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Oberste Priorität gilt der Gewerkschaftsarbeit

Remme: Massenarbeitslosigkeit, Sparbemühungen wohin man blickt und ein gleichzeitiger Umbau der Sozialsysteme. Wann wenn nicht jetzt brauchen Arbeitnehmer hierzulande eine kompetente und kampfstarke Vertretung ihrer Interessen. Die Gewerkschaften, allen voran die einst mächtige IG Metall, konnte in den vergangenen Jahren ein unbequemer Partner sein. Teilen der Union ist ihr Einfluss längst ein Dorn im Auge gewesen, und so wird es sicherlich den einen oder anderen geben, der die öffentliche Selbstdemontage der Industriegewerkschaft Metall mit einem Quäntchen Genugtuung zur Kenntnis nimmt. Das Lager rund um den designierten Chef Jürgen Peters verweigert sich einer Lösung zum jetzigen Zeitpunkt. Führungslos und zerstritten will die IG Metall offenbar durch den Sommer treiben bis zum Gewerkschaftstag im September. Dann erst soll die Basis ein Machtwort sprechen können. Am Telefon ist jetzt Ursula Engelen-Kefer, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen Frau Engelen-Kefer!

    Engelen-Kefer: Guten Morgen Herr Remme.

    Remme: Ich weiß nicht, ob Sie die Presseschau vor diesem Gespräch verfolgen konnten, aber Sie werden die Berichterstattung sowieso aufmerksam verfolgen. Das mediale Echo auf die IG Metall-Krise ist vernichtend. Ist es das zurecht?

    Engelen-Kefer: Ich glaube da gibt es nichts zu beschönigen, aber ich denke diese Krise muss jetzt durchgestanden werden und wir können hier nicht wie das Kaninchen auf die Schlange gucken, sondern die Gewerkschaftsarbeit geht weiter und wir als Gewerkschaften müssen mit der IG Metall unseren Willen deutlich machen, hier die Wirtschafts- und Sozialpolitik mitzugestalten. Das ist vielleicht in der Vergangenheit nicht genügend geschehen und das muss die Lehre sein, die wir hieraus ziehen.

    Remme: Ich will nicht allzu sehr nachkarten, aber noch ein Blick zurück. Es war vielleicht nicht die Ursache, aber der gescheiterte Konflikt um die 35-Stunden-Woche im Osten war doch Auslöser dieser Krise. Waren Sie von diesem Arbeitskampf überzeugt?

    Engelen-Kefer: Die Tarifpolitik wird von den Gewerkschaften gemacht und wir haben sie zu unterstützen. Es bleibt das Problem, dass wir die Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen zwischen West und Ost weiter voranbringen müssen. Eine der Bedingungen sind natürlich auch die Arbeitszeiten. Wie man das macht, muss jede Gewerkschaft für sich entscheiden. Deshalb geht es nicht darum, irgend etwas zu bewerten, sondern zu sehen welche Lehren ziehen wir daraus. Sicherlich ist eine der Lehren, dass die Befindlichkeit der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern berücksichtigt werden muss, die dortige schwierige wirtschaftliche Situation, und ich hoffe, dass eben die Lehren hieraus möglichst bald gezogen werden können, denn die Arbeit muss ja weitergehen, auch die Tarifarbeit und gerade in den neuen Bundesländern.

    Remme: Die IG Metall steht vor einem Trümmerhaufen. Inwiefern beschädigt denn dieser Machtkampf die Arbeit der deutschen Gewerkschaften insgesamt?

    Engelen-Kefer: Natürlich hat das Auswirkungen. Das wäre völlig verfehlt, daran vorbeizusehen, aber ich sage ja: wir müssen jetzt gerade alle Kräfte zusammennehmen, im Deutschen Gewerkschaftsbund mit der IG Metall, und nach vorne blicken. Wir haben sehr, sehr große Aufgaben vor uns liegen. Wir haben uns entschieden, als Gewerkschaften gerade in der Frage der Umorganisation der sozialen Sicherungssysteme, aber auch der Konjunkturpolitik, der Verbesserung des Wirtschaftswachstums, der Steuerpolitik, hier alles zu tun, um die Gestaltungsoptionen stärker zum Tragen zu bringen. Wir sind dabei, hier unsere Konzepte besser abzustimmen, als das in der Vergangenheit der Fall war, und ich glaube dieser Wille ist sehr deutlich und den müssen wir auch in der Öffentlichkeit entsprechend einbringen.

