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Obdachlosigkeit in Los Angeles
Nie wieder im Camper leben

Zweieinhalb Jahre haben Rebecca und Paul in Los Angeles in einem rostigen Wohnmobil auf der Straße gelebt - ständig auf der Flucht vor Parkwächtern und der Polizei. Dank der Hilfe eines Sozialarbeiters haben sie endlich wieder eine feste Bleibe.

Von Kerstin Zilm | 21.04.2018
    Ein Obdachloser mit seinem Hab und Gut, das in Müllsäcken
    Wie diese Obdachlosen in San Francisco haben Rebecca und Paul ihr Hab und Gut eine zeitlang im Einkaufswagen durch ihre Stadt geschoben (dpa/picture alliance - Klaus Nowottnick)
    Rebecca Cox zeigt auf ihr Smartphone. "Das ist das Biest". Auf dem Schirm ist ein Foto von dem Fahrzeug, in dem sie und Ehemann Paul zweieinhalb Jahre lang gelebt haben: ein Wohnmobil, rostig, abblätternder Lack, das Sonnendach mit braunem Isolierband zugeklebt, Klamotten und Töpfe übereinander gestapelt auf der Konsole.
    "Drinnen, im Wagen war es furchtbar. Kein fließendes Wasser. Klo und Dusche kaputt. Zum Waschen haben wir in Töpfen und Pfannen Wasser auf dem Herd warm gemacht. Es war eng, heiß und stickig. Aufs Klo sind wir beim Fast Food Laden in der Nähe gegangen. Das ging natürlich nur während der Öffnungszeiten zwischen fünf Uhr morgens und elf Uhr nachts und solange wir deren Kunden nicht störten."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Glücklich wieder in einer Wohnung zu leben: das Ehepaar Rebecca und Paul (Deutschlandradio/Kerstin Zilm )
    Rebecca und Paul parkten das Biest in Industrievierteln von Los Angeles, in denen sich niemand freiwillig aufhält. In der Stadt darf kein Fahrzeug länger als 72 Stunden am selben Ort abgestellt sein. Das Wohnmobil war außerdem nicht registriert und hatte kein Kfz-Kennzeichen. Sie waren deshalb ständig auf der Flucht vor Parkwächtern und Polizei. Klebte mal wieder eine rote Abschleppwarnung am Wohnmobil, mussten sie es bewegen.
    Aus einer Notlösung wurde ein Dauerzustand
    Ihre Odyssee begann vor fünf Jahren. Rebecca und Paul waren von der Ostküste nach Kalifornien gekommen, hatten Jobs, Unterkunft und eine Erbschaft in Aussicht. Doch Rebeccas Freunde, die ihnen ein Zimmer angeboten hatten, vermieteten plötzlich lieber über Airbnb. Statt Erbschaft gab es einen Familienstreit vor Gericht, aus dem sie mit leeren Händen hervorgingen. Sie schliefen ein paar Nächte im Auto. Aus der Notlösung wurde ein Dauerzustand. Dann brach ihr Auto zusammen und bewegte sich nicht mehr. Die Reparatur konnten sie sich nicht leisten. Sie verkauften es, mieteten ein Motelzimmer und standen, als das Geld ausging, mit ihrem Hab und Gut auf der Straße.
    "Wir schieben unser Zeug im Einkaufswagen vor uns her und ich frage mich: Was tun wir jetzt? Wir begannen, unter einer Brücke des LA-River zu leben."
    Rebecca traute sich vor Angst und Scham nicht, das improvisierte Lager zu verlassen. Paul, ein Kriegsveteran, der in mehreren Irak-Einsätzen war, belastete am meisten, seine Frau so verzweifelt zu sehen.
    "Ich habe ihr gesagt: Das ist nur ein kleines Hindernis, das wir überwinden müssen. Ich war im Überlebensmodus, wie ich es bei der Armee gelernt hatte. Ich habe herausgefunden, wo man als Tagelöhner arbeiten kann und wo man für Flaschen Geld kriegt. Ich musste die Lage ändern und habe getan, was dafür notwendig war."
    Hilfe durch einen Sozialarbeiter
    Ein Mann, für den Paul manchmal arbeitete, schenkte ihm sein altes Wohnmobil - das Biest. Rebecca machte sich wieder auf Arbeitssuche. Vergeblich. Ohne feste Adresse, Empfehlungen und gebügelte Kleidung kam sie nie über Bewerbungsgespräche hinaus. Irgendwann stand die Polizei neben dem Wohnmobil und drohte es samt Inhalt in wenigen Stunden abzuschleppen.
    Dieser Tiefpunkt brachte die Wende. Sozialarbeiter Christian Riehl erfuhr von der Lage der beiden. Das St. Joseph Center, in dem er arbeitet, hilft Obdachlosen bei der Job- und Wohnungssuche. Das Zentrum hatte gerade eine Abteilung für "vehicular homeless" eingerichtet, für Obdachlose, die in Fahrzeugen leben, sagt Riehl.
    "Mir war das Ausmaß dieses Phänomens nicht klar. Ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht, dass es das gibt bevor meine Partnerin und ich den Job bekamen. Sie waren irgendwie unsichtbar. Jetzt sehe ich sie überall."
    Riehl nahm sich der beiden an. Für obdachlose Kriegsveteranen gibt es in Los Angeles ein besonderes Hilfsprogramm. Doch Paul brauchte als erstes Papiere, um zu beweisen, wer er ist.
    "Mit Paul war es schwierig. Er hatte nicht nur eine Familie und Hunde. Er hatte nur eine Social Security Card, eine zerrissene Heiratsurkunde und sein Ehrenwort, ein Kriegsveteran zu sein. Kein Ausweis. Das war alles, was wir hatten."
    Erste feste Bleibe nach viereinhalb Jahren
    Das St. Joseph Center organisierte einen temporären Stellplatz für das Biest und half den beiden bei der Wohnungssuche. Sozialarbeiter Riehl filmte Rebecca und Paul, als sie vor Kurzem den Schlüssel zu ihrer ersten festen Bleibe seit viereinhalb Jahren bekamen.
    Unterstützt durch Sozialhilfe können Rebecca und Paul hier endlich durchatmen. Möbel und Kleidung sind gespendet. Lebensmittel kaufen sie mit Essensmarken. Rebecca macht eine Ausbildung zur medizinisch technischen Assistentin. Beide sind wild entschlossen, nie zum Leben im Camper zurückzukehren.
    "Ich bin so froh, wache noch immer jeden Tag auf und denke: Wow! Ich habe ein Dach über dem Kopf! Es war wunderbar, als mein Mann den Schlüssel bekommen hat und Christian sagte: Das ist dein Schlüssel."
    "Es ist keine Option, zu diesem Leben zurückzukehren, aber wir werden auch nicht vergessen wo wir hergekommen sind. Wir haben hoffentlich gelernt, wie man aus so einer Situation rauskommt und nicht wieder abstürzt."