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Ökonom: EZB muss sich "von Karlsruhe nichts sagen lassen"

Die Prüfung von Staatsanleihenkäufen durch das Bundesverfassungsgericht könnte ohne Folgen für die Europäische Zentralbank bleiben, sagt Bert von Roosebeeke vom Centrum für Europäische Politik. Letztlich müsse ein Einwand vom Europäischen Gerichtshof kommen.

Bettina Klein im Gespräch mit Bert von Roosebeeke | 13.06.2013
    Christiane Kaess: Das Bundesverfassungsgericht lotet Wege für mehr deutsche Kontrolle über den Kurs der Europäischen Zentralbank zur Euro-Rettung aus. Das Gericht prüft, ob Staatsanleihenkäufe der EZB grundgesetzwidrig sind, weil sie ein Risiko für die Steuerzahler darstellen und vom EZB-Mandat womöglich nicht gedeckt sind. Zur Euro-Rettungspolitik vor dem Bundesverfassungsgericht hat meine Kollegin Bettina Klein gestern Abend mit Bert van Roosebeke gesprochen, er ist Finanzmarktexperte des Centrums für Europäische Politik. Sie hat ihn zuerst gefragt: Nach dem, was aus dem Gerichtssaal in Karlsruhe in den vergangenen beiden Tagen herausgedrungen ist, können Sie bereits eine Tendenz der Richter ermessen, die auf das Urteil schließen lässt?

    Bert van Roosebeke: Das halte ich für ganz schwierig. Die Richter haben ja sehr unterschiedliche Fragen gestellt, die das eine Mal darauf schließen lassen, dass die Richter sehr wohl die Gefahr sehen, dass die EZB außerhalb des Mandats handelt. Andere Fragen waren dann aber in eine ganz andere Richtung zu deuten. Also das halte ich für sehr schwierig.

    Bettina Klein: Was würde denn passieren, wenn Karlsruhe die Praxis stoppen würde?

    van Roosebeke: Was Karlsruhe machen könnte – da gibt es ja mehrere Möglichkeiten, das sozusagen zu stoppen -, Karlsruhe könnte natürlich den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Das ist…

    Klein: …noch nie da gewesen?

    van Roosebeke: Das ist noch nie da gewesen, auch deswegen sehr unwahrscheinlich., auch aus anderen Gründen etwas unwahrscheinlich. In der Tendenz rechnet man schon damit, dass der EuGH da vielleicht doch ein bisschen mehr Freiräume für die EZB sehen würde, als das Bundesverfassungsgericht das tut, und na ja, dann hätte das Verfassungsgericht ja auch nicht so ganz viel gewonnen.
    Ein anderer indirekter Weg für das Bundesverfassungsgericht, die OMT-Käufe, also die Staatsanleihenkäufe der EZB, zu stoppen oder zumindest da gewisse Grenzen einzuziehen, ist für den heutigen Tag oder wenn das Urteil dann kommt zu sagen, na gut, wir lassen das jetzt mal durchgehen, verbinden das ganze aber mit bestimmten Auflagen. Und je nachdem, wie Karlsruhe dann die Auflagen setzen würde, könnte es de facto so sein, dass die EZB dann irgendwie Rücksicht nehmen müsste und in ihrer Freiheit eingegrenzt wäre.

    Klein: Was natürlich auch schwierig ist, weil die Unabhängigkeit der EZB ja dennoch als hohes Gut gehandelt wird. Welche Beschränkungen wären da von den Karlsruher Richtern her dann doch denkbar und von der Verfassung auch gedeckt?

    van Roosebeke: Da muss man noch mal differenzieren. Die EZB ist in der Tat unabhängig. Die EZB ist aber nur unabhängig innerhalb ihres Mandats. Wenn die EZB jetzt tatsächlich sich mit den OMT-Käufen außerhalb des Bereichs der Geldpolitik bewegen würde, dann ist sie damit nicht mehr unabhängig.

