Dirk Müller: Diese Nachricht war schon oft zu hören in den zurückliegenden Jahren, die da lautet: Brüssel verschärft Defizitverfahren gegen Berlin. Ob das wirklich immer ernst gemeint war, bezweifeln viele Beobachter. Doch diesmal gibt es immerhin ein Ultimatum. Bis zum Juli verlangt die Europäische Kommission konkrete, nachweisbare Schritte, um die Staatsfinanzen zu sanieren, sprich: weitere Reformen, Kürzungen, vor allem in der Sozialpolitik. Fünf Mal hintereinander hat Deutschland jetzt gegen diesen Stabilitätspakt verstoßen. Erlaubt sind neue Schulden nur dann, wenn sie nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Private Haushalte hätten bei einem derartigen Finanzgebaren längst den Offenbarungseid leisten müssen. Darüber sprechen wollen wir nun mit Professor Thomas Straubhaar, Direktor am Hamburgischen Weltwirtschafts-Institut. Herr Straubhaar, trotz dieser Drohungen aus Brüssel, haben Staate finanzpolitische Freibriefe?
Thomas Straubhaar: Nein, im Gegenteil. Also ich denke, dass eben gerade diese Drohungen ja zeigen, dass in einem Euroraum die einzelnen Staaten nicht mehr unabhängig sind, dass die einzelnen Staaten sich an die Verträge, die man mit anderen Nationen eingegangen ist, halten müssen, und dass von daher gesehen eben auch die EU-Kommission beziehungsweise die Stabilitätshüter des Europaktes sich nicht einfach damit begnügen können, zuzusehen, wie eines der Länder - und es ist ein großes Land - nachhaltig gegen diese Vereinbarungen verstößt.
Müller: Herr Straubhaar, also was Sie sagen, zumindest gilt das rhetorisch. Denn Deutschland hat fünf Mal verstoßen und es ist nichts passiert bislang.
Straubhaar: Das ist natürlich schon ein unschönes Präzedenz, was man da geschaffen hat, dass man eben so lange zugeguckt hat und immer wieder gehofft hat - weil man natürlich auch wusste, wie schwierig die Aufgabe ist. Es ist ja nicht so, dass die Bundesregierung, schon die rot-grüne vorher, nicht sich des Problems bewusst war, dass sie immer wieder versucht hat, hier auch den Staatshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen, dass aber - und ich glaube, das muss man heute sagen - all die Versuche einfach mehr oder weniger kläglich gescheitert sind. Und ich fürchte, dass auch mit dem neu getroffenen Ansatz wir es nicht schaffen werden, nachhaltig die Staatsschulden in Deutschland in ein Gleichgewicht zu bringen.
Müller: Herr Straubhaar, versuchen wir das noch etwas plastischer zu machen. Wenn wir uns die Zahlen einmal anschauen, von 2002 an ausgehend: 3,7 Prozent, 4,0 Prozent, 3,7 Prozent, 3,3 Prozent, 2006 wieder 3,3 Prozent - die Marke wäre 2,9, 3,0. Warum ist das so schwierig, 2,9 zu erreichen?
Straubhaar: Also ich denke, man muss einfach hier wirklich sagen: Die ursächliche Verantwortung liegt beim Arbeitsmarkt in Deutschland. Und man kann noch so viel bei Steuern und auch bei Staatsausgaben versuchen, zu tun, wenn es nicht gelingt, nachhaltig den Arbeitsmarkt zu sanieren und von dieser hohen Zahl von fünf Millionen im Februar und übers ganze Jahr 4,7 Millionen Arbeitslose runter zu kommen, dann werden alle die Versuche - beispielsweise durch eine Erhöhung von Steuern oder beispielsweise auch durch eine Rückführung von Staatsausgaben - nicht genügen. Weil, man ist gefangen wie der Hamster im Rad. Weil ein Großteil des Problems entsteht dadurch, dass zu wenige Menschen einzahlen in die Staatskassen und zu viele Menschen in Deutschland aus den Staatskassen Geld erwarten müssen, um ihren Lebensunterhalt in Deutschland finanzieren zu können.
Müller: Herr Straubhaar, könnte man dennoch klipp und klar sagen: Das alles ist Staatsversagen?
Straubhaar: Das ist Politikversagen in dem Sinne, dass man über Jahre nicht ernsthaft sich daran gemacht hat, den Staatshaushalt zu sanieren. Dass man über Jahre - und auch in dieser Regierung - bislang nicht sich nachhaltig daran gemacht hat, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Und solange man das nicht tut, würde ich da sagen: Das ist ein Politikversagen.
Müller: Warum, glauben Sie, ist denn der Druck, diese Schulden abzubauen - es geht ja nicht nur um die Neuverschuldung, es geht mittel- und langfristig ja auch um die Gesamtverschuldung, die ja auch Billionenhöhe erreicht hat -, warum ist der Druck aus der Bevölkerung da nicht groß genug, dies endlich in den Griff zu bekommen beziehungsweise von der Politik zu verlangen, da konsequent vorzugehen?