    Remme: Die Kritik konzentriert sich jetzt seit einigen Tagen auf die Person Jürgen Peters. Viele sagen, es geht doch schon lange nicht mehr um diese Personalie, es steht viel mehr auf dem Spiel. Können Sie ihn verstehen, wenn er sich einer schnellen Lösung verweigert und auf einer Kandidatur im September beharrt?

    Engelen-Kefer: Ich glaube - und das möchte ich einmal etwas grundsätzlicher betrachten - es ist nicht richtig, wenn alles immer nur nach rechts und links eingeteilt wird. Jeder der in der Führungsetage versucht mitzugestalten, ist irgendwann mal in der Gefahr, in eine der Schubladen rechts und links eingetütet oder eingeordnet zu werden, und ich denke wir alle, und zwar alle gesellschaftlichen Gruppen und alle Parteien, wären gut beraten, diese Selektion in rechts und links zu überdenken und aufzugeben. Sie bringt uns nicht weiter. Es gibt unterschiedliche Bedingungen, ob Gewerkschaftsarbeit gemacht wird in Automobilfirmen, die eine gute Ertragslage haben trotz konjunktureller Flaute, oder ob Gewerkschaftsarbeit gemacht wird für kleinere Handwerksbetriebe, die am Abgrund stehen, die von der Konjunkturflaute voll erfasst werden, oder die neuen Bundesländer, wo es kaum eine wirtschaftliche Perspektive gibt.

    Remme: Aber Frau Engelen-Kefer, ich hatte gar nicht auf eine Einteilung nach rechts und links gedrängt. Hier steht eine Person im Mittelpunkt, und der Vorsitzende Klaus Zwickel hat bei der Vorstandssitzung am Dienstag mehrere Vorschläge gemacht, die alle durch Peters vereitelt wurden. Es hätte ja mehrere Varianten gegeben. Deswegen meine Frage: können Sie sein Verhalten verstehen?

    Engelen-Kefer: Noch einmal: es ist beim DGB ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir uns nicht in die personellen Auseinandersetzungen von Gewerkschaften einmischen, und dieses Gesetz werde ich auch nicht durchbrechen. Deshalb kann ich noch einmal sagen, weil Sie ja auch nach dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung gefragt haben, dahinter steht natürlich diese Frage wer ist rechts, wer ist links, wer ist modern, wer ist Traditionalist, wer ist Blockierer. Ich glaube, dass wir gut beraten wären, diese Hochstilisierung etwas herunterzufahren. Dann würden wir alle weiterkommen.

    Remme: Aber Sie haben doch als DGB eine Gesamtverantwortung. Sie haben eben gesagt, dieser Konflikt strahlt aus auf die Arbeit der anderen Gewerkschaften. Wie soll es denn Ihrer Meinung nach jetzt weitergehen?

    Engelen-Kefer: Wir erwarten, dass natürlich die personellen Probleme in der IG Metall gelöst werden. Wie sie das tut ist ihre Sache. Da haben wir uns nicht einzumischen. Wir haben dafür zu sorgen, dass unsere Arbeit als Gewerkschaften weitergehen kann, dass hier keine Lähmung eintritt, dass wir mitwirken können in der Politik, da wo wir gefordert sind. Wir als DGB sind vor allem gefordert in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Tarifpolitik ist die Sache der Gewerkschaften. Sie wird von uns unterstützt; das ist selbstverständlich. Wir werden uns auch damit zu beschäftigen haben, wie die Zukunft der Flächentarifverträge aussieht, gerade jetzt nach dem gescheiterten Streik in den neuen Bundesländern um die Arbeitszeitverkürzung. Das ist selbstverständlich. Wir müssen hier aber die Arbeitsteilung einhalten und wir dürfen unsere Rolle hier nicht überstrapazieren. Deshalb denke ich ist es unsere Aufgabe, nach vorne zu blicken, da wo wir auch unsere Kompetenz haben, und dafür zu sorgen, dass alle Gewerkschaften hier so weit wie möglich gemeinsam gehen.

    Remme: Alleine im IG Metall-Bezirk Bayern, Frau Engelen-Kefer, sind in den vergangenen Tagen 500 Mitglieder ausgetreten und in Baden-Württemberg sieht es nicht viel anders aus. 50.000 haben die IG Metall im ersten Halbjahr verlassen. Kann diese Krise durch den gesamten Sommer bis zum September ohne Lösung bleiben?

    Engelen-Kefer: Wir hoffen, dass eine Lösung so schnell wie möglich gefunden wird. Wir wissen um die Auswirkungen. Wir wissen auch aus Umfragen, die wir ja selber jetzt veranlasst haben, was Mitglieder wollen. Sie wollen, dass wir ihre Interessen vertreten, dass wir dies so weit wie möglich gemeinsam tun, dass wir Konflikte so weit wie möglich vermeiden. Das wissen wir auch aus der Politik insgesamt. Keiner Partei, keiner Gruppierung tut es gut, wenn an der Spitze in der Öffentlichkeit lange Streitereien stattfinden. Das wissen wir alles, aber wie gesagt: die Lösung kann nur von der IG Metall selber kommen. Da hat der DGB keine große Hilfestellung anzubieten, kann er auch gar nicht. Wir müssen aber sehen, dass wir eben nicht eine Lähmung in den Gewerkschaften insgesamt haben. Das ist unsere Aufgabe und der wollen wir uns auch stellen.

    Remme: Das heißt der DGB steht jetzt acht Wochen am Spielrand und schaut zu?

    Engelen-Kefer: Das heißt nicht, dass wir zuschauen. Ich sage ja, wir haben wichtige Aufgaben in der Gestaltung. Wir sind dabei, wesentliche Gesetzentwürfe hier zu diskutieren in der Bundesrepublik: die Gesundheitsstrukturreform, das Vorziehen der Steuerreform. Das sind alles Dinge, die unsere Mitglieder, die Arbeitnehmer unmittelbar betreffen, in ihren materiellen Interessen, in ihren Lebenslagen, in ihren Zukunftsperspektiven. Da haben wir uns einzumischen. Oder eben bei der Frage der Ausbildung, also der Zukunft junger Menschen. Da haben wir uns einzumischen und das haben wir zu tun. Diese Aufgabe werden wir auch mit neuer und noch vermehrter Kraft vornehmen.

    Remme: Auch wenn es dort Grenzen gibt, die Sie deutlich aufgezeigt haben. Klaus Zwickel und Jürgen Peters, das sind Leute, mit denen Sie seit langem zusammenarbeiten. Haben Sie in der Vergangenheit, in den vergangenen Tagen versucht, auf diese Personen einzuwirken?

    Engelen-Kefer: Wir haben mit diesen Personen Gespräche geführt. Das ist selbstverständlich. Wir haben auch nicht nur mit diesen Kollegen Gespräche geführt, sondern auch mit vielen anderen. Das werden wir auch weiterhin tun. Wir haben aber dabei zu bleiben, was unsere Aufgabe als DGB ist, und auch da sind Versäumnisse und sicherlich Defizite, die wir jetzt aufholen müssen, und zwar mit vermehrter Kraft.

    Remme: Da gibt es also den DGB. Das ist ein Dachverband. Können Sie denn nachvollziehen, wenn viele, die vielleicht diese formalen Grenzen nicht so genau kennen, den Kopf schütteln, wenn da die IG Metall in eine fundamentale, bisher nicht da gewesene Krise gerät und der DGB-Chef, der möglicherweise doch eine aktivere Rolle spielen könnte, in Urlaub geht?

    Engelen-Kefer: Na ja, ich denke das sollte man hier nicht überbewerten. Keine Person ist unersetzlich. Das gilt für jeden. Deshalb hat auch jeder das Recht, einmal ein paar Tage eine Auszeit zu nehmen. Außerdem ist er nicht aus der Welt, kann jederzeit erreicht werden, wenn es denn nötig ist.

    Remme: Abschließend noch einmal, Frau Engelen-Kefer: Was kann der DGB tun, um diese Krise zu mildern, zu lösen?

    Engelen-Kefer: Der DGB kann jetzt mit verstärkter Kraft und großer Einigkeit in den Gewerkschaften vorangehen, deutlich zu machen wo wir helfen, die wesentlichen Reformen mitzugestalten. Das müssen wir deutlicher machen als in der Vergangenheit, in der Verbesserung der konjunkturellen Situation des Wirtschaftswachstums, aber auch bei den nötigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme. Wir haben uns dem zu stellen. Dies wird nicht ohne Probleme auch für unsere eigenen Mitglieder abgehen. Das haben wir deutlich zu machen, und zwar gemeinsam, um zu verhindern, dass die Gewerkschaften sich auseinanderdividieren.

    Remme: Ursula Engelen-Kefer, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. - Vielen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio