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Ockenfels: Wir brauchen "eine Kultur moralischer Verantwortung"

Der Dominikaner Wolfgang Ockenfels von der Universität Trier ruft anlässlich der heutigen Berliner Rede Horst Köhlers zu mehr Moral in unserer Gesellschaft auf. Die Öffentlichkeit und die Medien sollten wieder für einen wacheren Sinn für moralische Verantwortung sorgen, schlägt Ockenfels vor. Vom Bundespräsidenten wird heute ein ähnlicher Appell an die Finanzwelt erwartet.

Wolfgang Ockenfels im Gespräch mit Jürgen Liminski | 24.03.2009
    Jürgen Liminski: Heute hält Bundespräsident Horst Köhler die letzte "Berliner Rede" seiner ersten Amtszeit. Thema ist die Finanzkrise. Dieses wohl drängendste Thema dieser Tage und Monate hatte er schon in anderen Reden behandelt. Auch über die Banker und Manager hat Horst Köhler schon einiges gesagt. Es klingen die eindringlichen Worte nach, die er zum Beispiel im vergangenen Jahr in einer Rede zur Finanzkrise auf dem Europäischen Bankenkongress gehalten hat. Da sagte er:

    O-Ton Horst Köhler (2008): Wir brauchen bei aller Schärfe des Wettbewerbs eine Kultur der Gemeinsamkeit, der alle angehören, und wir brauchen schlicht Anstand. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, besinnen Sie sich wieder auf die Tugenden des soliden Bankiers, und ich sage bewusst Bankiers und nicht Banker.

    Liminski: Anstand und Kultur der Gemeinsamkeit. Auch in der Rede heute wird der Bundespräsident vermutlich wieder zur Besinnung auf Tugenden aufrufen und vielleicht sogar deutlicher noch das Thema Managergehälter und Boni behandeln. Schließlich handeln nicht alle Bankiers so nobel oder zumindest vorsichtig wie die Chefs der Banque Societe General, die gestern auf ihre Bonuszahlung verzichteten. Und die Banker können sich sogar auf das Gesetz berufen, ihre Boni sind legal, wenn auch skandalös. Gibt es den gerechten Lohn überhaupt? Kann man ihn berechnen, oder bestimmt die Empörung im Volk die Obergrenze der Boni? – Zu diesen Fragen begrüße ich den an der Universität Trier, den Dominikaner Wolfgang Ockenfels. Er ist Berater des Bundes Katholischer Unternehmer und Buchautor. Das letzte Buch hieß bezeichnenderweise "Zehn Gebote für die Wirtschaft". Guten Morgen, Herr Ockenfels.

    Wolfgang Ockenfels: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Ockenfels, heute spricht der Bundespräsident wieder über die Finanzkrise. Vermutlich wird da die eine oder andere Bemerkung über die Gier der Manager fallen – als Ursache der Krise. Das hat er ja schon einmal getan. Teilen Sie die Meinung des Präsidenten, dass die Banker und Manager die Hauptschuld tragen?

    Ockenfels: Er wird gewiss nicht gemeint haben, dass es "die Manager" oder Banker schlechthin sind, so wie in einem Kollektiv. Dieser Kollektivschuldverdacht, den sollte man gar nicht erst aufkommen lassen und das war gewiss nicht die Absicht des Bundespräsidenten. Man muss hier genau unterscheiden zwischen Einzelnen, die sich hier falsch oder auch unmoralisch verhalten haben, und da sind meistens eben die Angehörigen der großen Formationen, aber eben nicht Mittelständler und auch keine Handwerker damit gemeint.

    Liminski: Der Präsident kann viel reden. Wie ist es denn um die Durchschlagskraft seiner Autorität auf das Verhalten der Manager bestellt?

    Ockenfels: Nun, die Autorität der Politiker hat ja auch inzwischen erhebliche Einbußen erlitten, aber der Bundespräsident ist eben kein normaler Politiker im Kampf der Parteien, sondern er steht ja über den Parteien und hat von dorther auch einen größeren Vertrauenszuschuss verdient, zumal er ganz kompetent redet und nicht bloß moralisiert. Er hat durchaus Ahnung von den ökonomischen Zusammenhängen und gerade wegen seiner ökonomischen Kompetenz, die sich hier glücklicherweise verbindet mit einer ethischen Durchdringung der Problematik, deswegen scheint er mir in besonderer Weise glaubwürdig zu sein.

