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Ökonom wirft West-Kommunen Versäumnisse beim Solidarpakt vor

Einige westliche Kommunen beklagen, dass sie ihren Beitrag zum Solidarpakt Ost durch Kredite finanzieren müssen: Sie wollen ein Ende der Ostförderung. Der Ökonom Rainer Kambeck kontert: Die betroffenen Städte hätten sich seit Beginn des Solidarpaktes 2005 längst auf diese Kosten einstellen müssen.

Das Gespräch führte Silivia Engels | 21.03.2012
    Silvia Engels: Gestern machten die Oberbürgermeister mehrerer Großstädte in Nordrhein-Westfalen von sich reden. In der "Süddeutschen Zeitung" forderten Sie ein Ende des Solidarpaktes Ost. Sie verwiesen darauf, dass manche Stadt im strukturschwachen Ruhrgebiet finanziell schlechter ausgestattet sei als Regionen in Ostdeutschland. Meine Kollegin Bettina Klein sprach gestern Abend mit Rainer Kambeck, er ist Subventionsexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, und sie wollte wissen, ob es das Gebot der Stunde sei, den Solidarpakt Ost sofort zu stoppen und die Gelder in den Westen umzuleiten.

    Rainer Kambeck: Nein, aus meiner Sicht nicht. Es ist einerseits nachvollziehbar, weil das allesamt hoch verschuldete Städte sind, die eben einen Teil ihrer Steuereinnahmen per Umlage gleich weitergeben müssen und dann in diesen Solidarpakt einspeisen müssen. Das sind natürlich Gelder, die vor Ort fehlen, und das Argument lautet dann, dass man natürlich, wenn man auf diesen Teil der Einnahmen verzichtet, entsprechend Ausgaben dann mit Krediten finanzieren muss. Aber das ist in der Tat nur die eine Seite der Medaille. Man muss vielleicht noch mal einen Schritt zurückgehen und an den Beginn denken. Im Jahr 2005 begann der Solidarpakt ja, der bis 2019 noch läuft, und da war man sicherlich in einer Situation, in der alle Kommunen zugestimmt haben, dass diese Förderung oder dass diese Finanzierung des Solidarpaktes auf diese Art und Weise durchgeführt werden soll. Das heißt, die Kommunen hätten sich natürlich längst darauf einstellen müssen, dass sie einen Teil ihrer Steuereinnahmen weitergeben und dementsprechend auch die Ausgaben anpassen müssen, und das ist in den Kommunen, in vielen Kommunen vielfach nicht passiert und insofern muss man sagen, die Verantwortung bleibt nach wie vor bei den Kommunen. So schwer das auch bei einigen Kommunen fällt, muss man sagen: Dass das jetzt allein auf den Solidarpakt und auf die Ostförderung geschoben wird, die desolate Haushaltssituation in so mancher Kommune, das ist nicht gerechtfertigt.

    Bettina Klein: Und Sie sagen auch, die Kommunen können jetzt nicht darauf verweisen, dass sich eben die Finanzlage vielleicht schlechter entwickelt hat für sie, und die Lage heute eben eine andere ist, als sie 2005 vorherzusehen war. Das ist unmöglich?

    Kambeck: Das, was in der Tat stattgefunden hat, zum Teil auch schon vor der Finanzkrise, war, dass einige Städte in der Tat entweder versäumt haben, strukturell ihre Ausgaben anzupassen, oder bei einigen Städten ist es auch so, dass sie große Investitionsprojekte gestartet haben, die zum Teil dann die Haushalte doch erheblich stärker belastet haben, als das ursprünglich mal eingeplant war. Dann haben einige Städte auch ganz unterschiedlich reagiert. Es gibt Städte wie Düsseldorf, die rechtzeitig auch harte Einschnitte vorgenommen haben und sich zum Teil auch von Vermögen getrennt haben, von Teilen der Stadtwerke zum Beispiel. Andere Städte haben sich von Unternehmensanteilen getrennt, um dann diese Einnahmen zu nutzen, um sich zu entschulden, was natürlich in diesen Städten dazu geführt hat, dass man eben nicht von Jahr zu Jahr dann hohe Zinslasten zu tragen hatte, was dann die Haushaltssituation doch deutlich verbessert hat und wieder neue Spielräume geschaffen hat.

