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Obermeyers unglaubliches Leben

Aspen ist das US-amerikanische Winterparadies der Schönen und Reichen. Zum Inventar des Skiortes in den Rocky Mountains gehört der 89-jährige Deutsche Klaus Obermeyer. Er hat nicht nur Garry Cooper und Ingrid Bergmann das Skifahren beigebracht, sondern auch noch den Daunenanorak, die Sunblockercreme und die verspiegelten Sonnenbrillen gegen Schneeblindheit erfunden.

Von Bernhard Krieger | 08.02.2009
    Im Winter zieht es Hollywood in den Wilden Westen, ins Herz der Rocky Mountains nach Aspen. Die alte Mienenstadt mit ihren viktorianischen Holzhäusern, sündhaft teuren Boutiquen, Szenelokalen und den tausenden Lichterketten wird dann zur glamourösen Kulisse für das Schaulaufen der Reichen und Schönen. Da wedelt Antonio Banderas mit feurigem Hüftschwung den Aspen Mountain hinab, Jack Nicholsons teuflisches Grinsen spiegelt sich im Schaufenster der sündhaft teuren Boutiquen und die unsägliche Paris Hilton räkelt sich im knappen Christkindl-Outfit mit Highheels auf einem Schlitten für die Klatschfotografen.

    Im Sankt Moritz Amerikas tummeln sich Stars und Sternchen. Viel beeindruckender als all die Promis aus dem Showbusiness ist jedoch ein 89-jähriger Deutscher. Klaus Obermeyer. Der gebürtige Bayer ist einer der einfallsreichsten Erfinder im Skisport, ein erfolgreicher Unternehmer und ein echtes Original. In Aspen ist er unübersehbar und auch unüberhörbar.

    Schon als Obermeyer nach dem zweiten Weltkrieg aus Oberstaufen nach Aspen kam, war das Jodeln sein Markenzeichen. Als Flugzeugingenieur fand er in Deutschland keine Arbeit mehr, da machte er in Amerika seine Leidenschaft zum Beruf und heuerte als Skilehrer an. Schon damals kamen die Promis nach Colorado. Obermeyer brachte Garry Cooper das Skilaufen bei - und auch Ingrid Bergmann.

    "Die war fesch und sehr nett und sehr lieb. Aber sie hatte einen sehr, sehr eifersüchtigen Ehemann gehabt. Und der hat sich hinter den Bäumen versteckt, wenn wir runter gefahren sind, dass ja nichts passiert. Denn Skilehrern kann man nicht immer trauen."

    Mit eifersüchtigen Ehemännern hatte der charismatische Obermeyer aber weniger Probleme als mit dem schlechten Material damals. Seine Skischüler gaben reihenweise auf, weil sie in ihren dünnen Wolljacken in den Rockys fast erfroren. Der Obertstaufener bekam aber nur Geld, wenn seine Schüler den Kurs auch beendeten. Da kam ihm die geniale Idee: Obermeyer schneiderte sich kurzerhand aus der Daunensteppdecke seiner Mutter den ersten Daunenanorak der Welt:

    "Der war warm zum Herauffahren im Lift und man hat drin Skifahren können. Und da hat einer meiner Schüler den für viel Geld abgekauft. Da habe ich gedacht, oh, wenn die so viel ausgeben für einen Anorak: Das ist wahnsinnig - 250 Dollar, das war sehr viel Geld. Man hat einen neuen Buick kaufen können für 1200 mit Radio. Da bin ich nach München, da habe ich Freunde gehabt, die haben eine Bettenfabrik gehabt. Die haben mir 75 geschneidert. Die sind wie heiße Semmeln weg, damals. Und haben viel besser ausgeschaut, als der, den ich aus der Daunendecke gemacht habe. Der war verheerend. Da sah ich aus wie ein Michelinmann."

    In kürzester Zeit hatte Obermeyer den Daunenanorak optimiert - und produzierte ihn schon bald in großen Mengen. Das Sportmode-Unternehmen Obermeyer war geboren und es florierte. Vor allem weil der gelernte Ingenieur den Skisport mit einer Neuheit nach der anderen revolutionierte. Obermeyer erfand die heute in jeder Skibindung verwendete Skibremse, die Sunblockercreme gegen Sonnenbrand im Hochgebirge und die verspiegelten Sonnenbrillen gegen Schneeblindheit - dafür nahm ihn Amerikas Skiverband in seine Hall of Fame auf und die Stadt benannte einen Platz nach ihm. Klaus Obermeyer ist Aspen größtes Aushängeschild - meint auch Gunnar Sachs:

    "Er ist einfach ein unglaublich positiver, herzlicher und großer Mann. Und ich glaub, in Aspen gibt es von der alten Generation noch wenige von den richtigen großen Seelen. Und er ist ganz klar einer davon."

