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Oberst musste innerhalb von Sekunden entscheiden

Klaus Naumann rechtfertigt den Luftangriff in Afghanistan. Oberst Klein, der den Angriff befohlen hatte, habe sich korrekt verhalten. Der Bundeswehrgeneral a.D. bemängelte gleichwohl die Informationspolitik von Verteidigungsminister Jung.

Klaus Naumann im Gespräch mit Silvia Engels | 07.09.2009
    Silvia Engels: Der Angriff geschah in der Nähe zum Freitag und er traf zwei gestohlene Tanklastwagen in der Nähe der afghanischen Stadt Kundus. Die Bundeswehr hatte die Raketenattacke angeordnet, um gegen Taliban vorzugehen. Doch wie viele Menschen bei den Explosionen starben und wie viele der Opfer Zivilisten waren, darüber gibt es verschiedene Darstellungen. Das Bundesverteidigungsministerium hatte nach dem Angriff zunächst verlauten lassen, es seien bei dem Schlag nur aufständische Taliban getroffen worden. Doch nicht nur internationale Zeitungen berichten mittlerweile über viel mehr zivile Opfer, als bislang offiziell benannt; auch auf dem Außenministertreffen der EU in Stockholm vom Wochenende gab es deutliche Kritik am Vorgehen der Bundeswehr in Afghanistan. Am Telefon ist nun General a.D. Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Guten Tag, Herr Naumann!

    Klaus Naumann: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Sie kennen natürlich auch die Vorgänge in Afghanistan nicht im Einzelnen, aber Sie wissen, wie Luftangriffe grundsätzlich geplant und ausgeführt werden. US-Medien berichteten ja, die Entscheidung zum Angriff sei auf Grundlage nur einer Quelle entschieden worden. Ist so etwas denkbar?

    Naumann: Das entspräche zunächst mal, Frau Engels, den Richtlinien, die der General McChrystal herausgegeben hat. Aber lassen Sie mich zunächst mal als Erstes sagen: bei all denjenigen, die jetzt kritisieren, sollte zunächst mal das Nachdenken einsetzen und sie sollten sich überlegen, dass der Kommandeur vor Ort Entscheidungen in Sekunden- und Minutengeschwindigkeit treffen muss, während sie in der Regel, die da Kritik geübt haben, sich für Entscheidungen Wochen, wenn nicht Monate nehmen. Ich nenne da die Außenminister der Europäischen Union wie zum Beispiel Herrn Kouchner oder Herrn Asselborn, die an Dümmlichkeit kaum noch zu übertreffende Äußerungen von sich gegeben haben, ohne irgendeinen Fakt zu kennen.

    Engels: Da bleiben wir direkt dabei stehen. Der französische Außenminister Kouchner spricht von einem großen Fehler und Schwedens Außenminister Bildt empfahl, es wäre besser gewesen, die Sache anders anzufassen. Das ist natürlich ein starkes Stück. Liegt das daran, dass früher die Deutschen immer Kritik an anderen Partnern geübt haben hinsichtlich des Einsatzes?

    Naumann: Das mag sicher eine Rolle spielen. Deutschland hatte ja leider Gottes - leider auch Militärs dabei - immer wieder Amerikaner kritisiert, wenn die im Süden Afghanistans relativ hart vorgegangen sind. Dieses harte Vorgehen ist ja die Ursache für die neue Direktive von General McChrystal gewesen. Aber lassen Sie mich noch mal zu dem Oberst Klein sagen, der diese Entscheidung getroffen hat. Ich bedauere ihn für all das, was er jetzt über sich ergehen lassen muss, und ich bedauere vor allem und in erster Linie die unschuldigen Menschen, die ihr Leben verloren haben. Aber er musste vor Augen haben, dass vor wenigen Tagen in Kandahar die Taliban einen Benzinlaster gesprengt haben und dabei 40 Menschen getötet haben. Das, glaube ich, stand bei seiner Entscheidung im Hintergrund und das wollte er verhindern. Da habe ich ein gewisses Verständnis für. Über die Frage, ob man andere Mittel hätte nehmen können, wie Herr Karsai das jetzt meint sagen zu müssen, da maße ich mir kein Urteil an, weil ich die Situation vor Ort nicht kenne. Ich möchte aber noch mal betonen: nach dem, was ich von der Richtlinie McChrystals weiß, reicht bei Angriffen auf Ziele außerhalb von Ortschaften eine Informationsquelle aus. Die hatte ganz offensichtlich der Oberst Klein, als er den Angriff befohlen hat, und da er natürlich auch noch im Grunde eine Reduzierung der Bombenlast durchgesetzt hat, schließe ich – und das darf man auch nicht vergessen – daraus, es waren amerikanische Piloten, die den Einsatz geflogen haben und die ja auch unter der Weisung von General McChrystal stehen. Also irgendwo so ganz daneben nach der Weisungslage kann das Handeln nicht gewesen sein.

    Engels: Wie muss man sich denn die Situation vorstellen? Hat man in einer solchen Entscheidungssituation auch letzte Informationen, die beispielsweise hätten erbringen können, dass sich Zivilisten nun rund um diese Tankfahrzeuge versammelt haben, oder ist das technisch gar nicht möglich?

