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Odd Arne Westad
"Der Kalte Krieg - Eine Weltgeschichte"

Mehr als 40 Jahre tobte der Kalte Krieg zwischen den Supermächten USA und der Sowjetunion. Der norwegische Historiker Odd Arne Westad widmet ihm nun eine Weltgeschichte und zeigt, wie damalige Krisenherde und Konflikte, aber auch Stereotypen aller Art sich bis in die Gegenwart ziehen.

Von Robert Baag | 16.12.2019
Cover-Collage: Buchcover Odd Arne Westad "Der Kalte Krieg", Klett-Cotta Verlag. Links im Bild eine Pershing-Rakete.
Odd Arne Westad beschreibt wie Krisenherde und Konlikte entstehen - historisch wie gegenwärtig (Buchcover: Klett-Cotta Verlag / Hintergrundbild: DPA/Egon Steiner)
Vor genau 25 Jahren, im Dezember 1994, trat der START-1-Vertrag in Kraft - ein Ergebnis der Entspannungspolitik am Ende des Kalten Kriegs zwischen Ost und West. Die Sowjetunion beziehungsweise Russland sowie die USA hatten sich damit verpflichtet, ihre Atomwaffen-Arsenale zu verringern. Die Gefahr eines mit Kernwaffen geführten Krieges schien damit geringer geworden zu sein - ein Bedrohungsszenario, das sich schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herausgebildet hatte. Aus den einstigen Verbündeten USA und Sowjetunion waren damals Gegner geworden. Der kapitalistische Westen fiel zurück in die Konfrontation mit der kommunistischen UdSSR - wie schon in den 20er und 30er Jahren. Deren Schreckensherrschaft im eigenen Land war auch nach Kriegsende immer noch gegenwärtig. Für den norwegischen Historiker Odd Arne Westad, der als Professor für internationale Beziehungen und Globalgeschichte an der "Kennedy School of Government" im amerikanischen Harvard lehrt, ist es deshalb:
"Kein Wunder, dass viele Menschen, insbesondere in Europa, trotz der absoluten Überlegenheit der USA, die Macht der Sowjetunion fürchteten. Die Rote Armee hatte 1945 eine riesige Streitmacht auf dem Kontinent. Zahlenmäßig und in Bezug auf ihre erwiesenen Fähigkeiten war sie allen anderen Streitkräften überlegen. Das sowjetische Verhalten in Osteuropa weckte böse Befürchtungen, [...]1945 hatte (der sowjetische Diktator Stalin) auch in China und im Iran nach dem osteuropäischen Modell (der Sowjetisierung) zu handeln begonnen. Das sowjetische Verhalten in diesen Regionen bewirkte Veränderungen in der amerikanischen Politik, und es machte anderen Angst, die es aus der Ferne beobachteten."
Unterschiedlichste Erscheinungsformen und Auswirkungen
Die Vereinigten Staaten reagierten mit der sogenannten "Containment"-Politik; sie wollten Stalins ideologische und territoriale Expansionsbestrebungen eindämmen und aufhalten - und markierten so den Beginn des Kalten Kriegs.
Diese gut vier Jahrzehnte währende Epoche als prägendes Merkmal der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in Westads "Weltgeschichte" in all ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und Auswirkungen zu besichtigen.
Dazu zählt etwa der Aufstieg Chinas im Spannungsdreieck zwischen der Sowjetunion und den USA: Im Korea-Krieg zu Beginn der 50er Jahre steht China noch an der Seite Moskaus. Nach der Charme-Offensive von US-Präsident Nixon in den 70er Jahren und zunehmenden ideologischen Differenzen mit der UdSSR sieht Peking im Kreml bald einen größeren Gegner als das Weiße Haus in Washington, bis China sich in den 80er Jahren schließlich von beiden emanzipiert und selbst zur aufsteigenden Großmacht wird.
Oder: Lateinamerika, das zu Hochzeiten des Kalten Kriegs unter diversen rechtslastigen US-gestützten Diktaturen zu leiden hatte. Westad schildert nachvollziehbar, wie sich auch dort der amerikanisch-sowjetische Gegensatz negativ auswirkte.
