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Odinga gegen Neuwahlen

Der kenianische Oppositionsführer Raila Odinga hat die internationale Gemeinschaft aufgefordert, Präsident Mwai Kibaki zu isolieren. Es müssten klare Signale an Kibaki gesendet werden, dass Wahlbetrug nicht hingenommen werde, sagte Odinga. Zugleich allerdings gab er sich aufgeschlossen gegenüber internationalen Vermittlungsversuchen.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Nachdem internationale Vermittlungsversuche in Kenia bisher gescheitert sind, soll es in dieser Woche einen weiteren geben unter Führung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Unterdessen hat die Opposition weitere Massenproteste gegen die, so sagt sie, gefälschten Präsidentschaftswahlen für diesen Mittwoch angekündigt. In dem ehemaligen Urlaubsparadies starben bisher etwa 600 Menschen bei Unruhen. Mehr als 250.000 sollen auf der Flucht sein.

    Vor der Sendung haben wir den kenianischen Oppositionsführer Raila Odinga erreicht. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob er mit neuen Protesten nicht den Frieden im Land gefährde.

    Raila Odinga: Überhaupt nicht. Wir erwarten, dass diese Demonstrationen friedlich ablaufen. Wir haben zu friedlichen Protesten aufgerufen, um klar zu machen, dass die Regierung nicht auf Beschwerden über die Wahlen eingeht, die unregelmäßig waren, wie Sie wissen. Und wir haben die Regierung aufgefordert, keine Gewalt gegen Unschuldige anzuwenden, die letztendlich nur ihr demokratisches Recht ausüben.

    Kaess: Das heißt, Sie werden sich auch nicht dem Verbot der Proteste beugen?

    Odinga: Das Gesetz verlangt, dass, bevor sie eine Versammlung abhalten, die Polizei benachrichtigt wird. Das haben wir landesweit gemacht. Wir verlangen von der Polizei, dass sie uns Schutz und Sicherheit garantiert. Wenn die Sicherheitslage ein Argument gegen die Demonstrationen ist, dann ist es die Aufgabe der Polizei, diese Sicherheit für die Bürger zu garantieren.

    Kaess: Die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai sagt, die Unruhen müssen vor allem dadurch gestoppt werden, dass die Opposition, also Sie, ihre Anhänger, zur Besonnenheit aufruft.

    Odinga: Wir haben unsere Leute dazu aufgerufen, ruhig zu bleiben, trotz der Provokationen der Obrigkeit. Die Regierung schiebt jetzt die Gewalt vor, aber sie kümmert sich nicht um die Ursachen für die Gewalt im Land. Die Ursache sind die gefälschten Wahlen. Die Regierung beschäftigt sich mit den Symptomen, aber nicht mit den Ursachen des Problems.

    Kaess: Die Regierung sagt dagegen, Dialog bedeute, dass Streitigkeiten friedlich beigelegt werden und nicht dadurch, Eigentum kaputt zu machen und unschuldige Kenianer umzubringen.

    Odinga: Es ist die Regierung, die davon Abstand nehmen sollte, unschuldige Leute zu erschießen. Die Regierung reagierte mit einem Befehl an die Polizei, der hieß, "schießt, um zu töten". Einige Leute, die gestorben sind, wurden durch Schusswunden getötet. Ja, es gab auch ethnische Zusammenstöße unter den Menschen, aber das war vergleichsweise minimal. Wir wollen den Frieden, aber der muss durch Gerechtigkeit kommen.

    Kaess: Sie sprechen von ethnischen Zusammenstößen. Gemordet wurde auch von Anhängern Ihrer Partei. Haben Sie Einfluss auf Ihre Anhänger, diese davon abzuhalten?

    Odinga: Es waren nicht unsere Anhänger, die gemordet haben. Es sind unsere Anhänger, die ermordet wurden. Unsere Anhänger sind nicht bewaffnet. Es gibt hier eine sozusagen legale Terror-Gang: die Mungiki. Die wurde von der Polizei bewaffnet und unterstützt. Sie sind es, die Menschen in den Slums töten und in den ländlichen Gebieten. Es sind nicht unsere Anhänger. Aber es gibt seit 1991/92 ethnische Zusammenstöße. Dieses Problem konnte die jetzige Regierung nicht lösen. Das hängt mit der Landfrage zusammen. Wir brauchen eine friedliche Landreform. Das hat nichts mit den Protesten der Leute zu tun - zur letzten Wahl.

    Kaess: Ihre Partei stellt die Mehrheit im Parlament. Können Sie darüber entscheidenden politischen Einfluss nehmen?

    Odinga: Ja, und wir werden dort wie gewohnt an unseren Interessen weiter arbeiten. Wir haben einen vielseitigen Ansatz. Wir werden die Leute auf der Straße nutzen und das Parlament als eine Plattform, um unsere Rechte durchzusetzen, so dass die Regierung dem Willen der Menschen folgen muss, die Führung in diesem Land auszutauschen.

    Kaess: Warum haben Sie es abgelehnt, mit Präsident Kibaki eine Einheitsregierung zu bilden, so wie dieser es angeboten hatte?

