Freitag, 29. März 2024

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Ökonom zu Griechenland-Rettung
"Griechenland ist weiterhin auf Hilfe Dritter angewiesen"

Griechenland verlässt das Euro-Rettungsprogramm und steht ab August finanziell wieder auf eigenen Beinen. Der Ökonom Jens Bastian glaubt allerdings nicht, dass das Land wirklich über den Berg ist. Athen werde auch künftig die Wirtschaft nicht eigenständig ankurbeln können, sagte Bastian im Dlf.

Jens Bastian im Gespräch mit Peter Sawicki | 23.06.2018
    Der griechische Premierminister Alexis Tsipras bei einer Rede in Athen, bei der er eine rote Krawatte trägt
    Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte sich zur Feier des Abschieds vom Rettungsprogramm zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren im Amt eine Krawatte umgebunden (imago/Xinhua)
    Peter Sawicki: Es wurde nicht mit Superlativen gespart in dieser Woche, als das Thema Griechenland aufkam. EU-Währungskommissar Moscovici sprach da von einem historischen Ereignis. Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren war von einem Austritt Griechenlands aus dem Euro die Rede. Dank dreier Hilfspakete und über 250 Milliarden Euro wurde das Land finanziell am Leben gehalten. Die Euro-Gruppe hat jetzt aber das Ende der Griechenland-Hilfe eingeläutet. Ab August soll das Land auf eigenen Beinen stehen. Kann es das aber tatsächlich? Das fragen wir jetzt jemanden, der Einblicke hat in die griechischen Belange. Wir sprechen jetzt mit Jens Bastian. Er ist Ökonom und lebt seit vielen Jahren in Athen. Guten Morgen, Herr Bastian!
    Jens Bastian: Guten Morgen!
    Sawicki: Ist Griechenland wirklich über den Berg?
    Bastian: Das auf keinen Fall, und die Erfolgsmeldungen oder Superlative, die Sie gerade angesprochen haben, sind mit Vorsicht zu genießen. Es gibt in der Tat im Laufe der vergangenen Jahre Veränderungen, auch Verbesserungen. Allerdings sind viele dieser Veränderungen auch noch nicht in der Mitte der Gesellschaft in einer Weise angekommen, dass die Griechen und Griechinnen sagen können, in der Tat, auch wir haben zum Beispiel ein höheres verfügbares Einkommen oder die Zukunftsaussichten unserer Kinder, was die Möglichkeiten, einen Job zu finden, haben sich in Griechenland verbessert. Da ist noch viel zu tun.
    "Kein Ausweis von gelungener Reformpolitik"
    Sawicki: Sie sagen, mit Vorsicht genießen, was in dieser Woche gesagt wurde. Trotzdem, Verbesserungen – dann gehen wir erst mal auf die Strukturen. Was hat sich denn da nachhaltig verbessert, welche Reformen wurden umgesetzt?
    Bastian: Es sind vor allen Dingen zunächst einmal Reformen, die Griechenland auch aufgezwungen worden sind, das muss man in der Klarheit sagen. Viele dieser Reformen sind nicht unbedingt politisch akzeptabel gewesen am Anfang in Griechenland, ob von Links- oder Rechtsregierungen in Athen. Was sich eindeutig verbessert hat, und wo die Nachhaltigkeit durchaus gewährleistet ist, ist zum Beispiel die Haushaltspolitik, die Art und Weise, dass Griechenland mittlerweile Primärüberschüsse im Haushalt erwirtschaftet hat. Allerdings zu einem sehr hohen sozialen Preis. Was sich nicht verändert hat, ist die Arbeitslosigkeit. Wir haben weiterhin über 20 Prozent Massenarbeitslosigkeit. Das ist für mich kein Ruhmesblatt der vergangenen Reformpolitik.
    Sawicki: Sie sprechen die Arbeitslosigkeit an. Bei der Jugendarbeitslosigkeit ist es ja noch deutlich dramatischer. Fast jeder zweite ist bis heute arbeitslos, jeder zweite junge Grieche. Ist das nicht ein Zeichen von Schwäche, wenn man auf die Wirtschaft schaut?
    Bastian: Absolut. Die Tatsache, dass junge Griechen und Griechinnen gezwungen sind, mit den Füßen abzustimmen, eben außer Landes zu gehen und als Krankenschwester oder -pfleger zum Beispiel auch nach Deutschland, das ist kein Ausweis von gelungener Reformpolitik. Die Schwäche liegt auch darin, dass es zum Beispiel auf der einen Seite Verbesserungen gegeben hat, zum Beispiel Stabilität des Finanzsektors. Das Außenhandelsdefizit ist abgebaut worden. Aber wir haben immer noch eine darniederliegende Bauindustrie. Die Kreditvergabe an die Realwirtschaft ist immer noch negativ. Und viele Griechen und Griechinnen sind durch eine hohe Steuerbelastung in eine Situation gekommen, dass heute nicht mehr das Hauptproblem darin besteht, keine Steuern zahlen zu wollen, sondern nicht mehr zu können, weil die Reserven aufgebraucht sind und das Einkommen durch Massenarbeitslosigkeit auch sehr eingeschränkt ist.