Die Rolle und die Motive der USA vor, während und nach dem Kalten Krieg beurteilt Westad manchmal zwar kritischer als umgekehrt jene der Sowjetunion. Insgesamt aber präsentiert er seinen reichen Recherche-Fundus weitgehend frei von subjektiven Zuordnungen.
Odd Arne Westad "Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte", Klett-Cotta Verlag
Einen neuen Kalten Krieg hält der Autor für sehr unwahrscheinlich. Odd Arne Westad "Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte", Klett-Cotta Verlag (Klett-Cotta / privat)
Transnational verlaufende Prozesse
Er geht chronologisch vor, entdeckt Konfliktursachen schon in den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg. Entlang einer Zeitschiene bis in die Gegenwart konzentriert er sich auf einzelne Erdteile und Länder. Dabei entwirrt er manches Knäuel unterschiedlicher Handlungsstränge innerhalb zeitversetzter, transnational verlaufender Prozesse. Innere Zusammenhänge werden deutlich bei seinen Kapiteln über den Ost-West-Gegensatz in den Ländern Afrikas, Lateinamerikas oder etwa beim Nahostkonflikt:
"Beide Supermächte unterstützten Regime, die nicht viel für ihre Völker taten. Keine der beiden Mächte hatte ein echtes Interesse an einer Lösung des arabisch-israelischen Konflikts, allenfalls insoweit, als Verhandlungen ihre eigene Position gegenüber der anderen Supermacht verbesserten.[...] Es war eine explosive Mischung, die dafür sorgte, dass diese Region bis zum Ende des Kalten Kriegs und auch noch darüber hinaus in hohem Maße instabil blieb."
Begonnen hatte der Kalte Krieg im Nachkriegs-Europa, Ende der vierziger Jahre. Die Jahre 1989/90 dagegen kennzeichnen sinnbildlich mit dem Fall der Berliner Mauer sowie dem ökonomisch begründeten Zusammenbruch der reformunfähigen Sowjetunion dessen Ende. Gewinner gab es für Westad auf jeder Seite:
"Europa und Japan hatten stark vom Kalten Krieg profitiert, und dasselbe galt auch für China in einer späteren Phase des Krieges. Die Teilung Europas und Deutschlands war eine Tragödie und dasselbe traf auch für die Errichtung diktatorischer Regime im Osten zu. Doch das internationale System hatte Europa fast 50 Jahre Frieden geschenkt, einen Zustand, den es in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht gekannt hatte. Und unter dem Schutz dieses Friedens waren widerstandsfähige Gesellschaften entstanden. Sie konnten die Transformationen nach dem Kalten Krieg bemerkenswert gut bewältigen, darunter den schonungslosen Übergang zum Kapitalismus im Osten und die Vereinigung Deutschlands, das größte Einzelprojekt der Zeit nach dem Kalten Krieg."
Krisenherde und Muster wirken weiter
Einen neuen Kalten Krieg hält Westad für sehr unwahrscheinlich. Denn China und auch Russland seien bereits gut in das heutige kapitalistische Weltsystem integriert. Eine Isolation ihrer Länder bei gleichzeitiger globaler Konfrontationshaltung, wie dies im alten Ost-West-Gegensatz der Fall war, werde es daher nicht mehr geben, spekuliert er am Ende zuversichtlich. Nicht wenige Leser wird er mit dieser Prognose allerdings eher skeptisch zurücklassen. Der Hinweis auf den aggressiven Charakter der gegenwärtigen russischen Außenpolitik, unterfüttert von einer repressiv-autoritären Innenpolitik, mag hier genügen. Und dies gilt auch für China.
Dennoch: Zu Westads Arbeit greifen sollte, wer eingehender wissen möchte, wie Krisenherde und Konflikte entstehen und sich entwickeln, wie überwunden geglaubte Stereotypen, antagonistische Muster aufleben und weiterwirken können - seien sie nun historisch, ethnisch, ideologisch oder religiös begründet. Ein gründlich ausgearbeitetes, manchmal auch zu produktivem Widerspruch einladendes und nicht zuletzt gut lesbares Buch ist der Lohn.
Odd Arne Westad: "Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte",
Klett-Cotta Verlag, 763 Seiten, 34 Euro