    Der Sohn des einstigen Jet-Set-Königs Gunther Sachs betreibt in Aspen die Restaurants Elevation und Social - unter den rund 100 Restaurants des Städtchens gehören sie zu den allerersten Adressen. Wer das nötige Kleingeld hat, kann in Aspen fantastisch essen - von Sushi bis hin zu französischer Haute Cousin - und nicht nur Steaks, Burger und Pommes.

    Aspen ist die höchstgelegene Feinschmeckermetropole Nordamerikas. Obermeyer aber liebt die Küche seiner alten Heimat. Schweinebraten und Knödel - so wie sie Harald Neuweg in seiner Wienerstube auftischt:

    "Der Klaus ist jeden Tag hier zum Frühstück und zweimal, dreimal in der Woche zum Abendessen. Und wir sind überglücklich, den Klaus hier zu haben, eine solche Legende wie den Klaus. Es ist eine Ehre."

    Nach dem Frühstück in der Aspener Institution gibt es für Obermeyer kein Halten mehr. Immer noch zieht es ihn an jedem schönen Tag auf die Piste. Ein Leben ohne Skifahren kann sich Obermeyer gar nicht vorstellen:

    "Ne, das wäre blöd, wenn man nicht skifahren könnte. Das Schöne beim Skifahren ist, man kann vielleicht hinken, wenn man läuft, aber beim Skifahren sieht man das nicht."

    Und so geht der Mann mit den schneeweißen Haaren und den funkelnd blauen Augen zwar leicht gebeugt zur Talstation der Silver Queen Gondola, mit jedem Höhenmeter aber scheint Obermeyer jünger zu werden. Oben auf dem 3418 Meter hohen Aspen Mountain - dem ältesten der vier Aspener Skiberge - ist er in seinem Element. Über sanft gewellte Genussabfahrten gleitet Obermeyer an den schwierigen Steilabfahrten quer durch die Wälder vorbei - hinüber zu seiner Lieblingspiste:

    "Da gehen sehr wenig Leute hinüber. Da kann man also ein bisschen aufdrehen und laufen lassen."

    Auch mit seinen stolzen 89 Jahren fährt Obermeyer noch vielen auf und davon - seine Skibegeisterung scheint unerschöpflich:

    "Mit jeder Abfahrt lernt man wieder etwas dazu. Und so denke ich: Wenn ich 110, 120 Jahre alt bin, dass ich dann endlich skifahren kann."

    Wenn Obermeyer auf Skiern steht, sprüht er nur so vor Lebensfreude. Und diese Begeisterung teilt er mit all seinen Angestellten - immer noch lenkt er als President die Geschicke seiner Firma selbst - und das spürt man. Statt Hitzefrei - wie an deutschen Schulen - gibt es bei Obermeyer Tiefschnee-Frei:

    "Wenn es sechs Zoll schneit, dann kriegen alle frei zum Skifahren."

    Hat es Frau Holle mal wieder besonders gut gemeint - pilgern Obermeyers Angestellte nach Aspen Highlands - dem nur 5 Kilometer vom Ort entfernten Locals Mountain - zum Lieblingsberg der Einheimischen - geliebt und gefürchtet:

    "Sie glauben, ein guter Skifahrer zu sein? Sie meinen, dass sie wirklich, ganz ehrlich, gut sind? Dann gehen sie mal dorthin , wo wir hingehen, um bescheidener zu werden - Aspen Highlands."

    So preist die Aspen-Werbung die legendären Highland Bowls an. Und ausnahmsweise ist diese Werbung mal nicht übertrieben. Die Abfahrten vom 3780 Meter hohen Highlands Peak sind tatsächlich atemberaubend. Im wahrsten Sinne des Wortes. Bevor man sich eine der 18 Tourenabfahrten in die Bowl hinabstürzen kann, muss man erstmal fast eine Stunde aufsteigen. Experts only - alle paar hundert Meter mahnen gelb-schwarze Warnschilder zur Umkehr. Zu Recht, meint Ski-Führer Kenny Smith:

    "Das hier ist das spektakulärste, was wir zu bieten haben. Auf den Highlands Peak weit ab von jedem Lift kommt nur, wer die Power hat hier zu Fuß raufzulaufen. Das machen nur die Härtesten und das ist auch gut so - wer seine Ski hier nicht wirklich beherrscht. Dem Gnade Gott. 45 Grad Gefälle, Buckel und Tiefschnee - für Könner ist das hier eine großartige Abfahrt."