    Liminski: Es heißt, dass er als Präsident des Sparkassenverbandes sich das höchste Gehalt herausgehandelt hätte – jedenfalls ist das in einem Buch von Langguth zu lesen -, das jemals ein Präsident dieses Verbandes gehabt hat. Ist das nicht ein bisschen anrüchig?

    Ockenfels: Aus heutiger Sicht bestimmt, aber ich nehme an, dass er es damals – das ist ja schon lange her – durchaus verdient hat. Wenn dementsprechend auch seine Leistung gewesen ist und er das vertraglich durchgesetzt hat, das ist schon gerechtfertigt. Nur was wir inzwischen erleben, ist ja eine Explosion der Boni, der Zugaben, der Einkünfte von Managern, wo man sich wirklich auch die Gerechtigkeitsfrage mal stellen muss.

    Liminski: In der Tat: Es gibt Boni, das nicht zu knapp – nicht nur in Deutschland, auch in Amerika –, und die sind in der Tat völlig legal. Dennoch sträubt sich der Gerechtigkeitssinn des einfachen Bürgers, wenn er das hört, liest, sieht. Was ist denn nun wirklich gerecht?

    Ockenfels: Ja, wenn ich das wüsste. So leicht ist diese Frage nicht zu beantworten. Mir scheint aber, wir haben einige Unsitten aus Amerika allzu schnell ungeprüft übernommen, und dazu gehört eben diese geradezu exorbitante Anreicherung von Gehaltsvorstellungen, die ja um das manchmal Mehrhundertfache über den Beträgen steht, die also normale Arbeitnehmer etwa haben. Und da taucht hier aus einem Gefühl der Gerechtigkeit heraus schon die Frage auf, wie kann man das rechtfertigen. Nun, das ist vor allem die Leistungsgerechtigkeit, die hier zu überlegen wäre, und das kann der Staat nun eben nicht von oben diktieren. Das ist Aufgabe der Vertragspartner und das muss frei ausgehandelt werden. Dafür haben wir ja eine Tarifautonomie, dafür haben wir Vertragsfreiheit. Nur muss man schon mal manchmal fragen, für das, was sich manche Manager geleistet haben, muss man nicht unbedingt das auch noch prämieren. Und außerdem sind hier vor allem die Eigentümer der Aktiengesellschaften, also die Aktionäre gefragt, ob sie das zulassen, dass Leute, die manchmal solche windigen Geschäfte gemacht haben, mit Derivaten und Zertifikaten, und die unsere Wirtschaft weltweit so in den Abgrund gerissen haben, ob die Leute wirklich noch das verdienen, was sie verdienen.

    Liminski: Wären Sie denn für eine persönliche Haftung für Fehlleistungen von Managern und Bankern?

    Ockenfels: Das Haftungsproblem taucht vor allem bei den anonymen Gesellschaften, also bei den Aktiengesellschaften auf. Die einzelnen Aktionäre können ja gar nicht so sehr und schnell zur Verantwortung gezogen werden. Anders ist es bei den Eigentumsunternehmern, die ja auch mit ihrem Vermögen teilweise haften müssen, und das wirkt sich auch im Sinne einer guten Disziplin auf die Moral aus. Das heißt, das Fehlverhalten von Eigentumsunternehmern wird sich sofort negativ auf den Gewinn auswirken, so dass die Unternehmerpersönlichkeiten eigentlich ein eigenes Interesse daran haben müssen, verantwortlich, ja auch im Sinne der Moral zu handeln.

    Liminski: Im Grunde läuft Ihre Argumentation auf die Alternative hinaus, Moral oder Recht. Was ist denn nun zu regeln? Können wir uns auf das moralische Verhalten von Managern verlassen, oder sind wir dabei verlassen? Muss das Strafrecht greifen?

