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Ökologie bleibt der wichtigste Antrieb der Grünen

Elke Durak: Zur einstigen Ökopartei gehört Ralf Fücks, er ist heute Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung und nun am Telefon. Herr Fücks, über Sie kann man lesen, Sie hätten sich vom einstigen Radikalen zu einem Realpolitiker entwickelt. Wenn das denn so zutrifft, vermissen Sie bei sich manchmal noch das radikale Element?

Moderation: Elke Durak |
    Ralf Fücks: Was ich nicht mehr vermisse, ist diese Art von Verbalradikalismus, der wir in den 70ern und zum Teil auch noch in den 80ern gehuldigt haben. Was ich auch nicht vermisse, ist die Art von ideologischen Kämpfen, die es damals bei den Grünen bis zur offenen Feindseligkeit gab. Was mich persönlich angeht, glaube ich, dass ich da schon eine gewisse produktive Unruhe bewahrt habe, die man auch als Realpolitiker braucht, wenn man weiterhin gesellschaftsverändernde Politik machen will, und das wollen die Grünen.

    Durak: Dieses Moment der kleinen produktiven Unruhe beanspruchen andere Parteien auch für sich. Wo liegt denn der kleine grüne Unterschied zu anderen Parteien?

    Fücks: Ich denke, dass die Grünen immer noch die Partei sind, die sich mit Abstand am stärksten mit den Zukunftsfragen konfrontiert. Es ist immer noch die Ökologie, die den Motor der grünen Politik und der grünen Bewegung bildet, und das ist eine Frage, die ist noch lange nicht abgeschlossen. Die erfordert ganz weit reichende Veränderungen in der Technologie, im Verkehrssystem, in der Energieversorgung, aber auch im Lebensstil der Gesellschaft, das wird uns auch die nächsten Jahrzehnte noch befassen, und das geht nicht auf mit dem Status quo unserer jetzigen Verhältnisse. Das betrifft aber zum Beispiel auch eine Frage wie Generationengerechtigkeit. Die Grünen haben als erste die Zukunftsfähigkeit unseres sozialen Sicherungssystems unter diesem Gesichtspunkt auf die Tagesordnung gestellt. Auch, was die Frage multikultureller Demokratie angeht, sind die Grünen ein produktiver Störfaktor, der darauf drängt, dass wir uns neuen Realitäten stellen müssen. Zum Beispiel die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts war eine große Errungenschaft grüner Politik.

    Durak: Rundherum zufrieden?

    Fücks: Das bin ich nie, wenn man rundherum zufrieden ist, wird man zu bequem, und das ist dann der Anfang vom Ende für eine Reformpartei, aber im großen und ganzen war das eine Erfolgsgeschichte, und dass die Grünen in gewisser Weise erwachsen geworden sind und nüchterner, realistischer, heißt nicht, dass sie sich einfach angepasst hätten. Wir haben uns sicher der Gesellschaft angenähert, aber wir haben auch sehr viel in der Gesellschaft verändert. Das ist nicht mehr die gleiche Bundesrepublik wie vor 25 Jahren.

    Durak: Gehört zur Annäherung an die Gesellschaft auch so etwas wie realpolitischer Alltag mit Affären? Bonusmeilenaffären haben auch die Grünen ereilt, eine mögliche Visaaffäre ist noch nicht geklärt.

    Fücks: Von Visaaffäre kann ja nicht die Rede sein, da sind möglicherweise Fehler gemacht worden in der Administration der Visumspraxis, das wird geklärt werden. Aber sicher sind die Grünen nicht gefeit dagegen, dass es auch persönliche Fehlleistungen gibt. Wir haben schon lange aufgehört, diesen Anspruch vor uns her zu tragen, dass die Grünen per se die bessere Moral für sich gepachtet haben, dass sie die besseren Menschen seien. Das sind wir nicht, aber wir haben hohe Maßstäbe, was Integrität von Politikern betrifft, was Transparenz von politischen Entscheidungen betrifft, und wenn sich herausstellt, dass sich einzelne von uns da falsch verhalten haben, dann muss man daraus Konsequenzen ziehen und Rechenschaft verlangen.

    Durak: Kann es sein, dass sich bei manchen Politikern, die zu lange im Geschäft sind, eine gewisse Sattheit und Ferne vom normalen Leben einstellt?

    Fücks: Ich glaube, das ist immer eine Gefahr am politischen Apparat, dass man die Welt nur noch aus der Regierungsbrille oder aus der parlamentarischen Brille betrachtet. Das einzige Gegenmittel ist, dass immer wieder neu gewählt werden muss, dass sich Politiker immer wieder neu ihrer Basis stellen müssen, dass sie Rechenschaft ablegen müssen und dass eine lebendige Kommunikation stattfindet zwischen der Politik und der Gesellschaft und sich der politische Betrieb nicht abkapselt.