    Das Panorama mit den höchsten Bergen Colorados ist einzigartig - der Blick hinunter in die Bowl für viele angsteinflössend - nicht umsonst nennen die Aspener die Abfahrten hier nicht nur black sondern "double black diamond" - erzählt Kenny:

    "Double black diamond ist die Steigerung einer schwarzen Piste. Und das heisst, hier gehören wirklich nur Könner hin - und keine Anfänger."

    Die schwersten und steilsten double-black-diamond-Abfahrten in Aspen sind die G 8 und die Full Curl fast senkrecht hinab vom Highlands Peak. Mit einigen aufmunternden Worten schickt mich Kenny dort in die Tiefe:

    Jetzt bloß nicht runterschauen, konzentrieren und die Kanten in den Berg hauen. Der Schnee ist gut, die Kanten greifen - auch Kenny scheint zufrieden - sicherheitshalber schreit er mir noch die letzten Tipps hinterher.

    Nach den ersten vorsichtigen Kurz-Schwüngen - bin ich im Rhythmus - ein großartiges Gefühl - einige hundert Meter ist das Steilstück lang - immer wieder werde ich von kleinen Schneelawinen überholt, die ich mit dem harten Kanteneinsatz selbst losgetreten habe - dann wird's flacher - jetzt kommt das Genussstück:

    Vom Tal der Bowl geht es durch die hier bis weit über 3000 Meter hoch wachsenden dichten Wälder zum Einkehrschwung auf die Cloude-Nine-Hütte. Wer in den USA die Gemütlichkeit alpenländischer Berggasthöfe vermisst, ist beim Österreicher Andreas Fischbacher genau richtig:

    Die Amerikaner lieben Fischbachers Hütte dennoch und auf die Europäer wirkt sie ohnehin wie ein Magnet:

    An kalten Tagen drängen sich alle rund um den alten Kamin - bei Sonnenschein strömen sie auf die Terrasse mit Panoramablick auf die umliegenden Viertausender. Für A. D. Fuller ist Cloude Nine die schönste Hütte Colorados. Wenn der frühere Bergwachtler bei Fischbacher sitzt, wird er ganz nostalgisch:

    "Früher war die Hütte das Hauptquartier der Bergwacht. Und immer wenn die Ski-Patroler zur Mittagspause zurückkamen sind sie auf ihren Skiern über das Dach der Hütte gesprungen. Das war natürlich eine Riesenshow. Manchmal sind sie sogar mit dem Rettungsschlitten im Schlepptau gesprungen. Aber heutzutage in den Zeiten von Anwälten und Prozessen lassen sie das lieber."

    Vor tief fliegenden Bergwachtlern muss sich auf der Cloude Nine Hütte heute niemand mehr fürchten. Nur vor Fischbachers Obstler sollte man sich in Acht nehmen. Gegen ein Gläschen in Ehren hat in Colorado niemand etwas einzuwenden - ansonsten aber ist Alkohol auf den Pisten in den USA verpönt. Überhaupt ist Skifahren in den Rockys ist sehr viel ruhiger - da wird am Lift nicht gedrängelt und auf den Hütten weder gesoffen noch gegrölt. Statt Anton aus Tirol hört man - wenn überhaupt - Jazz, Country-Music oder guten alten Rock & Roll:

    Nicht nur die Atmosphäre ist anders - die Amerikaner fahren auch anders Ski als die Europäer. Viele zieht es raus ins Gelände. Das gesamte Ski-Gebiet ist Lawinen überwacht - Ausflüge abseits der Pisten sind erlaubt. Man darf auch quer durch die Wälder fahren. Tree-Skiing nennen das die Amerikaner. Und wer auf den Pisten bleibt, wundert sich, wie viel Platz er dort hat. Verglichen mit den Ski-Arenen der Alpen waren Aspens Pisten aufgrund der Lage des Ortes weitab großer Städte immer schon leer - seit der Wirtschaftskrise in den USA sind sie fast verwaist. Ein ganz neues Fahrerlebnis, meint der deutsche Ski-Urlauber Jochen Meier, den vor allem der Service beeindruckt hat:

    Leere Pisten, unzählige Geländeabfahrten und der Top-Service sind die Stärken Colorados - sein größter Trumpf aber ist der berühmte Champagne Powder. Warum der Schnee in Aspen so gut ist, erklärt Klaus Obermeyer:

    Fast neun Meter fallen durchschnittlich pro Jahr in Aspen. Mehr als genug für eine Ski-Saison von November bis April und lange Spaziergänge durch den tiefen Schnee.