    "Griechenland muss weiterhin sehr strikte Auflagen erfüllen"
    Sawicki: Und wie kann Griechenland dann also unter diesen Umständen eigenständig die Wirtschaft ankurbeln?
    Bastian: Eigenständig, das wird in den kommenden Jahren nicht möglich sein. Griechenland ist weiterhin auf Hilfe Dritter angewiesen. Auch wenn Griechenland nicht in einem eigenen Programm oder Rettungsprogramm mit Finanzhilfen sein wird. Griechenland muss weiterhin sehr strikte Auflagen erfüllen in den kommenden Jahren und wird unter einer Kuratel, einer Aufsicht stehen, die im Unterschied zu anderen Ländern sehr streng sein wird. Griechenland muss vor allen Dingen zunächst mal sich auch an seinem eigenen Schopf versuchen, aus dieser Misere herauszubringen. Das betrifft nicht nur die Griechen im Land selbst, sondern auch zum Beispiel viele Diaspora-Griechen. Wenn die nicht im Land investieren, können wir erst recht nicht erwarten, dass es ausländische Direktinvestitionen geben sollte.
    Sawicki: Ist es denn attraktiver geworden, in Griechenland zu investieren, ob es jetzt Diaspora-Griechen sind oder andere Investoren?
    Bastian: Attraktiver ist es auf jeden Fall geworden. Es ist auch einfacher geworden in bestimmten Bereichen. Wir sehen zum Beispiel ja auch aus Deutschland, dass die Fraport-Flughafenbetreiber in Frankfurt in 14 Regionalflughäfen in Griechenland investiert hat. Der Tourismus boomt, auch in Teilen wie zum Beispiel Airbnb oder Start-ups gibt es neue Möglichkeiten in Griechenland. Aber die Antwort muss am Ende des Tages aus Griechenland selbst kommen. Und wenn da die verfügbaren Einkommen zu niedrig sind, dann ist die Inlandsnachfrage zu schwach, um zum Beispiel diese Realwirtschaft auf eigenen Beinen stehen lassen zu können.
    Sawicki: Das Stichwort Start-ups würde ich gern noch mal aufgreifen. Ist das in Griechenland auch zukunftsträchtig und vielleicht auch eine Möglichkeit, um die Jugendarbeitslosigkeit langfristig zu lindern?
    Bastian: Da haben Sie recht. Das ist in der Tat ein sehr hoffnungsvoller Bereich, weil es viele junge Menschen gibt, die sind gut ausgebildet, die sind international auch ausgerichtet, und sie sind bereit, mit Risiko zu gehen. Es mangelt nicht an guten Businessideen und Innovationsfähigkeit in Griechenland.
    "Herr Tsipras sieht das Ende des Weges"
    Sawicki: Was gibt es da für Ideen? Was beobachten Sie da für Ideen?
    Bastian: Zum Beispiel in der Biotechnologie gibt es sehr gute, interessante Unternehmen, auch im Agrarbereich, was zum Beispiel Weinanbau oder Olivenanbau angeht. Zwar traditionelle Bereiche, aber mit neuem Innovationspotenzial. Aber das Problem vieler junger Griechen, die ein Start-up-Unternehmen gründen wollen, ist, sie gehen dann zu ihrer Hausbank, versuchen einen Kredit zu bekommen, und dieser ist dann in einer Weise verzinst, dass sie sich das nicht leisten können.
    Sawicki: Das heißt, was sind da für Auswege aus Ihrer Sicht möglich, um das zu verbessern?
    Bastian: Zum einen muss die Kreditfähigkeit der Realwirtschaft verbessert werden. Dann, denke ich, müssen Start-up-Unternehmen zum Beispiel steuerlich in einer ganz anderen Weise gefördert werden, sodass die Steuerbelastung im Grunde genommen nicht ein Hindernis darstellt, um solche Unternehmen auf den Weg zu bringen. Und dann muss weiterhin auch daran gearbeitet werden, dass zum Beispiel Genehmigungsprozesse, Lizenzierungsverfahren zeitlich beschleunigt werden. Da muss auch noch in der Verwaltungstätigkeit einiges getan werden, auch wenn sich manches bereits verändert hat.
    Sawicki: Sie haben es angesprochen, das Ganze ist ja, die ganzen Reformen, die da auferlegt worden sind, das Ganze ist zu einem hohen sozialen Preis geschehen, und Alexis Tsipras, ein linker Politiker hat das ja am Ende durchgedrückt. Ist er aus Sicht der Griechen weiter der Richtige, um da den Wandel weiter voranzutreiben?
    Bastian: Das ist schwer zu beurteilen, denn auf der einen Seite ist er ins Risiko gegangen. Dieses dritte Rettungsprogramm, das im August dieses Jahres ausläuft, ist in hohem Maße unpopulär gewesen, und die Vorgeschichte dazu, Sie haben es kurz erwähnt in Ihrer Einleitung, war dramatisch. Griechenland stand mit einem Bein außerhalb der Euro-Zone. Dann hat es am Ende doch noch gereicht, drinzubleiben und mit Mühe und Not dieses Programm zu verabschieden. Dies wird nun in einer Weise umgesetzt, wie es andere Vorgängerregierungen nie getan haben. