Donnerstag, 28. März 2024

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Ökonom empfiehlt im Metall-Tarifstreit flexible Lohnelemente

Flexible Lohnelemente wie Einmalzahlungen und Gewinnbeteiligungen sind aus Sicht des Ökonomen Hagen Lesch das Mittel der Wahl im laufenden Metalltarifstreit. Einen Nachschlag für zuvor niedrig ausgefallene Lohnrunden zu verhandeln sei "gefährlich".

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 30.04.2012
    Christiane Kaess: Mit gut dreieinhalb Millionen Beschäftigten ist die Metall- und Elektroindustrie der industrielle Kern der deutschen Wirtschaft. Im laufenden Tarifkonflikt hat die Gewerkschaft jetzt ihrer Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn Nachdruck verliehen, und zwar mit ersten Warnstreiks an diesem Wochenende in mehreren Bundesländern. Bundesweite Warnstreiks sollen nach dem morgigen Tag der Arbeit folgen. 6,5 Prozent mehr Lohn wie gesagt werden gefordert, außerdem sollen die Auszubildenden unbefristet übernommen werden. Die Arbeitgeber haben drei Prozent mit einem Tarifvertrag von 14 Monaten angeboten. – Am Telefon ist Hagen Lesch, er ist Tarifexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln. Guten Morgen, Herr Lesch!

    Hagen Lesch: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Lesch, in der IG Metall heißt es, das Angebot der Arbeitgeber für die, so wörtlich, stärkste Branche Europas sei eine Provokation. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

    Lesch: Gut, ich meine, man muss immer zwischen verbalen Äußerungen und den Verhandlungen, die im Hintergrund ablaufen, unterscheiden, und aus Sicht der Gewerkschaft entspricht natürlich nicht dieses Angebot von drei Prozent der Forderung von sechseinhalb. Insofern ist das Kritik an dem Angebot, aber ich würde das auch nicht überbewerten. Gerade in der Lohnfrage glaube ich schon, dass die beiden Tarifparteien sich einig werden können, da kann man sich aufeinander zubewegen. Ich glaube, es ist schwieriger bei den anderen beiden Themen zusammenzukommen, bei der Zeitarbeit und bei der Übernahme Auszubildender.

    Kaess: Lassen Sie uns noch kurz hier bleiben. Das Argument, eine starke Branche, die für die deutsche Wirtschaft so wichtig ist, verdient auch eine entsprechende Entlohnung, das lassen Sie gelten?

    Lesch: Ja. Man muss allerdings dazu sagen, natürlich verdienen die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie eine angemessene Entlohnung. Man muss allerdings dazu sagen, dass gerade die Industriebranchen, etwa Metall oder auch Chemie, die beiden Wirtschaftszweige sind, die eigentlich zu den Branchen mit der dynamischsten Lohnentwicklung der letzten Jahre gehören. Auch in der Metallindustrie hat es, wenn man sich die Tariflohnsteigerungen anschaut, unter dem Strich Reallohnerhöhungen gegeben. Insofern haben die Beschäftigten in der Metallindustrie schon Teil an der Entwicklung. Und man muss auch dazu sagen, gerade im Krisenjahr, als die Produktion um über 20 Prozent eingebrochen war, sind die Löhne trotzdem gestiegen. Das heißt also, auch dort ist es nicht so gewesen, dass den Arbeitnehmern jetzt was weggenommen wurde.

    Kaess: Aber auf der anderen Seite waren die Gewerkschafter der IG Metall bisher an den Tarifvertrag von 2010 gebunden, und der wurde noch mitten in der Rezession geschlossen. Sie haben also erst einmal zugesehen, wie sich die Wirtschaft erholt hat. Ist in der jetzigen Forderung auch eine Art Nachschlag für die vergangene Tarifrunde enthalten?

    Lesch: Ja, das ist in der Tat so. Die IG Metall hat das auch gesagt. Im letzten Jahr gab es halt aus ihrer Sicht nur 2,7 Prozent. Das Problem bei diesen Debatten ist, dass Tarifrunden ja eigentlich vorausschauend sind. Ich schließe ja jetzt ab für die Zukunft, für ein Jahr, für zwei Jahre, und da muss ich schon die Situation in der anstehenden Phase sozusagen berücksichtigen. Insofern ist aus Sicht des Ökonomen diese Nachschlagdebatte gefährlich. Man könnte die übrigens lösen, wenn man mehr flexible Lohnelemente wie beispielsweise Einmalzahlungen oder vor allem Gewinnbeteiligungen dann ausschütten würde. Das ist ja auch in vielen großen Automobilkonzernen im letzten Jahr geschehen, auf freiwilliger Basis allerdings, damit kann sich nicht die IG Metall schmücken. Das ist das Problem.

    Kaess: Gefährlich, sagen Sie. Lässt sich denn sagen, ab welchem Abschluss in der heutigen Situation Arbeitsplätze gefährdet sind?

    Lesch: Nein, das lässt sich nicht sagen. Das hängt ja auch davon ab, wie weit die Unternehmen höhere Arbeitskosten gegebenenfalls überwälzen können. Das hängt wiederum davon ab, wie sehr beispielsweise Maschinen weltweit nachgefragt werden. Wenn die Nachfrage stabil und stark ist, dann kann man durchaus auch schon mal Preise erhöhen. Wenn das Umfeld allerdings volatiler wird, dann ist es schwerer, Preise zu erhöhen, und das ist, glaube ich, auch die Sorge der Arbeitgeber, dass ja die Konjunkturprognosen für Deutschland zwar jetzt nicht so schlecht sind, wenngleich nicht mehr so toll sind wie im letzten Jahr, aber eben gerade auch im europäischen Ausland, in das sehr viel exportiert wird, da wackelt es an vielen Stellen und dann ist es halt eben auch schwieriger, höhere Lohnkosten sozusagen auch weiterzugeben. Das würde dann zulasten der Unternehmen gehen, wenn sie das eben nicht weitergeben können in höhere Preise, und dann leidet natürlich die Investitionsbereitschaft, und das ist gerade für so eine kapitalintensive Branche wie die Metall- und Elektroindustrie natürlich wichtig. Die Unternehmen müssen selber auch Gewinne erwirtschaften, um investieren zu können, um damit auch ihren Wettbewerbsvorsprung, den sie in vielen Bereichen haben, zu halten.

