Donnerstag, 28. März 2024

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Ökonom Hüther hält Aufschub für Griechenland für richtig

Den Vorstoß der IWF-Chefin Christine Lagarde, Griechenland einen längeren Zeitraum zur Konsolidierung des Haushalts zu gewähren, hält der Ökonom Michael Hüther für richtig. Im Gegenzug müsse Griechenland bei Privatisierungen und einer Marktöffnung vorankommen.

Das Gespräch führte Silvia Engels | 12.10.2012
    Friedbert Meurer: Der Internationale Währungsfonds und die angereisten Teilnehmer machen sich Gedanken um den Zustand der Weltwirtschaft. Deutschland bleibt dabei keine Insel der Seeligen, das war gestern der Tenor der Wirtschaftsforschungsinstitute hier in Deutschland. Die haben ihr Herbstgutachten vorgelegt und sagen voraus, das Wachstum in Deutschland wird sich halbieren, von erwarteten zwei auf ein Prozent. Aber das Hauptaugenmerk gilt hierzulande auch weiterhin Griechenland. Meine Kollegin Silvia Engels hat gestern Abend Michael Hüther gefragt, den Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, ob Griechenland einen weiteren Schuldenschnitt benötigt.

    Michael Hüther: Nun, ich halte das für eine etwas übereilte Beschreibung. Man muss ja sehen: Es gibt im Marktbereich ja kaum noch griechische Staatsanleihen. Das sind im Wesentlichen jene Anleihen, die die EZB hält. Oder die anderen europäischen Staaten, die hier ihre Hilfe schon damit zum Ausdruck bringen, dass sie auch noch auf die Zinszahlungen verzichten, ist sicherlich nicht anzunehmen. Möglicherweise wird man über andere Zeiten, andere Zahlungsziele vielleicht nachdenken, aber dass es hier einfach noch mal einen Schuldenschnitt schnell geben kann, halte ich für unwahrscheinlich.

    Silvia Engels: Was sagen Sie dann zu dem Vorstoß von IWF-Chefin Lagarde? Sie hat ja vorgeschlagen, Griechenland zwei Jahre mehr Zeit für das Konsolidierungsprogramm zu geben. Geht das eher in die Richtung, die Sie sich auch vorstellen?

    Hüther: Ich denke schon, dass man in Griechenland über einen anderen Zeitpfad grundsätzlich nachdenken muss. Es macht uns ja allen gemeinsam wenig Spaß, alle vier, fünf Monate zu schauen, wie die Troika da hinfährt, irgendwas herausfindet, das ein gemischtes Ergebnis gibt. Im Grunde geht es ja um einen längerfristigen Entwicklungsprozess, eigentlich ja auf eine Dekade zu beziehen, und bei einem solchen Entwicklungsprozess kann man natürlich auch über andere Zeitpfade nachdenken. Aber das bezieht sich eher darauf, wie man dann in Griechenland präsent ist, mit welchen Unterstützungsmaßnahmen man vor Ort auch den Ausbau der Verwaltung, die ja ein großes Problem darstellt, befördert, und in diesem Rahmen kann man dann auch über andere Zeitmuster nachdenken. Ich glaube nur, dass man nicht nur schätzen sollte, was die Griechen schon auch im öffentlichen Haushalt gemacht haben. Das ist ja auch in dem Gemeinschaftsgutachten entsprechend gewürdigt worden.

    Engels: Zeitmuster, die man Griechenland etwas großzügiger einräumen soll, davon sprechen Sie. Das klingt alles sehr gut. Aber wenn man diese Hilfen auf spätere Zeiten, was die Rückzahlung angeht, verschieben wird, dann wird das Ganze ja automatisch teurer. Welche Größenordnung hat das denn?

    Hüther: Nun, natürlich haben wir dann auch mit Kosten zu tun. Aber auf der anderen Seite ist es ja ohnehin so, dass wenn dieses Land wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt, wenn es auch bei der Konsolidierung überfordert wird, wird es auch von daher teurer. Das heißt, man muss hier eine Dilemma-Situation auflösen, und der Deal, den man dann treffen könnte, ist auf der einen Seite zu sagen, wir strecken das in eine längere Zeit und damit möglicherweise insgesamt etwas höhere Beträge, die man bereitstellen müsste, gleichzeitig aber zu sagen, dafür hat Griechenland auch eine höhere Verpflichtung, sich selbst zu öffnen, dort wo es die Schwäche zeigt, nämlich in der Verwaltung, in der Umsetzung der Maßnahmen, insbesondere bei der Privatisierung, aber auch bei der Marktöffnung endlich voranzukommen.

    Engels: Aber nehmen wir doch mal ein Beispiel. Wenn es zwei Jahre mehr wären, wie Frau Lagarde sagt, kann man ungefähr eine Hausnummer nennen?

    Hüther: Nein, das ist schwierig zu beschreiben, weil ja davon abhängt, was in dieser Zeit auch an wirtschaftlicher Restrukturierung gelingt, wenn beispielsweise sich fortsetzt, was wir jetzt jüngst gesehen haben, dass die Industrie sich belebt, dass die Exportzahlen positiv sind, dass von daher sich ja auch wieder eine Verbreiterung der Steuerbasis ergibt. Insofern: Meiner Ansicht nach geht es viel mehr um die Frage des Timings und nicht zwingend darum, in der Summe mehr Geld in die Hand zu nehmen, sondern etwas mehr Luft in der Gestaltung zu haben. Man muss einfach sehen, das sind gewaltige Veränderungen, die haben die Primärausgaben um 17 Prozent gekürzt. Auf den deutschen Staatshaushalt umgerechnet wären das 180 Milliarden Euro. Man möge sich vorstellen, was das hier bedeuten würde.

    Engels: Dann schauen wir auf die Folgen der Euro-Schuldenkrise hier. Die Eintrübung der Konjunktur könnte eine Folge sein. Dann fällt aber auch auf, dass die Wirtschaftsforscher heute recht deutlich der Politik vorgeworfen haben, sie habe durch die Duldung der EZB-Entscheidung, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, mittelfristig höhere Inflation bereits akzeptiert. Sehen Sie das auch so?

    Hüther: Nein, das finde ich eine etwas naive Beschreibung, denn die Politik muss erst mal grundsätzlich erdulden, was die Notenbank tut, ob es ihr gefällt oder nicht. Sie ist nämlich autonom. Das war uns allen gemeinsam wichtig, als diese Europäische Währungsunion konzipiert wurde, und die Europäische Zentralbank hat, wie ich finde, zwar sicherlich einen zu kritisierenden Beschluss gefasst. Ich bin auch kein Freund der Intervention der Notenbank am Staatsanleihenmarkt. Aber sie hat es konditioniert. Sie hat es gebunden an eine Programmerfüllung für die Länder, die darauf schielen, es gibt keine Automatik, es sind unverändert diskretionäre Entscheidungen, also fallweise Entscheidungen, die der Zentralbankrat zu treffen hat. Insofern ist das etwas deutlich anderes als das, was Draghi ursprünglich bekannt gegeben hat. Der Politik jetzt vorzuwerfen, dass sie hier der Geldpolitik den Raum gibt, ist naiv. Die Geldpolitik hat den Raum, dies so zu entscheiden. Man wird fragen müssen, ob sie möglicherweise überdehnt, aber das ist bisher nicht zu sehen. Bisher ist nichts passiert, sondern es geht um die Frage, kann man damit insgesamt die Wirkungsfähigkeit der Geldpolitik auch erhöhen. Also: Bei aller berechtigten Kritik auch nicht übertreiben.

    Meurer: Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, im Gespräch mit meiner Kollegin Silvia Engels.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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