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Ökonom: Versicherungsbeiträge statt Steuern senken

Der Wirtschaftsforscher Gustav Adolf Horn hält Steuersenkungen derzeit für unangemessen. Falls es das Wirtschaftswachstum zulasse, sollten Überschüsse bei den öffentlichen Finanzen dazu genutzt werden, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, sagte Horn, Wissenschaftlicher Direktor am gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Die Steuerschätzer haben es diese Woche noch einmal aufgeschrieben, was wir alle beobachten und bemerken: Der Staat soll und wird offensichtlich in den nächsten Jahren deutlich mehr Geld einnehmen, als man bisher geglaubt hat. Daran wird sich trotz der Konjunkturkrise oder möglichen Bankenkrisen wenig ändern. Die Politik, sie überbietet sich geradezu mit Wettbewerben unter der Überschrift: Wer bietet denn mehr an Steuerentlastungen? Über all dieses wollen wir jetzt reden, und dazu begrüße ich Gustav Adolf Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Guten Morgen, Herr Horn!

    Gustav Adolf Horn: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Horn, zunächst einmal, wir hören ja auf der einen Seite, dass die Mittelschicht immer mehr unter Druck gerät in Deutschland. Dann kommt die Antwort der Politiker, wir müssen da mit Steuern etwas machen, bei den Steuern entlasten. Meine Frage an Sie: Die Mittelschicht, die ja objektiv leidet, leidet sie an zu hohen Steuern und Abgaben, oder hat das eher mit Arbeitsbedingungen in Deutschland zu tun?

    Horn: Ja, es ist richtig, der Befund steht, dass die Mittelschicht leidet. Allerdings, diese Debatte steuerrechtlich zu führen, halte ich für eine Perversion dieser Debatte. Denn es sind weniger die Steuern, die hier ein großes Problem sind, sondern tatsächlich die Arbeitsbedingungen, die Schaffung von Niedriglohnjobs, die sehr schwachen Lohnentwicklungen. All dies hat zur Einkommenserosion der Mittelschicht beigetragen.

    Zurheide: Darüber wollen wir gleich noch mal reden, wo man möglicherweise ansetzen muss. Ich würde vorher gerne wissen, die sogenannte kalte Progression, das ist ja ein Befund, über den wir häufiger mal diskutieren, wenn die Löhne steigen, rutscht man in höhere Steuerprogressionsstufen hinein. Ist das aus Ihrer Sicht ein Problem, denn andere Länder haben das so geregelt, dass man die entsprechenden Sätze permanent anpasst entsprechend der Inflation. Müsste man das tun oder nicht?

    Horn: Nein, ich rate davon ab. Zunächst einmal, wenn die Leistungsfähigkeit steigt, ist es auch wichtig, in einen höheren Steuertarif hineinzurutschen. Das Problem, was auftritt, ist mit Inflation verbunden, denn dann steigt die Leistungsfähigkeit nicht, aber man rutscht trotzdem in eine höhere Steuerklasse hinein, und das gilt es zu vermeiden. Aber das kann man auch diskretionär, also in definierten Abständen korrigieren.

    Zurheide: Das müsste dann aber passieren aus Ihrer Sicht?

    Horn: Irgendwann muss es passieren, ob es jetzt passieren muss, ist die Frage. Ich würde es machen in Zeiten schwacher Konjunktur, und die Beträge, um die es da geht, liegen weit unter denen, die jetzt in der Diskussion sind.

    Zurheide: Bundesfinanzminister Steinbrück hat ja darauf hingewiesen, bevor man überhaupt Spielraum für Steuersenkungen hat, möchte er den Haushalt ausgleichen. Ist es aus Ihrer Sicht richtig, diese Fixierung auf den Haushaltsausgleich, den man im Moment in das Jahr 2011 verlegt, ist das richtig?

    Horn: Eine absolute Fixierung darauf hielte ich auch für falsch, aber richtig ist, dass man diesen Aufschwung, solange er anhält, nutzen muss, um den Haushalt zu konsolidieren. Denn das ist die Zeit, wo man es tun muss. Insofern wäre ich tatsächlich mit schnellen Maßnahmen sehr vorsichtig.

    Zurheide: Wenn wir jetzt noch mal fragen bei der Mittelschicht, wir haben gerade schon darüber diskutiert, Steuern sind vielleicht nicht unbedingt das Problem, eher die Arbeitsbedingungen. Gibt es nicht ein Problem zum Beispiel bei den Lohnnebenkosten? Wenn man schon entlastet, gibt es da doch möglicherweise noch Umfinanzierungsbedarf. Wie sehen Sie das?

    Horn: Ja, die Lohnnebenkosten sind das größere Problem, denn im Unterschied zum Steuersystem sind die Lohnnebenkosten regressiv, wie wir sagen, angelegt, das heißt, mit niedrigem Einkommen ist die Belastung besonders hoch. Das sollte auf Dauer korrigiert werden, indem man stärker steuerfinanziert. Zudem gilt es, noch manche versicherungsfremde Leistung, die dem Sozialversicherungssystem aufgebürdet wurde, zu verlagern.