    Klein: Und das könnte dann dazu führen, dass die Karlsruher Richter dem dann Einhalt gebieten würden und sagen, die Unabhängigkeit muss gewahrt bleiben, sie ist es aber nicht mehr mit der bisherigen Praxis?

    van Roosebeke: Sie könnten es versuchen, aber letztlich ist die zweite Seite der Medaille auch, dass die Europäische Zentralbank sich salopp gesagt auch von Karlsruhe nichts sagen lassen muss. Es müsste letztlich schon ein Einwand vom Europäischen Gerichtshof kommen. Also das Karlsruher Gericht kann letztlich eigentlich nur versuchen, über die Schiene des deutschen Rechts Limits für die EZB einzuziehen. Das heißt, Karlsruhe müsste irgendwie sagen, aus deutscher Sicht können wir folgende Einschnitte, sage ich jetzt mal, in die Budget-Hoheit des Deutschen Bundestages hinnehmen, bis zu diesem Punkt geht das, aber darüber hinaus wird das nicht mehr gehen. Darüber hinaus wäre eine Teilnahme Deutschlands am Euro nicht mehr machbar. Sie kann also eigentlich nicht direkt die EZB ansprechen, könnte aber nur rote Linien ziehen, woran die EZB sich dann wahrscheinlich auch halten würde.

    Klein: … und müsste das Ganze dann automatisch nach Luxemburg überweisen?

    van Roosebeke: Das muss nicht sein. Das Bundesverfassungsgericht würde eine Überführung sozusagen oder eine Vorlage zum EuGH in Luxemburg am glaubwürdigsten vermeiden können, wenn es sagt, so, wir haben uns jetzt den Fall angeschaut und wir sind der Meinung, die EZB bewegt sich tatsächlich innerhalb ihres geldpolitischen Mandats, wir sehen keine Notwendigkeit, das in Luxemburg noch mal gegenprüfen zu lassen, deswegen legen wir nicht vor. Aber wir sehen elementare Grundrechte, deutsche Grundrechte berührt, namentlich das Recht des Deutschen Bundestages, über das Budget frei entscheiden zu können, und um dort zu tiefgehende Einschnitte zu vermeiden, würden wir bestimmte Auflagen formulieren.

    Klein: Was würden diese Auflagen dann ökonomisch bedeuten?

    van Roosebeke: Naja, letztlich - ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich kann mir das schwer vorstellen - aber es würde letztlich bedeuten, dass man der EZB sagt, wir können uns jetzt vorstellen, dass die EZB – ich nenne jetzt mal irgendeine Zahl – für 100 Milliarden Euro irgendwelche Staatsanleihen aus der Euro-Zone kauft. Alles andere würde bedeuten, dass die Risiken für den deutschen Bundeshaushalt zu hoch wären und die Freiheit des Bundestages zu weit eingeschränkt wäre. Es ist nur eine Zahl, die ich einfach mal so dahin genannt habe, weil ich wüsste jetzt auch nicht, nach welchen Kriterien man das ganz genau beziffern müsste. Letztlich müsste man als Verfassungsgericht von gewissen Ausfallwahrscheinlichkeiten ausgehen, wie wahrscheinlich ist es, dass eine Staatsanleihe ausfällt und nicht bedient wird, weil nur dann kann man annähernd berechnen, welche Verluste in der EZB oder bei der Bundesbank auftreten würden und dementsprechend auch welche Nichteinnahmen sich im Deutschen Bundeshaushalt generieren würden. Also sehr komplexe, sehr abstrakte Berechnungen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Weitere Informationen auf dradio.de:

    Richter an den Grenzen ihrer Macht
    Zum EZB-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Kommentar)

    Schulz: Das Handeln der EZB wird nicht "für rechtswidrig erklärt" - EU-Parlamentspräsident verteidigt Staatsanleihenlauf der Zentralbank (Interview)

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