    Kaess: Was heißt das jetzt in der konkreten Umsetzung der Forderung? Als die Metaller das letzte Mal so viel gefordert haben wie jetzt, stand letztendlich eine Vier vor dem Komma. Ist das für dieses Mal realistisch?

    Lesch: Das ist schwer zu beurteilen. Das Arbeitgeberangebot ist mit drei Prozent aus meiner Sicht überraschend hoch gewesen. Vielleicht ist es wirklich ein Signal an die IG Metall, dass man beim Lohn vielleicht ein Stück entgegenkommt, bei anderen Dingen dann mehr Kompromissbereitschaft der Gewerkschaft erwartet. Es ist schwer zu sagen, wo der Abschluss liegt. Aber dass die Untergrenze drei ist und dass es dann irgendwo wahrscheinlich in dem Rahmen liegt, den wir jetzt abgesteckt haben, Sie mit vier, ich mit drei, das ist in der Tat zu erwarten. Die von Ihnen eben gestellte Frage, ob dann schon Arbeitsplätze bedroht sind, das wie gesagt muss man halt abwarten.

    Kaess: Sie haben es schon erwähnt: Es gibt auch andere Forderungen. Die Gewerkschaft fordert, Azubis sollten eine Garantie auf unbefristete Beschäftigung erhalten. Wird sie das durchsetzen können?

    Lesch: Das ist schwer zu sagen, weil das ist eben keine Entscheidung, wo man sich so ein Stück weit entgegenkommt, sondern man sagt ja oder nein. Man kann natürlich ja sagen und dann irgendwelche Ausnahmeregelungen treffen, wie das auch die IG Metall einsieht, beispielsweise dass man sagt, ein Unternehmen, das über Bedarf ausbildet, muss natürlich nicht die über Bedarf ausgebildeten übernehmen. Da könnte ich mir auch vorstellen, dass man sich vielleicht einigen kann, wenn man genug Ausnahmetatbestände schafft. Ganz schwierig wird es bei dem Thema der erweiterten Mitbestimmung bei der Zeitarbeit, weil die Zeitarbeit oder auch den Einsatz dieses flexiblen Instruments sehen die Unternehmen genauso auch wie die Übernahme der Auszubildenden als eine unternehmerische Entscheidung, und die muss halt auch frei sein, es muss der Unternehmer autonom darüber entscheiden dürfen. Insofern ist das ganz, ganz schwierig, weil man hier quasi ja in ureigene unternehmerische Entscheidungsprozesse dann eingreifen würde, der Gewerkschaft Rechte zugesteht, und das ist dann schon eine Entscheidung, die reiflich überlegt sein will aus Unternehmersicht.

    Kaess: Das Gegenargument zu der Forderung nach einer unbefristeten Beschäftigung wäre ja oder ist, dass weniger ausgebildet wird. Sehen Sie das auch so?

    Lesch: Das Problem ist halt, dass ein Unternehmen, das gerne ausbildet, sich jetzt überlegen muss, muss ich die Ausgebildeten dann um jeden Preis halten, was ist, wenn sich die Lage, die Absatzlage verschlechtert, wenn ich weniger Auszubildende brauche, kann ich die dann halten beziehungsweise ich muss sie ja dann halten, wie werde ich sie wieder los. Das ist ein Stück weit Eingriff in die Flexibilität der Unternehmen. Die Unternehmen argumentieren ja damit, dass nach einem Jahr ohnehin mehr als zwei Drittel, etwa 70 Prozent, eine unbefristete Beschäftigung bekommen, und man muss ja auch dazu sagen, dass sich der Arbeitsmarkt etwas dreht. Es werden ja immer Auszubildende gesucht, es werden Fachkräfte gesucht, man braucht die ja.

    Kaess: Das ist genau das Argument der Gewerkschaft: Wer von Fachkräftemangel spricht, kann nicht auf Ausbildung verzichten.

    Lesch: Ja. Aber das Problem ist halt, man könnte auch genauso gut umgekehrt argumentieren, da die Position der Auszubildenden beziehungsweise der Gewerkschaft eh besser wird, brauche ich nicht unbedingt eine Regelung durchzusetzen, weil der Markt das von selber richtet. Das Problem ist wirklich, dass insgesamt Leute gesucht werden, aber einzelne Unternehmen möglicherweise ein Problem haben, wenn sie gezwungen sind, Auszubildende zu übernehmen, weil sie ja innerhalb der Branche auch einen Strukturwandel haben, die einen wachsen, die anderen schrumpfen, und wenn sie dann Unternehmen haben, die in Problembereichen, in Problemregionen oder in Problembranchen beschäftigt sind, dann fühlen die sich halt ein Stück weit eingeschränkt in ihrer Entscheidung letztlich, wie viele Leute sie übernehmen, oder wie viele sie überhaupt beschäftigen.

    Kaess: Hagen Lesch war das, er ist Tarifexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lesch.

    Lesch: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.