    Odinga: Warum sollte Kibaki eine Regierung der nationalen Einheit bilden, wenn er die Wahlen doch verloren hat? Kibaki hat die Wahlen verloren. Ich habe sie gewonnen. Warum sollte Kibaki mir sagen, ich solle in eine Regierung der nationalen Einheit mit ihm gehen, die illegal ist? Die Mehrheit will, dass ich mich jetzt um die Frage kümmere, ist es gerecht, dass die Menschen zu den Wahlen gehen, ihre Regierung wählen, und anschließend wird dieses Ergebnis einfach verfälscht? Wollen Sie, dass ich dieses Ergebnis legitimiere, indem ich in eine Regierung der nationalen Einheit eintrete? Nein. Wir werden uns dagegen wehren, uns auf niedrigere Standards einzulassen als der Rest der Welt. Sie wissen ganz genau, dass in Deutschland niemand mit illegalen Wahlen durchkäme. Warum sollten wir Kibaki erlauben, dass er den Wahlsieg stiehlt und damit auch noch durchkommt?

    Kaess: Herr Odinga, die internationalen Vermittlungsversuche sind gescheitert. Warum?

    Odinga: Weil es mit einem Dieb nichts zu verhandeln gibt. Niemand stiehlt etwas, und dann wollen sie, dass wir mit diesem Dieb verhandeln, anstatt von ihm zu verlangen, dass er zurückgibt, was er gestohlen hat. Ich glaube nicht, dass das richtig ist. Man kann nicht zwischen richtig und falsch verhandeln. Wir sollten mit dieser Heuchelei aufhören und Herrn Kibaki einfach sagen, er soll sich davonscheren.

    Kaess: Diese Woche soll es neue Vermittlungen unter dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan geben. Werden Sie kooperieren?

    Odinga: Wir sind wirklich bereit, miteinander zu sprechen, aber unsere Position ist, dass es Gerechtigkeit geben muss und Fairness. Sonst wird es sehr schwierig für die Kenianer, an die Mehrparteiendemokratie zu glauben.

    Kaess: Und mit Gerechtigkeit und Fairness meinen Sie neue Wahlen?

    Odinga: Jeder Kenianer weiß, dass ich die Wahlen gewonnen habe. Die richtige Lösung wäre also, wenn Kibaki abtreten würde und mich fortfahren lässt und eine Regierung bilden lässt. Warum sollten wir neue Wahlen haben, wenn die Ergebnisse nicht anerkannt werden?

    Kaess: Was erwarten Sie von den neuen Vermittlungen unter Kofi Annan?

    Odinga: Ich will den Verhandlungen nichts vorwegnehmen. Ich will, dass wir das Ende offen lassen. Wir sind bereit für ein Geben und Nehmen, so dass eine nachhaltige Lösung gefunden werden kann.

    Kaess: Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?

    Odinga: Wir erwarten von der internationalen Gemeinschaft, dass sie zu unserem Recht steht, dass sie Herrn Kibaki klarmacht, dass Wahlen nicht gefälscht werden dürfen und dass sie das in Zukunft nicht toleriert und dass Herr Kibaki, wenn er nicht mitarbeitet an einer nachhaltigen Lösung, das Risiko eingeht, von der internationalen Gemeinschaft isoliert zu werden.

    Kaess: Im Westen werden afrikanische Konflikte schnell zu ethnischen Konflikten erklärt. Sprechen wir hier von einem Konflikt zwischen den Ethnien?

    Odinga: Überhaupt nicht. Schauen Sie, Kenia hat vor allem drei ethnische Gemeinschaften, die sich auf die acht Landesteile aufteilen. Ich habe bei den Wahlen eine breite Unterstützung erfahren. In sechs der acht Provinzen habe ich die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen, nicht entlang der ethnischen Gruppierungen. Es geht den Menschen im Land nicht um Ethnizität, sondern um eine Veränderung des Status Quo. Meine Bewegung repräsentiert den Wandel. Kibaki steht für die Fortführung der bisherigen Verhältnisse. Deshalb haben die Menschen mich gewählt. Das ist ein sehr starkes Statement gegen Herrn Kibaki. Wir wollen nicht, dass das zu einem ethnischen Konflikt simplifiziert wird. Es ist eine nationale Frage.

    Kaess: Wie wird es weitergehen in den kommenden Wochen? Befürchten Sie, dass Kenia weiter zerrissen wird?

    Odinga: Das kommt darauf an, welche Position die internationale Gemeinschaft einnimmt. Sie haben Robert Mugabe in Zimbabwe, den man zu lange toleriert hat, bis er ein Monster geworden ist. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, einen anderen Mugabe zu erschaffen hier in Kenia, der Mwai Kibaki heißt. Ich glaube, die internationale Gemeinschaft hat eine Verpflichtung, klare Signale an Kibaki zu senden, dass sie das, was er tut, nicht tolerieren wird.

    Kaess: Im Deutschlandfunk war das Raila Odinga, der Oppositionsführer in Kenia.


    Das auf Englisch geführte Interview wurde übersetzt.
    Demonstranten in einem Slum von Nairobi rennen weg, während die Sicherheitskräfte Tränengas versprühen.
    Nach der Wahl kam es zu schweren Unruhen. (AP)