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Ökonom warnt vor unterschiedlichen Mindestlöhnen

Die Union will eine Kommission installieren, die eine Lohnuntergrenze für Branchen ohne Tarifverträge festlegen soll. Reinhard Bispink von der Hans-Böckler-Stiftung warnt: Damit würden bei bereits geltenden Tarifverträgen weiter Niedrigstlöhne gezahlt - gebraucht werde aber ein einheitlicher Mindestlohn.

Das Gespräch führte Jasper Barenberg | 26.04.2012
    Reinhard Bispinck: Ich denke, die Hauptkritik der Gewerkschaften ist, dass sich die Politik eigentlich vor einer Entscheidung über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn herumdrückt, sie delegieren die Entscheidung an eine Kommission, die auch Unterschiede beim Mindestlohn nach Branchen, nach Regionen und Beschäftigtengruppen möglicherweise entscheiden soll, und ich denke, die Kritik ist, dass wir womöglich bestenfalls am Schluss einen Flickenteppich weiterer neuerer Mindestlöhne haben, aber keinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn.

    Jasper Barenberg: Und warum wäre der aus Ihrer Sicht so wichtig, ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn?

    Bispinck: Wir brauchen eine klare, verbindliche Untergrenze für alle Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland und nicht für jede Branche und für jede Region ein eigenes Regelwerk. Ich denke auch, dass eine solche Kommission damit letztlich überfordert ist. Da sollen ja die Spitzenverbände von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vertreten sein, die dann das Geschäft für verschiedenste Branchen und Regionen erledigen sollen. Eine einheitliche Untergrenze, die einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglichen soll, braucht diese Differenzierung nicht, sondern sie muss tatsächlich einheitlich sein, sodass etwa jemand, der vollzeitig arbeitet, von einem solchen Lohn angemessen leben kann. Ich würde sagen, er sollte nicht mehr abhängig sein von zusätzlichen Leistungen nach Hartz IV, und damit landen wir dann bei einem Betrag von 8,50 Euro mindestens als Untergrenze.

    Barenberg: ... der aber dann, so die Kritiker, Arbeitsplätze kosten würde.

    Bispinck: Das, denke ich, ist nicht der Fall. Wir haben ja eine Reihe von ganz aktuellen Forschungsberichten, die das Arbeitsministerium in Auftrag gegeben hat, über Mindestlöhne in zehn Branchen vorliegen. Da gehen die Mindestlöhne zum Teil deutlich über zehn Euro, viele liegen bei acht und neun Euro, und die Ergebnisse waren, dass es keine negativen Beschäftigungseffekte gibt. Das ist auch das Ergebnis aus Untersuchungen in anderen Ländern, Großbritannien ist eines der Beispiele. Ich denke, bei 8,50 Euro sind keine Beschäftigungsverluste zu befürchten.

    Barenberg: Aber bei 8,50 Euro nicht, sagen Sie. Immerhin: In Großbritannien liegt der Mindestlohn derzeit bei etwa 6,91 Euro. Also ist es nicht doch eine Frage der Höhe? Mit anderen Worten: Je höher er ist, desto höher die Gefahr, desto größer das Risiko, dass am Ende doch Arbeitsplätze vernichtet werden?

    Bispinck: Zunächst mal liegen die meisten Mindestlöhne in Westeuropa mindestens bei 8,50 Euro, zum Teil sogar deutlich darüber, in Luxemburg sogar über zehn Euro. Davon ist hier ja zunächst mal nicht die Rede. Und in Großbritannien muss man berücksichtigen: Der Wechselkurs zum Euro hat sich stark verschlechtert. Noch vor zwei Jahren wäre bei einem damaligen Wechselkurs auch der Mindestlohn in Großbritannien bei 8,50 Euro gewesen. Daran hat sich materiell gar nichts geändert, das ist eine technische Verzerrung durch den Wechselkurs.

    Barenberg: Noch mal vielleicht zurück zu dem Vorwurf, es käme bei dem Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, am Ende ein Flickwerk dabei heraus. Warum ist es nicht sinnvoll und richtig zu schauen, dass zum Beispiel im bayrischen Wald eben weniger gezahlt werden kann als beispielsweise in Stuttgart oder in Düsseldorf?

    Bispinck: Wenn wir über Tarifverträge reden, die für alle Beschäftigten verschiedene Lohn- und Gehaltsgruppen festlegen, brauchen wir selbstverständlich Unterschiede, im Zweifel auch noch Unterschiede nach Regionen. Das haben wir ja in Tarifverträgen. Wir reden aber hier über ein Mindestniveau, unterhalb dessen niemand arbeiten sollte, und da macht es keinen Sinn, es gibt auch kein europäisches Land mit einem Mindestlohn, was dort noch mal differenziert, weil im Wesentlichen die Untergrenze für alle Beschäftigten ja einheitlich ist. Wir haben ja auch einheitliche Untergrenzen etwa für Unterstützungsleistungen nach Hartz IV, von daher macht es schon Sinn, auch wegen der Übersichtlichkeit und wegen der Kontrollmöglichkeit, dort nicht einen Flickenteppich zu inszenieren.

    Barenberg: Auf der anderen Seite gibt es ja große Probleme gerade in Bereichen, in denen es überhaupt keinen geltenden Tarifvertrag derzeit gibt. Genau diese Lücke soll ja gefüllt werden. Wäre das nicht ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu fairen Löhnen, wie zum Beispiel die Bundesarbeitsministerin jetzt sagt?

    Bispinck: Das wäre in der Tat ein Schritt nach vorne, das ist richtig. Der Vorschlag hat aber einen ganz anderen Mangel: der nämlich, dass überall dort, wo es Tarifverträge gibt, diese Geltung behalten sollen. Wir wissen aber, dass in einer ganzen Reihe von Tarifverträgen Niedrigstlöhne vereinbart sind, die fünf, sechs oder sieben Euro betragen. Das hängt mit der Schwäche der Gewerkschaften, auch mit der Verweigerungshaltung von Arbeitgeberverbänden zusammen, und es ist eigentlich ein Unding, wenn wir von einem sozial angemessenen Mindestlohn sprechen, dass dann solche Niedriglöhne, auch wenn sie in Tarifverträgen stehen, noch bestehen bleiben sollen. Die Gefahr ist auch groß, dass dann Pseudogewerkschaften Gefälligkeits-Tarifverträge abschließen, auf die sich dann Arbeitgeber beziehen können und so einem Mindestlohn aus dem Wege gehen.

    Links:
    FDP sagt Nein zum Mindestlohn
    Erklärwerk: Mindestlohn