    Zurheide: Seit einigen Jahren redet man über dieses Thema, aber passieren tut recht wenig. Der Sachverständigenrat hat kürzlich ausgerechnet, dass rund 50 Milliarden möglicherweise noch an sogenannten versicherungsfremden Leistungen da drinstrecken. Das ist ja ein so gewaltiger Betrag. Sehen Sie irgendwo eine Chance, dass das auch wirklich mal passiert?

    Horn: Sicherlich nicht auf einen Schlag, aber tatsächlich ist es so, dass man im Zuge der deutschen Vereinigung keine großen, sondern gewaltige Fehler gemacht hat, indem man die Finanzierung der deutschen Einheit zu einem sehr großen Teil auch dem Sozialversicherungssystem aufgeladen hat. Und dieser Fehler ist bis heute nicht vollständig korrigiert, wie der Sachverständigenrat zu Recht feststellt.

    Zurheide: Das heißt auf Deutsch, da bezahlen eigentlich nur 25 oder 26 Millionen Deutsche, nämlich jene, die noch in Beschäftigungsverhältnissen sind, in regulären Beschäftigungsverhältnissen, die bezahlen Leistungen, die eigentlich von den 80 Millionen bezahlt werden müssten, das ist der Sachverhalt?

    Horn: Das ist richtig. Die deutsche Vereinigung ist sicherlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wo die Lasten gesamtgesellschaftlich geschultert werden müssen und die nicht nur von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den Unternehmen getragen werden können.

    Zurheide: Wenn ich das aber weiterdenke, was Sie gerade sagen, heißt das ja, eigentlich müssten die Steuern im Zweifel sogar erhöht werden. Sehen Sie denn dafür Spielraum in der gegenwärtigen Phase oder auch das Vertrauen der Menschen, die sagen, na ja, die erzählen uns immer, dass sie die Steuern erhöhen, das dann eins zu eins weitergeben, sie tun es ja doch nicht. Das Vertrauen in die Politik fehlt da oft. Berechtigt oder unberechtigt dieser Vorhalt?

    Horn: Dieser Vorhalt ist nicht völlig unberechtigt. Allerdings muss man auch eines sagen, man hat die Steuern ja sehr stark gesenkt, schon seit Anfang des Jahres 2000. Die Steuerdebatten wurden auch immer als Geschenkdebatten geführt. Das können wir uns auf Dauer nicht leisten. Insofern, ich plädiere jetzt nicht für eine Steuererhöhung, aber auch nicht für Steuersenkung. Wir müssen mit dem derzeitigen Steuersystem all diese Probleme nicht sofort, aber im Laufe der Zeit schultern.

    Zurheide: Also Ihr Hinweis wäre, wenn denn die Prognosen stimmen, die die Steuerschätzer in dieser Woche gegeben haben, sollte man die Steuermehreinnahmen auch konsequent nutzen, um so etwas umzufinanzieren. Ist dafür Spielraum?

    Horn: Dafür sollte sich, wenn die Wirtschaftsentwicklung einigermaßen gut bleibt, sicherlich der ein oder andere Spielraum ergeben, und ich würde das in der Tat dazu nutzen, dass die Steuermehreinnahmen, sofern sie überschüssig wirklich sind, dazu genutzt werden, um die Sozialbeiträge zu senken, indem man versicherungsfremde Leistungen auslagert.

    Zurheide: Jetzt hat Ihr Kollege Peter Bofinger aus dem Sachverständigenrat vorgeschlagen, bevor man überhaupt irgendetwas senkt, muss man mehr für die Bildung tun. Ist dieser Hinweis richtig?

    Horn: Dieser Hinweis ist absolut richtig. Ich denke, der Staat hat seine Prioritäten in den vergangenen Jahren auch stark vernachlässigt, weil er sich immer nur um Konsolidierung bemüht hat, vergeblich, wie wir wissen teilweise. Deshalb wäre es wichtig, auch die Bildungsinvestitionen zu stärken, denn das schafft auch wieder Wachstumschancen, und Wachstumschancen produzieren auch höhere Steuereinnahmen.

    Zurheide: Sehen Sie denn, dass die Bereitschaft da ist, denn alles, was bisher getan wird, ist ja doch eher im kleinteiligen Bereich anzusiedeln. Viele reden darüber, dass wir mehr Bildungsausgaben brauchen, aber de facto passiert dann wenig. Haben Sie da Zutrauen zur Politik, dass das dann wirklich am Ende geschieht?

    Horn: Das ist keine Frage des Zutrauens, es ist einfach ein Muss, dass dies geschehen muss. Tatsächlich haben wir eine große Bildungsdebatte, aber wir haben noch nicht ein großes Bildungshandeln. Hier ist gerade auch auf Länderebene noch viel zu tun. Viele Länder reden von Bildungsoffensiven und kürzen dann und streichen Schulen zusammen. Das geht nicht miteinander einher. Hier muss eine grundlegende Änderung erfolgen.

    Zurheide: Das war Gustav Adolf Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch. Auf Wiederhören.

    Horn: Gern geschehen.