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OECD-Studie zu Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf
"Die Frauen in Deutschland wollen durchaus arbeiten"

Eine neue Studie der OECD stellt fest: Noch immer ist Kindererziehung in Deutschland Frauensache, trotz Elterngeld und Kita-Ausbau sind Männer die Hauptverdiener. Noch immer seien die Rahmenbedingungen für viele Frauen sehr schwierig, sagte Monika Queisser von der OECD. Andere Länder seien bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon viel weiter.

Monika Queisser im Gespräch mit Manfred Götzke | 20.02.2017
    Weiße Figuren von einem Vater mit Kind und einer Familie mit Kindern kleben auf einer Glasscheibe.
    Aufgrund des Elterngeldes nehmen zwar auch immer mehr Männer eine Auszeit für die Kinderbetreuung, dennoch liegt die Hauptlast noch immer bei den Frauen, erklärte Monika Queisser von der OECD im DLF. (pa/dpa/Jens Kalaene)
    Manfred Götzke: Papa geht arbeiten, Mama kümmert sich um die Kinder. Ein Klischee? Nein, auch im Jahr 2017 ist das noch immer die Realität in den allermeisten Familien in Deutschland, trotz Elterngeld, Familienarbeitszeit und Kita-Ausbau. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls die OECD in einer neuen Studie mit dem Namen "Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf". Verantwortlich bei der OECD dafür ist Monika Queisser, ich grüße Sie!
    Monika Queisser: Guten Tag!
    Götzke: Frau Queisser, wollen die Frauen in Deutschland nicht arbeiten?
    Queisser: Die Frauen wollen durchaus in Deutschland arbeiten, aber leider sind die Rahmenbedingungen für viele Frauen in Deutschland immer noch recht schwierig. Und deswegen lassen sich die Wünsche so in der Form oft nicht realisieren. Das bezieht sich zum Teil auf die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, aber auch aufs Steuer- und Transfersystem in Deutschland, was Doppelverdiener immer noch im Vergleich zu anderen Ländern benachteiligt. Das heißt, für viele lohnt es sich ganz einfach nicht. Und es gibt häufig auch nicht die Möglichkeiten für Frauen, in den Jobs zu arbeiten, in denen sie ausgebildet worden sind. Also, oft sind sie gezwungen, das zu nehmen, was verfügbar ist, auch in Teilzeit. Denn die Schulzeiten in Deutschland sind ja natürlich auch nach wie vor so, dass sie für viele Familien einfach schwierig mit zwei Vollzeitjobs zu verbinden sind.
    Götzke: Sie haben die Rahmenbedingungen angesprochen. Ich will mal einen Punkt herausgreifen, die steuerlichen Bedingungen. Also, da meinen Sie sicher das Ehegattensplitting.
    Queisser: Absolut, ja.
    "Wir wollen jetzt nicht so tun, als hätte in Deutschland kein Fortschritt stattgefunden"
    Götzke: Sie haben herausgefunden, dass inzwischen 70 Prozent der Frauen arbeiten, ein Großteil von ihnen aber Teilzeit. Das heißt, es ist immer noch dieses Modell, der Mann ist Hauptversorger und die Frau verdient noch etwas dazu. Warum ist das im Jahr 2017 immer noch so?
    Queisser: Also, erstens mal muss man sagen, dass sich doch sehr viel getan hat. Also, wir wollen jetzt nicht so tun, als hätte in Deutschland kein Fortschritt stattgefunden, in Deutschland hat sogar ein relativ spektakulärer Fortschritt stattgefunden. Aber diese neuen Politiken zur besseren Vereinbarung von Beruf und Familie gibt es eben noch nicht so lange und deswegen braucht es seine Zeit, bis wir Erfolge sehen.
    In der Tat beteiligen sich heute sehr viele Frauen am Arbeitsmarkt in Deutschland, aber eben in Teilzeit. Und wir haben uns mal angeguckt: Was ist denn überhaupt Teilzeit? Und da haben wir festgestellt, dass in den verschiedenen Ländern die Definitionen von Teilzeit, das heißt die von Frauen gearbeiteten Wochenstunden unglaublich stark variieren. Und in Deutschland sind es eben sehr wenige Stunden, während in anderen, auch gerade in skandinavischen Ländern oder in Frankreich, Teilzeit sehr viel mehr Stunden sind. Sie haben in Frankreich zum Beispiel die Situation, dass viele Frauen mittwochs nicht arbeiten, weil die Kinder mittwochs entweder gar nicht oder nur sehr wenige Stunden in die Schule gehen. Und dann ist Teilzeit eben gängig bei vielen Frauen 80 Prozent. Aber in Deutschland ist es oft halbtags, also um die 20 Stunden.
    Und im Gegenzug haben wir uns auch angeguckt: Wie viel Stunden arbeiten denn Vollzeitbeschäftigte? Und da stellt sich heraus, dass in Deutschland die Vollzeitarbeit besonders lang ist. Sowohl Männer als auch Frauen, die Vollzeit arbeiten, arbeiten eben 40 und mehr Stunden, was mehr ist als in vielen anderen Ländern, gerade auch in Skandinavien.
    Götzke: Da kann man vielleicht auch Frankreich nennen, da gibt es ja gesetzlich die 35-Stunden-Woche.
