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Ökonom: Mehr Wohlstand bedeutet nicht mehr Glück

Nie ging es uns trotz Eurokrise besser - doch macht uns ständig wachsender Wohlstand glücklicher? Im Gegenteil, sagt der Ökonom Niko Paech: Zu viel Luxus macht uns krank.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 03.01.2012
    Sandra Schulz: Heute wird es neues Zahlenfutter geben, das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK, hat seinen wirtschaftspolitischen Ausblick angekündigt: Mit weniger als einem Prozent Wirtschaftswachstum rechnet die Bundesregierung. Das ist eine Größe, die für hängende Mundwinkel sorgt. Denn ohne Wachstum kein Wohlstand, diese Gleichung gilt der Regierung wie der Opposition gleichermaßen. Aber geht die Rechnung auf? Vor den Grenzen des Wachstums hat Anfang der 70er-Jahre schon der Club of Rome gewarnt, die Veröffentlichung jährt sich in diesem Jahr zum 40. Mal. Als Öko-Pessimisten wurden die Autoren von ihren Kritikern abgetan, jetzt fällt das Jubiläum zusammen mit Krisenstimmung und apokalyptischen Szenarien. – Wegen oder trotz des Wachstums der vergangenen Jahrzehnte? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, am Telefon begrüße ich Niko Paech, Ökonom, Hochschullehrer an der Uni Oldenburg und Wachstumskritiker. Guten Morgen!

    Niko Paech: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Paech, weniger als ein Prozent Wirtschaftswachstum! Die Prognose müsste aus Ihrer Sicht ja eigentlich eine gute Nachricht sein?

    Paech: Für die Ökologie ist das auf jeden Fall eine gute Nachricht. Wir haben, schon als im Herbst 2008 die Finanz- und spätere Weltwirtschaftskrise ausbrach, festgestellt, dass ein Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums sofort dazu führt, dass auch die CO2-Emissionen reduziert werden. Und dann haben wir über die vielen anderen ökologischen Belastungen noch gar nicht gesprochen, die auch notwendigerweise immer damit einhergehen, wenn das Bruttoinlandsprodukt wächst.

    Schulz: Aber für den Arbeitsmarkt ist das sicher keine gute Nachricht?

    Paech: Na ja, es ist für den Arbeitsmarkt dann keine gute Nachricht, wenn wir weiterhin auf diesem hohen Ross der entsprechenden Konsum- und Mobilitätsansprüche verharren, also darauf pochen, weiterhin diese Plünderung zu betreiben. Würden wir uns darauf einlassen, nicht mehr das Ideal einer 40-Stunden-Woche aufrechtzuerhalten, sondern bereit sein, etwa nur 20 oder 30 Stunden pro Woche zu arbeiten, dann würde das alles nichts ausmachen.

    Schulz: Was meinen Sie mit Plünderung?

    Paech: Mit Plünderung meine ich, dass wir über viel Arbeitszeit, die wir uns aneignen, natürlich viel monetäres Einkommen verdienen. Und das geben wir aus, damit tapezieren wir ja nicht die Wände, sondern das benutzen wir, um Urlaube zu finanzieren oder die weihnachtliche Konsumorgie zu unterfüttern, die ja gerade hinter uns liegt, und so weiter und so fort. Und auf diese Weise gibt es sowieso einen großen Konflikt zwischen unserem Wohlstand und der Stabilität der Ökosphäre.

    Schulz: Bei Ihnen sind jetzt so viele negative Attribute vorgekommen. Was ist so schlimm am Wirtschaftswachstum?

    Paech: Na ja, ich hatte gerade schon gesagt, dass es also kein Wirtschaftswachstum ohne ökologische Schädigung gibt. Aber es gibt andere Wachstumsgrenzen, vor allem auch ökonomische. Auch die wurden damals schon im Bericht des Club of Rome vom Jahre 1972 genannt. Heute reden wir von Peak Oil, von Peak Everything. Wir stellen fest, dass eben unser Wohlstandsmodell auf Gedeih und Verderb abhängig ist von der billigen und unbegrenzten Verfügbarkeit vor allem fossiler Rohstoffe, aber auch sogenannter seltener Erden. Und die werden jetzt gerade, während wir hier telefonieren, knapp, immer knapper. Und das spiegelt sich natürlich auch dahin gehend wider, dass die Preise für diese Ressourcen steigen. Und damit sind schon wieder die nächsten Wirtschaftskrisen vorprogrammiert. Inzwischen gehen viele meiner Kolleginnen und Kollegen gar nicht mehr davon aus, dass die 2008 begonnene Krise alleine eine sogenannte Finanzkrise war, vielmehr hat der rekordverdächtig hohe Rohölpreis im Juli 2008 einen vielleicht ebenso großen Beitrag geliefert für diese Misere.

    Schulz: Aber was ist denn an der Rechnung falsch oder was sollte an der Rechnung falsch sein, dass je mehr es zu verteilen gibt, desto mehr wir auch bekommen können?

    Paech: Ja gut, aber wie viel wollen wir denn noch haben? Wir haben inzwischen wichtige Befunde aus der sogenannten Glücksforschung, an der nicht nur die Psychologie beteiligt ist, sondern inzwischen auch die Ökonomie. Wir haben Befunde dahin gehend, dass Menschen nach Erreichen eines ganz bestimmten materiellen Wohlstandsniveaus keineswegs noch glücklicher werden, wenn der ganze Plunder noch weiter anwächst, den wir so um uns anhäufen. Wir können sogar davon ausgehen, dass nach Erreichen einer bestimmten Wohlstandshöhe sogar der Stress zunimmt, die Reizüberflutung. Das heißt, wir sind gar nicht mehr in der Situation, all das ja Genuss stiftend auszuschöpfen, was wir uns längst leisten können. Burn-out, Zeitknappheit, eine immer schwerer zu meisternde Beschleunigung, all das geht ja auch mit dem Wohlstand einher. Das Interessante ist, dass die Zivilisationskrankheit Nummer eins ausgerechnet in reichen Konsumgesellschaften die Depression ist.

    Schulz: Das, was Sie Plunder nennen, das ist für viele Menschen vielleicht eine Lebensleistung. In der Nachkriegsgeneration haben ja viele Menschen darauf hingearbeitet, dass es ihnen, dass es ihren Kindern besser gehen möge eines Tages. Ist das als Motivation nicht auch wichtig?

    Paech: Ja, natürlich. Aber ich meine, der Tag hat nur 24 Stunden und ein menschliches Leben ist ja nicht unbegrenzt verlängerbar und man muss ja irgendwie die Zeit, die Aufmerksamkeit finden, die man braucht, um all das auszuschöpfen, was man sich als vermeintliche Lebensleistung aneignet. Sie haben gerade die Nachkriegsgeneration angesprochen: Vergleichen Sie doch mal das Wohlstandsniveau, das etwa in den 60er-Jahren vorherrschte und das unsere Eltern- oder Großelterngeneration so wahnsinnig glücklich gemacht hat damals. Vergleichen Sie das mal mit dem heutigen Wohlstandsniveau, um welchen Faktor ist das noch mal gestiegen und um wie viel ist das Glück der Menschen gestiegen? Wahrscheinlich um gar keinen Faktor.

    Schulz: Aber wenn das Glück, was zu besitzen, kein Glück ist, wie kommt es dann zum Beispiel, dass auch im Moment noch, auch im 21. Jahrhundert die Autos auf den Straßen immer größer werden?

    Paech: Ich denke mal, das sind soziale Prozesse, die getrieben sind von einer gewissen Konkurrenz oder einer eben kulturellen Dynamik. Das heißt, in einer modernen Konsumgesellschaft besteht die letzte Möglichkeit, sich mit einer ganz bestimmten Identität oder Selbstdarstellung zu versehen, darin, Konsumgüter, Mobilitätspraktiken oder auch Telekommunikationspraktiken sichtbar an den Tag zu legen. Das heißt, wenn ich als Einzelner in einer Masse von Menschen schlechter ausgestattet bin mit Konsummobilität und Telekommunikation, dann bin ich natürlich eine wandelnde Auffälligkeit. Das heißt, ich muss mich rechtfertigen, ich bin ein Outsider, ich gehöre nicht dazu. Ich bin, wie manche Wissenschaftler zu sagen pflegen, nicht kulturell anschlussfähig. Das heißt, dass ich aus rein defensiven Motiven mitziehe, um in einer bestimmten sozialen Gruppe bestehen zu können oder um Anschluss zu finden an soziale Gruppen, zu denen ich aufschaue. Das heißt, ich konsumiere nicht mehr, um glücklich zu sein, sondern nur, um ein noch schlimmeres Unglück zu vermeiden. Aber das alles ist auch das Resultat einer stillschweigenden Vereinbarung: Wenn wir uns in sozialen Strukturen wiederfinden würden oder in Milieus, wo es eben nicht die Tagesordnung wäre, einen SUV zu fahren oder ständig im Flugzeug zu sitzen, dann wäre es eben auch entsprechend kulturell anschlussfähig und stabilisierbar, mit weniger Konsum und Mobilität klarzukommen.

    Schulz: Jetzt ist die Studie "Die Grenzen des Wachstums" ja 40 Jahre alt, das haben wir eben besprochen. Welche Prognosen sind denn eingetroffen?

    Paech: Also, die Zeitschiene, die vonseiten des Club of Rome damals in Erscheinung gebracht wurde, die hat sich natürlich nicht auf die Jahre genau bewahrheiten können. Das ist aber auch kein Wunder, wenn man sich mal vorstellt, wie die Datenlage Ende der 60er-Jahre gewesen ist. Aber von der Qualität der Aussagen her muss man sagen, dass der Club of Rome nicht nur auf verblüffende Weise recht hatte mit dem, was Sie heute zu Beginn schon als Öko-Pessimismus bezeichnet haben, sondern viele ökologische Krisen unterschätzt hat oder noch gar nicht vorausahnen konnte, die jetzt Platz greifen. Denken wir etwa an die Elektroschrottlawine, unter der der Planet zu versinken droht angesichts des Umstandes, dass selbst jedes Kind im Vorschulalter ein Handy und einen Gameboy braucht, denken wir an den Flächenfraß und vor allem an den Klimawandel oder auch an die völlig unterschätzte Zerstörung der Biodiversität!

    Schulz: Niko Paech war das, Ökonom der Uni Oldenburg und heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön!

    Paech: Danke, tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.