Straubhaar: Das hängt mit diesem süßen Gift von Schulden zusammen. Schulden heißt ja, dass man Probleme von heute auf die Generationen von morgen überwälzt. Schulden zu begleichen heißt ja, dass man von der aktiven Generation, die heute im Erwerbsleben steht, erwartet, dass sie die Ausgaben zurückfährt und irgendwo versucht, die Einnahmen zu erhöhen - so, wie das jeder private Haushalt automatisch machen müsste. Und das ist politökonomisch deshalb schwierig durchzusetzen, weil diejenigen, von denen man die Opfer abverlangt heute, das sind Wählerinnen und Wähler, die haben daran nicht sehr viel Freude, während diejenigen, die wirklich die Schuldenberge dann abtragen müssen und diejenigen, die leiden unter dieser Last der Schuldzinsen, das sind die Kindeskinder von morgen und die haben bekanntlich kein Wahl- und Stimmrecht heute. Und von daher gesehen tut das nicht so weh, wenn man denen sozusagen statt Apfelbäume in den Garten pflanzt, Steine und Felsen in den Weg rollt.
Müller: Also, um das noch etwas einfacher auf den Punkt zu bringen: Diejenigen, die jetzt jung sind bei uns in Deutschland, die haben Pech gehabt?
Straubhaar: Die haben mehr als Pech gehabt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich meinen Kindern, die auch in Deutschland leben, klarmachen soll, wie sie eines Tages, in zehn, fünfzehn Jahren, leben sollen, wenn wir weiterhin steigende Lohnnebenkosten haben werden, wenn wir weiterhin steigende Steuerbelastungen haben, um den Schuldenberg, den wir heute auftürmen, abtragen zu können, wenn die selber ihre eigenen Kinder großziehen sollen, wenn die selber im internationalen Wettbewerb gegen China, Indien, Südostasien, all die anderen Länder der Welt bestehen sollen, dann, denke ich, bereiten wir das Feld ganz deutlich zu wenig gut vor. Und in dem Sinne haben Sie völlig Recht: Die junge Generation, die so ab 20, 30 heute lebt und jünger sind, die werden auslöffeln müssen, was wir ihnen heute ungefragt einbrocken.
Müller: Gibt es demnach einen ausgemachten Lobbyismus der Generationen?
Straubhaar: Es fehlt ein Sprachrohr für die noch nicht Geborenen. Es fehlt ein Sprachrohr für die Kinder. Und das passt ja zum allgemeinen Diskutieren über Familienpolitik. Es geht eben nicht nur darum, dass man Familien in dem Sinn durch direkte Zahlungen fördert, durch Kindergeld oder Familiengeld. Es geht viel, viel mehr darum, dass wir auch Kindern sozusagen politisches Gewicht geben, dass Kinder eben auch sozusagen ihre langfristigen Interessen vertreten können - das können meinetwegen ihre Eltern tun in Vertretung. Aber letztlich ist es eben ein Problem, wenn immer weniger Kinder da sind, immer weniger Familien sich dieses langfristigen Ziels bewusst sind, dann hat in der Tat die nächste Generation eine ganz schwache Lobby heute.
Thomas Straubhaar: Nein, im Gegenteil. Also ich denke, dass eben gerade diese Drohungen ja zeigen, dass in einem Euroraum die einzelnen Staaten nicht mehr unabhängig sind, dass die einzelnen Staaten sich an die Verträge, die man mit anderen Nationen eingegangen ist, halten müssen, und dass von daher gesehen eben auch die EU-Kommission beziehungsweise die Stabilitätshüter des Europaktes sich nicht einfach damit begnügen können, zuzusehen, wie eines der Länder - und es ist ein großes Land - nachhaltig gegen diese Vereinbarungen verstößt.
Müller: Herr Straubhaar, also was Sie sagen, zumindest gilt das rhetorisch. Denn Deutschland hat fünf Mal verstoßen und es ist nichts passiert bislang.
Straubhaar: Das ist natürlich schon ein unschönes Präzedenz, was man da geschaffen hat, dass man eben so lange zugeguckt hat und immer wieder gehofft hat - weil man natürlich auch wusste, wie schwierig die Aufgabe ist. Es ist ja nicht so, dass die Bundesregierung, schon die rot-grüne vorher, nicht sich des Problems bewusst war, dass sie immer wieder versucht hat, hier auch den Staatshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen, dass aber - und ich glaube, das muss man heute sagen - all die Versuche einfach mehr oder weniger kläglich gescheitert sind. Und ich fürchte, dass auch mit dem neu getroffenen Ansatz wir es nicht schaffen werden, nachhaltig die Staatsschulden in Deutschland in ein Gleichgewicht zu bringen.
Müller: Herr Straubhaar, versuchen wir das noch etwas plastischer zu machen. Wenn wir uns die Zahlen einmal anschauen, von 2002 an ausgehend: 3,7 Prozent, 4,0 Prozent, 3,7 Prozent, 3,3 Prozent, 2006 wieder 3,3 Prozent - die Marke wäre 2,9, 3,0. Warum ist das so schwierig, 2,9 zu erreichen?