    Queisser: Genau. Es gibt in Frankreich eine 35-Stunden-Woche, wobei das davon abhängt, welchen Job man genau hat. Also, gerade die Leute, die in Führungspositionen oder in oberen, leitenden angestellten Positionen sind, arbeiten oft mehr als die 35 Stunden, können aber im Gegenzug natürlich dann Freitage nehmen. Also, das erleichtert die Einteilung von Arbeit oder die Vereinbarung von Arbeit und Familie natürlich auch sehr.
    Teilzeit besser aufteilen zwischen Männern und Frauen
    Götzke: Ein großes Problem ist dabei ja die sogenannte Teilzeitfalle, also, dass Arbeitnehmer – meistens Frauen in dem Fall –, wenn die Kinder jung sind, auf Teilzeit gehen und dann nicht wieder auf Vollzeit gehen können, wenn sie das denn wollen. Genau das wird ja nun mit einer neuen gesetzlichen Regelung verändert. Wie wichtig ist dieses Teilzeitgesetz?
    Queisser: Also, vielleicht sollte man grundsätzlich erst mal sagen, dass die OECD natürlich nicht gegen Teilzeit ist. Teilzeit kann eine sehr gute Sache sein, und gerade wenn man kleine Kinder hat, dann möchte man natürlich auch von den Kindern profitieren und nicht die ganze Zeit im Büro verbringen und seine Kinder nicht genug sehen.
    Was wir hier festgestellt haben in der Studie – und das ist ein neuer Ansatz, der in anderen Ländern so nicht verfolgt wird –, ist: Wir haben nichts gegen Teilzeit, aber dann lasst es uns doch bitte besser aufteilen zwischen Männern und Frauen, zwischen Vätern und Müttern. Das heißt, wenn ... Die Frauen kommen deswegen in die Teilzeitfalle, weil es eben nur die Frauen sind oder ganz überwiegend die Frauen sind, die diese Teilzeit nehmen und das über einige Jahre machen. Und dann, wenn es keine Rückkehr auf Vollzeit gibt und eine gesetzliche Lösung zu einem gesetzlichen Recht auf Rückkehr zu Vollzeit, kann natürlich sehr nützlich sein, denn dann müssen sich die Unternehmen auch darauf einstellen, dass den Frauen ein Vollzeitjob geboten wird.
    Elterngeld ist "spektakulärer Erfolg"
    Götzke: Sie haben die anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen ja schon angesprochen, ich nenne jetzt nur mal Kita-Ausbau und Elterngeld. Wie wichtig war das in den vergangenen Jahren, dass sich da überhaupt was ändert?
    Queisser: Also, das Elterngeld und gerade auch das Vätergeld, also die Zeit für Väter, die man nicht übertragen kann, das Elterngeld Plus, das hat schon unglaubliche Wirkung in Deutschland gehabt. Man kann sehen, dass früher die Väter praktisch überhaupt keine Zeit genommen haben, und jetzt ist es schon ein Drittel aller Kinder, die heute geboren werden, deren Väter nehmen jetzt die Väterzeit. Und das ist wirklich ein spektakulärer Erfolg und wir benutzen Deutschland immer, wir nennen Deutschland als ein gutes Beispiel international in der Diskussion, wie man mit so einer solchen politischen Maßnahme doch auch eine Verhaltensveränderung bewirken kann. Und das ist zum Beispiel jetzt wirklich ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man solche Regelungen auch umsetzen kann und die dann zu einem besseren Teilen in der Familie führen.
    Vorbild skandinavische Länder
    Götzke: Sie haben es ja schon genannt, in manchen Ländern, skandinavischen Ländern, aber auch Frankreich sind die Rahmenbedingungen noch ein bisschen besser als in Deutschland. Aber inwieweit gibt es dort auch eine andere, größere gesellschaftliche Akzeptanz oder vielleicht auch Erwartung, dass die Frauen mehr oder weniger genauso viel arbeiten wie die Männer?
    Queisser: In der Tat sehen die skandinavischen Länder das als wirklich unproblematisch an, wenn Kinder in die Schule kommen, dass die Mütter dann Vollzeit arbeiten. In Deutschland hat sich viel getan, wir hatten 2002 noch fast die Hälfte aller Leute, die meinten, dass, wenn man ein Kind im Vorschulalter hat, dass die Mütter dann zu Hause bleiben sollten und gar nicht arbeiten. Das ist heute nur noch etwas mehr als 20 Prozent der Gesellschaft, die das findet. Aber insbesondere in den alten Bundesländern meinen die meisten doch, dass Frauen nur Teilzeit ... oder Mütter nur Teilzeit arbeiten sollten und nicht Vollzeit. Und das ist in skandinavischen Ländern, aber auch in Frankreich anders. Wenn das Kind in die Schule kommt, dann sehen die Leute prinzipiell kein Problem, dass Frauen Vollzeit arbeiten können.
    Aber jetzt muss man dazu sagen: Die Schulzeiten sind natürlich zum Beispiel auch in Frankreich andere. Der Schultag ist lang, der ist fast wie ein Arbeitstag, die Kinder sind automatisch beim Mittagessen in der Schule, und das ist bei uns in Deutschland natürlich auch nicht so.
    Götzke: Wobei es ja jetzt auch mehr Ganztag an deutschen Schulen gibt.
    Queisser: Auf jeden Fall, auch da hat sich viel getan. Aber es ist eben noch nicht flächendeckend. Und insofern ist es halt auch noch nicht selbstverständlich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.