    Naumann: Doch. Es gibt in einer solchen Situation – und so ist es ja auch berichtet worden – Bildübertragungen von den Flugzeugen direkt in den Gefechtsstand des entscheidenden Kommandeurs. Er sah ein bei Nacht aufgenommenes Bild, das natürlich immer wieder gewisse Qualitätseinschränkungen hat, und er hatte offensichtlich einen Informanten vor Ort, der ihm berichtete, was sich dort abspielte. Ob die Aussage dieses Informanten, das sind alles Taliban, zutreffend ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen und ich maße mir da auch kein Urteil an. Aber ich habe gelesen, dass lokale Stellen in Kundus gesagt haben, die Taliban hätten nur Leute angerufen in Dörfern, die sie kontrollieren. Also waren es zumindest Angehörige von Dörfern, die den Taliban nicht unfreundlich gegenüberstehen.

    Engels: Herr Naumann, es ist ja in der Region immer schwer, zwischen Taliban-Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden. Die Bundeswehr steht nun in der Kritik. Allerdings steht auch das Verteidigungsministerium in der Kritik, nämlich für die eigene Politik, was man nach außen gibt. Sind solche Aussagen, es habe keine zivilen Opfer gegeben, überhaupt vertretbar?

    Naumann: Ich habe ja immer versucht, Minister Jung zu unterstützen, wo ich ihn unterstützen konnte. Aber die Informationspolitik, die sein Haus in diesem Fall gefahren hat, halte ich für erheblich verbesserungswürdig. Ich habe solche Situationen als Generalinspekteur erlebt wie als Vorsitzender des Militärausschusses. Ich erinnere an die unglückliche Bombardierung eines Eisenbahnzuges im Kosovokrieg. Wir haben in all solchen Fällen immer wieder die Linie verfolgt, schonungslose offene Information, alle Information muss der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, immer wenn es um Menschenleben geht. Hier hätte man, glaube ich, schon deutlich besser arbeiten können. Wir leben in einer völlig veränderten digitalen Zeit. Filmaufnahmen wie zum Beispiel diese Luftwaffenaufnahmen können der Öffentlichkeit dargestellt werden. Wenn es da irgendwelche Bedenkenträger gibt, die sagen, das dürfen wir aus Geheimhaltungsgründen nicht machen, dann kann ich nur sagen, das ist schlichter Quatsch. Da muss man sich darüber hinwegsetzen und sagen, das muss jetzt gemacht werden, da steht viel mehr auf dem Spiel. Allerdings genauso muss ich Kritik üben an dem General McChrystal. Bei Ermittlungen einen Journalisten mitzunehmen und den berichten zu lassen, ohne dass er selbst irgendein Wort der Wertung zu dem Handeln des Kommandeurs gesagt hat, da muss der gute General noch einiges lernen, wie man Truppe führt. So gewinnt man kein Vertrauen.

    Engels: Bleiben wir bei dem letzten Punkt. Die "Neue Osnabrücker Zeitung" berichtet heute ja von schweren Verstimmungen zwischen deutschen Militärs und US-Militärs genau wegen dieses Punktes, dass dort Journalisten mit US-Unterstützung sehr frei berichten konnten und auch möglicherweise einseitig. Die deutsche Seite hält danach angeblich den USA die Streuung von gezielten Fehlinformationen vor. Halten Sie so etwas für möglich?

    Naumann: Das würde ich nun auch wieder für übertrieben halten. Ich würde allen Beteiligten raten, jetzt erst mal eine Abkühlungsphase zu nehmen und mit gegenseitigen Beschuldigungen sich zurückzuhalten. Was getan werden muss, ist, lückenlos und wirklich erbarmungslos aufzuklären, was dort geschehen ist. Das Fehlverhalten muss festgehalten werden, daraus muss, wenn es eines gegeben hat, gelernt werden und es muss für die Zukunft verhindert werden, dass so was sich wiederholt, denn richtig ist natürlich schon: Mit derartigen Einsätzen macht man unglaublich viel kaputt im Verhältnis zwischen der afghanischen Bevölkerung und den NATO-Truppen dort. Jeder Tote, jeder unschuldige Tote, möchte ich sagen, bedeutet möglicherweise Zulauf für die Taliban.

    Engels: Sie haben von Konsequenzen gesprochen, dass man aus Fehlern lernen muss. Inwieweit muss denn auch Minister Jung über persönliche Konsequenzen, vielleicht einen Rücktritt nachdenken?

    Naumann: Nein. Wissen Sie, ich halte solche Forderungen für ich möchte sagen schlicht übertrieben. Natürlich: Der Minister wird selbst merken, ob er etwas falsch gemacht hat, was er falsch gemacht hat, und wird daraus Konsequenzen ziehen. Aber wer jetzt nach Rücktritt schreit, der festigt die Stellung von Minister Jung, denn die Lebenserfahrung sagt immer, wenn Rücktritt gefordert wird, ist man anschließend umso fester im Sattel.

    Engels: General a.D. Klaus Naumann, früher Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Herzlichen Dank für das Gespräch.