Straubhaar: Also ich denke, man muss einfach hier wirklich sagen: Die ursächliche Verantwortung liegt beim Arbeitsmarkt in Deutschland. Und man kann noch so viel bei Steuern und auch bei Staatsausgaben versuchen, zu tun, wenn es nicht gelingt, nachhaltig den Arbeitsmarkt zu sanieren und von dieser hohen Zahl von fünf Millionen im Februar und übers ganze Jahr 4,7 Millionen Arbeitslose runter zu kommen, dann werden alle die Versuche - beispielsweise durch eine Erhöhung von Steuern oder beispielsweise auch durch eine Rückführung von Staatsausgaben - nicht genügen. Weil, man ist gefangen wie der Hamster im Rad. Weil ein Großteil des Problems entsteht dadurch, dass zu wenige Menschen einzahlen in die Staatskassen und zu viele Menschen in Deutschland aus den Staatskassen Geld erwarten müssen, um ihren Lebensunterhalt in Deutschland finanzieren zu können.
Müller: Herr Straubhaar, könnte man dennoch klipp und klar sagen: Das alles ist Staatsversagen?
Straubhaar: Das ist Politikversagen in dem Sinne, dass man über Jahre nicht ernsthaft sich daran gemacht hat, den Staatshaushalt zu sanieren. Dass man über Jahre - und auch in dieser Regierung - bislang nicht sich nachhaltig daran gemacht hat, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Und solange man das nicht tut, würde ich da sagen: Das ist ein Politikversagen.
Müller: Warum, glauben Sie, ist denn der Druck, diese Schulden abzubauen - es geht ja nicht nur um die Neuverschuldung, es geht mittel- und langfristig ja auch um die Gesamtverschuldung, die ja auch Billionenhöhe erreicht hat -, warum ist der Druck aus der Bevölkerung da nicht groß genug, dies endlich in den Griff zu bekommen beziehungsweise von der Politik zu verlangen, da konsequent vorzugehen?
Straubhaar: Das hängt mit diesem süßen Gift von Schulden zusammen. Schulden heißt ja, dass man Probleme von heute auf die Generationen von morgen überwälzt. Schulden zu begleichen heißt ja, dass man von der aktiven Generation, die heute im Erwerbsleben steht, erwartet, dass sie die Ausgaben zurückfährt und irgendwo versucht, die Einnahmen zu erhöhen - so, wie das jeder private Haushalt automatisch machen müsste. Und das ist politökonomisch deshalb schwierig durchzusetzen, weil diejenigen, von denen man die Opfer abverlangt heute, das sind Wählerinnen und Wähler, die haben daran nicht sehr viel Freude, während diejenigen, die wirklich die Schuldenberge dann abtragen müssen und diejenigen, die leiden unter dieser Last der Schuldzinsen, das sind die Kindeskinder von morgen und die haben bekanntlich kein Wahl- und Stimmrecht heute. Und von daher gesehen tut das nicht so weh, wenn man denen sozusagen statt Apfelbäume in den Garten pflanzt, Steine und Felsen in den Weg rollt.
Müller: Also, um das noch etwas einfacher auf den Punkt zu bringen: Diejenigen, die jetzt jung sind bei uns in Deutschland, die haben Pech gehabt?
Straubhaar: Die haben mehr als Pech gehabt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich meinen Kindern, die auch in Deutschland leben, klarmachen soll, wie sie eines Tages, in zehn, fünfzehn Jahren, leben sollen, wenn wir weiterhin steigende Lohnnebenkosten haben werden, wenn wir weiterhin steigende Steuerbelastungen haben, um den Schuldenberg, den wir heute auftürmen, abtragen zu können, wenn die selber ihre eigenen Kinder großziehen sollen, wenn die selber im internationalen Wettbewerb gegen China, Indien, Südostasien, all die anderen Länder der Welt bestehen sollen, dann, denke ich, bereiten wir das Feld ganz deutlich zu wenig gut vor. Und in dem Sinne haben Sie völlig Recht: Die junge Generation, die so ab 20, 30 heute lebt und jünger sind, die werden auslöffeln müssen, was wir ihnen heute ungefragt einbrocken.
Müller: Gibt es demnach einen ausgemachten Lobbyismus der Generationen?
Straubhaar: Es fehlt ein Sprachrohr für die noch nicht Geborenen. Es fehlt ein Sprachrohr für die Kinder. Und das passt ja zum allgemeinen Diskutieren über Familienpolitik. Es geht eben nicht nur darum, dass man Familien in dem Sinn durch direkte Zahlungen fördert, durch Kindergeld oder Familiengeld. Es geht viel, viel mehr darum, dass wir auch Kindern sozusagen politisches Gewicht geben, dass Kinder eben auch sozusagen ihre langfristigen Interessen vertreten können - das können meinetwegen ihre Eltern tun in Vertretung. Aber letztlich ist es eben ein Problem, wenn immer weniger Kinder da sind, immer weniger Familien sich dieses langfristigen Ziels bewusst sind, dann hat in der Tat die nächste Generation eine ganz schwache Lobby heute.