    Klein: Das heißt, Sie sagen, die Kommunen, die sich jetzt so beklagen – wir nennen noch mal die Beispiele Dortmund, Oberhausen, Gelsenkirchen -, die eben sagen, wir müssen Kredite aufnehmen, um unsere Verpflichtungen für den Solidarpakt leisten zu können, Sie sagen, dass praktisch das allein Versäumnisse sind, die zu deren Lasten gehen?

    Kambeck: Na ja, man muss immer vielleicht drei Bereiche beachten. Es gibt Versäumnisse in der Tat der Kommunen selbst. Es gibt natürlich auch eine Verantwortung vom Bund, was die Sozialausgaben anbetrifft. Da sind die Kommunen natürlich erheblich getroffen von der Sozialgesetzgebung. Da sind sie zwar auch über die Länder und den Bundesrat in der Regel beteiligt, aber da hat es schon enorme Lasten gegeben, wo man nicht immer sagen kann, das ist jetzt alleine Verantwortung der Kommune. Darauf hat der Bund ja auch schon reagiert, es gibt ja eine Übernahme von Sozialausgaben, etwa bei der Grundsicherung im Alter. Dann gibt es auch die Verantwortung des Landes. Das Land selbst, Nordrhein-Westfalen, hat erhebliche Konsolidierungsanstrengungen vor sich und auch in den zurückliegenden Jahren schon die Kommunen immer an Konsolidierungen beteiligt. Insofern gab es auch da Belastungen für die Kommunen. Das sind die drei Teile, Bund, Land, aber auch durchaus die eigene Verantwortung auf kommunaler Ebene, die letztlich nicht zu leugnen ist.

    Klein: Aber kommen wir noch mal auf die konkrete Debatte. Es sind ja immer zwei verschiedene Ebenen, die da ein bisschen durcheinandergehen. Die eine ist die Frage, ist der Solidarpakt sinnvoll und effektiv angelegt und müssen die Gelder noch in den Osten fließen, oder sollte man Korrekturen durchführen, und das Andere ist eben, wie ist westdeutschen Kommunen zu helfen. Ist es richtig, diese beiden Ebenen zu vermengen?

    Kambeck: Nein, die sollten in der Tat nicht vermischt werden. Im Gros kann man sagen, dass der ganze Aufbau Ost ja eigentlich eine Erfolgsgeschichte ist. Wir haben ja eine sehr positive Entwicklung und eine recht dynamische Angleichung gehabt auch an das Westniveau. Es gibt immer noch große Unterschiede, ...

    Klein: Aber Herr Kambeck, das Argument lautet ja, die wissen im Osten gar nicht mehr wohin mit dem Geld und deswegen hört auf mit diesem Wahnsinn, da weitere Milliarden reinzupumpen.

    Kambeck: Ja, da wäre ich vorsichtig. Es gibt sicherlich immer einzelne Beispiele dafür, dass einzelne Kommunen da sehr, sehr gut ausgestattet sind. Insgesamt muss man sagen - das kann man auch dem jährlichen Bericht der Bundesregierung entnehmen -, die Anpassung der Verkehrsinfrastruktur hat stattgefunden. Insofern spricht alles dafür, dass man die Hilfen insgesamt deutlich zurückfährt, aber das findet ja auch statt. Der Solidarpakt ist ja im Grunde genommen sehr gut ausgestaltet gewesen – das fordern Ökonomen ja immer von Subventionen -, dass man Jahr für Jahr abnehmende Beträge hat und dass man ein fixes Enddatum hat, und beides ist beim Solidarpakt gegeben. Die Mittel, die jetzt in den Osten fließen, nehmen doch von Jahr zu Jahr deutlich ab. Wir sind jetzt noch in einer Größenordnung von acht Milliarden und enden 2019 bei zwei Milliarden, und dann muss eben auch Schluss sein.

    Engels: Rainer Kambeck, Subventionsexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, im Gespräch mit Bettina Klein.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.