    Ockenfels: Das ist der erste Gedanke eines Politikers in Deutschland. Vor allem populistisch Ausgerichtete fordern jetzt die Ausdehnung und die Verschärfung des Strafrechtes, ohne jetzt mal zu bedenken, was das für Konsequenzen hat. Die Moral ist im Unterschied zum Recht eine Sache der Freiheit. Wenn natürlich diese Freiheitsspielräume immer weiter eingeengt werden, gibt es ja auch keine Bewährungsfelder für eine freiheitlich zu übende Moral. Da wird alles nur noch vom Staat vorgeschrieben, und zwar unter dem Druck eines Strafrechtes, das dann auch sanktionierbar sein muss. Das heißt, wir müssen immer mehr Kontrolleure haben, die diese Einhaltung des Rechts kontrollieren. Außerdem werden die Transaktionskosten, die in der Wirtschaft anfallen, immer weiter in die Höhe getrieben. Wenn hinter jedem Vertrag mehrere Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Richter, vielleicht auch noch nachher der Strafvollzug lauert, können wir von freiheitlicher Wirtschaft gar nicht mehr reden. Nur, die Freiheit darf nicht missbraucht werden, und dafür brauchen wir einen Ordnungsrahmen, und darunter zählt dann eben auch das Strafrecht, das in gravierenden Fällen natürlich greifen muss, aber genau das hat man offensichtlich international versäumt, vor allem in Amerika, wo wir dann auch gewisse Deregulierungen übernommen haben, viel zu schnell und ohne die Folgen zu beachten.

    Liminski: Ist denn Kontrolle dann nicht doch manchmal besser, vielleicht sogar notwendig?

    Ockenfels: Da spielen Sie auf den alten Klassiker von Lenin an, "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Aber ich meine, unter freiheitsbezogenen Personen, die Subjekte der Wirtschaft sind und sein wollen, brauchen wir ein großes Maß persönlicher Verantwortung, und die setzt eben doch auch Freiheit voraus. Nur eine Freiheit, die gebunden ist an bestimmte moralische Orientierungen, und ich glaube, daran hapert es, dass wir diese Freiheit als bloße Willkür und Beliebigkeit interpretiert haben, und dann fragt man sich zurecht, wo bleibt hier die Moral. Und wenn keine Moral mehr sichtbar wird, greift man schließlich zum Recht, zum Strafrecht, und das ist, finde ich, ein Fehlschluss. Man sollte sich wieder um eine Kultur moralischer Verantwortung bemühen, und dass in allen Unternehmungen dafür wieder ein wacher Sinn entsteht, dafür müssen dann auch Sozialkontrolleure, also auch die Öffentlichkeit, die Medien, sorgen und nicht unbedingt Staatsanwälte. Aber vor allem scheint mir, dass hier die Religionen gefordert sind, wieder stärker für eine religiöse Bindung der Moral zu sorgen, denn schließlich ist es das Wirksamste, nicht nur seinen Mitmenschen gegenüber verantwortlich zu sein, das heißt ihnen Antwort zu geben auf das, was man gerade getan, verbrochen oder unterlassen hat, sondern dass man auch Gott gegenüber schließlich eine Antwort schuldig bleibt.

    Liminski: Sind da die Hirten in Deutschland zu zahm?

    Ockenfels: Ja Gott, früher hat man sich hier mehr erlaubt. Vor allem auch Bischöfe haben schon mal Leuten ins Gewissen geredet, Politikern oder sonstigen Machthabern, und Unternehmern, nach dem prophetischen Motto "Bursche, es ist Dir nicht erlaubt". Aber ich glaube, wenn heute ein Bischof sich so in die Position werfen würde, würde er sich eher lächerlich machen. Die Kirche hat vielleicht selber auch mal mit ihrem eigenen Moralbewusstsein, mit ihrer eigenen Moralvermittlung aufzuräumen und mal zu prüfen, ob sie denn noch ihrem eigenen christlichen Anspruch genügt.

    Liminski: Gier, Moral, Kontrolle in der Krise; das war Professor Wolfgang Ockenfels. Er lehrt christliche Gesellschaftslehre in Trier. Besten Dank für das Gespräch, Herr Professor.

    Ockenfels: Gerne!