    Noch hat Colorado reichlich Schnee - das Problem der globalen Erderwärmung aber hat man auch in Aspen längst erkannt. Und auch in Sachen Umweltschutz war Obermeyer wieder mal Trendsetter. Sein schon vor fast 30 Jahren erbautes Firmengebäude wird hauptsächlich mit Solarenergie geheizt. Obermeyer machte es vor und die Aspen Skiing Company folgte dem guten Beispiel. Als eine der ersten Ski-Gesellschaften führte sie eine Umwelt-Abteilung ein und rühmt sich heute damit, das grünste Ski-Ressort der Welt zu sein. Sehr zur Freude ihres Umwelt-Managers Matt Hamillton:

    "Zu unseren größten Projekten derzeit zählt der Bau eines kleinen Windradparks in unserem Ski-Gebiet Snowmass. Mit nur drei Windrädern wollen wir dort 2/3 unseres gesamten Energiebedarfs decken. Außerdem nutzen wir Solar-Energie und in unseren Pistenraupen Bio-Diesel aus dem verbrauchten Fett unsere Restaurants. Mit all diesen Maßnahmen wollen wir bis 2020 unseren CO2-Ausstoß um 25 Prozent senken. Und das ist wichtig. Auch wenn wir uns das jetzt nach dem vielen Schnee der letzten Winter in Colorado nicht vorstellen können: Aber wenn wir die Erderwärmung nicht bremsen, wird Ski-Sport auch hier bald nur noch in sehr hohen Lagen möglich sein."

    Aspen ist also im Herzen grün - und Aspen ist bunt wie das Szeneviertel einer Großstadt. In dem 6000-Einwohner-Städtchen gibt es 80 Kunst-Galerien, einige Theater und sogar eine Oper. Das international bekannte Aspen Institute zieht Wissenschaftler und Intellektuelle an. Aspen ist kein Retorten-Skiort und auch alles andere als ein hinterweltlerisches Bergkaff - Aspen ist weltoffen und liberal, was nicht zuletzt die Gay Ski-Week im Januar beweist, wenn Schwule und Lesben bunt kostümiert die Main Street entlang ziehen.

    So viel Trubel herrscht sonst nur im "Treehouse" - einem neu gebauten 17 Millionen Dollar Palast für Kinder. Am Fuße des Skigebiets werden im immer größer werdenden Snowmass-Resort Kinder schon ab einem Alter von nur 8 Wochen betreut, damit ihre Eltern in Ruhe Ski fahren können. Snowmass ist so groß wie die übrigen drei Ski-Gebiete Aspen Mountain, Aspen Higlands und das eher langweilige Anfänger-Gebiet Buttermilk zusammen. Die Fahrt mit dem Ski-Buss von Aspen nach Snowmass dauert eine gute halbe Stunde:

    Die Strecke führt an Aspens kleinen Flughafen vorbei. Zur Weihnachtszeit stehen hier an die hundert Privatjets. Mit ihnen reisen die Besitzer der Villen an, die in Pisten-Nähe nicht unter zehn Millionen Dollar zu haben sind. Die teuersten kosten über 36 Millionen Dollar. Das Durchschnitts-Familienhaus immerhin noch 1,5 Millionen, erzählt Ski-Guide AD Fuller. Ganz schön beeindruckend - so wie sein Lieblingsgebiet:

    "Snowmass hat einfach alles: leichte breite Genussabfahrten, Buckelpisten und unendlich viel Gelände. Ich liebe Snowmass, weil es so viel Abwechslung bietet: Vom Anfängerhang bist zu den ultimativen Herausforderungen der Double Black Diamond-Pisten."

    Was das Flair angeht kann der Retortenort Snowmass Aspen nicht das Wasser reichen - aber das Ski-Gebiet ist großartig und ein Dinner in der Wild-West-Hütte Lynn Britt Cabin hoch oben auf dem Berg wirklich romantisch. Mit einem von einer Pistenraupe gezogenen Schlitten geht's hinauf:

    Bei Mondschein kann man auch auf Skiern abfahren. Die Pisten sind einfach und breit. Wer sich verfährt, muss nur Augen und Ohren aufsperren. Denn vorneweg fährt wieder einmal Klaus Obermeyer - und der ist in Aspen schließlich unübersehbar und unüberhörbar.