetz verabschieden wird, dass es dann innerhalb von zwei oder drei Monaten wieder mit dem Gesetz, das im Abgeordnetenhaus parallel im Sommer dieses Jahres bereits durchgewunken wurde, vermittelt werden muss, sodass wir dann hoffen, im Frühsommer eine Unterschrift des Präsidenten unter einem neuen Klimagesetz hier in Washington zu haben.

    Klein: Die Einschätzung von Michael Werz, Sozialwissenschaftler am Center for American Progress in Washington. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Werz.