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Ökonom fürchtet Massenentlassungen in den USA

Die Immobilienkrise in den USA könnte nach Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Willi Semmler der Weltwirtschaft einen Dämpfer versetzen. Die Auswirkungen würden dann spürbar, wenn es in der amerikanischen Industrie zu Massenentlassungen kommt, sagte Semmler, der unter anderem in New York lehrt.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Wenn am Kapitalmarkt beschwichtigt wird, dann lohnt es besonders, genauer hinzuschauen. Ruhe ist sozusagen erste Bankerspflicht. Und nichts ist so schädlich wie Warnungen oder sorgenvolle Einschätzungen, die allzu schnell umkippen können in unkontrollierbare Kettenreaktionen. Der angeschlagene US-Immobilienmarkt ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel. Niedrige Zinsen und leichtfertige Kreditvergaben in den vergangenen Jahren bringen nun, da die Zinsen steigen, in den USA manche Schuldner in Probleme.

    Gestern sind die Probleme über den Atlantik gesprungen. Die Mittelstandsbank IKB musste ihre Ergebnisprognose senken, obwohl man vor wenigen Tagen noch Entwarnung gegeben hatte. Der Aktienkurs brach in der Spitze um 25 Prozent ein.

    Am Telefon ist nun der Wirtschaftswissenschaftler Willi Semmler. Er lehrt in Bielefeld und in New York und hat ein Buch über die Entstehung von Blasen am Kapitalmarkt geschrieben. Grüße Sie, Herr Semmler!

    Willi Semmler: Morgen!

    Remme: Herr Semmler, hat Sie die Auswirkung auf eine deutsche bisher als seriös geltende Mittelstandsbank überrascht?

    Semmler: Eigentlich schon etwas, weil im Prinzip die deutsche Konjunktur einen Aufschwung gerade noch erfährt. Und da sind normalerweise Kreditinstitute in einer besseren Situation. Aber die Verflechtung mit dem amerikanischen Immobilienmarkt hat das im Wesentlichen wohl verursacht. Und es ist abzuwarten, ob das ein Einzelereignis ist oder sich noch auf andere, eventuelle größere Banken, verlagern wird.

    Remme: Herr Semmler, das ist ja gerade das Interessante, glaube ich, dass dies hier eine Entwicklung ist, die völlig abgekoppelt ist davon, ob eine Konjunktur gut oder schlecht läuft, oder nicht?

    Semmler: Ja, da haben Sie natürlich Recht, weil: Eigentlich die Auswirkungen sind stark psychologisch. Die Nachwirkungen normalerweise solch eines Ereignisses wie in den USA, insbesondere wurde es ausgelöst dort durch die beiden, durch die Insolvenz der beiden großen Hedgefonds von Bear Stearns, und da waren bereits größere Banken involviert, die sehr schnell verkaufen mussten und versuchen, ihre Sicherheiten wieder zu bekommen. Die beiden Hedgefonds sind nun liquidiert worden oder fast liquidiert worden. Da hat sich sofort eine, was im amerikanischen Ausdruck genannt wird, ein Credit Crunch ergeben. Das heißt, die Kreditgeber ziehen sich, werden vorsichtiger, die Risikoprämien werden sofort erhöht und im Prinzip der ganze Kreditmarkt wird beeinflusst..

    Remme: Herr Semmler, helfen Sie uns noch mal kurz. Wie weit reichen die Wurzeln dieser US-Hypothekenkrise zurück?

    Semmler: Eigentlich bis Anfang der Jahre 2000, 2001. Seit 2003 ungefähr haben sich die Immobilienpreise in den USA bis 2006 fast verdoppelt. Dann, es waren niedrige Zinsraten, wie Sie schon erwähnt haben einleitend. Und aber gleichzeitig, es war nicht nur die geringe Bonität von bestimmten Einkommensgruppen, die im Immobilienmarkt aufgetreten sind und Wohnungen oder Häuser gekauft haben. Gleichzeitig mit den hohen und ansteigenden Preisen, Immobilienmarktpreisen, in den USA wird das natürlich zum Spekulationsobjekt, die Immobilie, weil. Es sind auch viele Spekulationen erfolgt, dass zum Beispiel Käufer von Immobilien aufgetreten sind, die gleichzeitig gekauft haben, um eigentlich kurz nachher wieder zu verkaufen. Und ein größerer Teil dieser spekulativen Immobilien, des spekulativen Immobilienhandels ist bereits seit Ende, ja Beginn des Jahres 2006 eingebrochen und jetzt im Wesentlichen seit Anfang, Mitte des Jahres 2000 sind dann die Bereiche, ja oder Segmente Subprime Mortgage, das heißt die Bereiche der unteren Einkommen, weggebrochen.

    Remme: Sie haben gerade ein Wort genannt, das fällt in diesem Zusammenhang immer wieder. Das ist das Wort Subprime, Subprime Lending. Um was genau geht es dabei?

    Semmler: Subprime Lending ist, also die Hypothekenbanken oder die Immobilienfonds, die sind sehr interessiert, die Käufer zu bekommen, und es werden also Verträge abgeschlossen oder mit niedrigen Zinsen, die Zinsen sind flexibel, diese gehen in der Zukunft hoch zu derzeitigen, zu der Zeit waren die Zinsen sehr niedrig, gleichzeitig sind keine Sicherheiten da. Normalerweise gilt als Faustregel, dass 20 Prozent als Eigenkapital aufgebracht werden.

    Remme: Das heißt, man hat Leuten Geld gegeben, die sich eigentlich einen Immobilienkauf nicht leisten können?

    Semmler: Genau, die sich einen Immobilienkauf nicht leisten können, die Zinsraten potenziell ansteigen, aber das Immobilienobjekt war von Anfang an bereits überteuert wegen dieses rapiden Preisanstiegs im Immobilienbereich.

    Remme: Wie viel Potenzial hat diese Krise?

    Semmler: Das Potenzial hat, erst mal wird es sich auf weitere Marktsegmente im Immobilienmarkt ausdehnen. Bereits in Kalifornien, in anderen Bundesstaaten in den USA hat es sich auch praktisch auf mittlere Einkommen ausgeweitet die Krise. Zweitens weitet sich die Krise aus im Kreditbereich, wie ich vorher schon sagte, weil die Banken und die Hypothekenbanken jetzt sehr viel vorsichtiger werden. Das heißt, die Bonität wird sehr stark ins Auge gefasst, und Risikoprämien müssen gezahlt werden.

    Remme: Und können die Auswirkungen derart heftig sein, dass man es praktisch an der Weltwirtschaft wird erkennen können?

    Semmler: Das ist eine wichtige Frage. Erst mal hat jetzt im nächsten Schritt sich das ausgewirkt auf die Aktienmärkte wie normalerweise, weil da die, der psychologische Effekt erstmal sichtbar wird. Das hat aber jetzt gestern wieder sich etwas beruhigt, und der Dow Jones ist, glaube ich, so um fast einen Prozent wieder angestiegen. Die Auswirkungen werden erst dann richtig auftreten, wenn größere Massenentlassungen in den Industriebereichen auftreten, zum Beispiel Autoindustrie, Immobilien, Dienstleistungssektor.

    Remme: Und diese Befürchtung haben Sie?

    Semmler: Die Befürchtung habe ich, wenn diese Massenentlassungen stärker auftreten. Dann können natürlich die Haushalte erst Recht nicht die Immobilien zurückzahlen.

    Remme: Jetzt haben wir viel über die USA geredet. Die IKB hier in Deutschland ist bereits betroffen. Können da andere deutsche Institute in diesen Strudel geraten?

    Semmler: Insofern sie mit einem relevanten Teil ihres Kapitals in den US-Hypothekenbanken oder Immobilienfonds involviert sind, das schon. Oder, was die andere Möglichkeit ist, also Commerzbank, Deutsche Bank und die Großbanken, die waren bei der Finanzierung von Hedgefonds beteiligt in den USA und haben größere Verluste zu verzeichnen. Möglicherweise weitere Insolvenzen von Hedgefonds oder Großinvestoren in den USA im Immobilienbereich, das wird natürlich auf diese Großbanken auch zurückschlagen in Deutschland.

    Remme: Der Wirtschaftswissenschaftler Willi Semmler, unter anderem in Bielefeld und in New York wissenschaftlich tätig. Ich grüße Sie und bedanke mich, Herr Semmler.

    Semmler: Ja, herzlichen Dank auch.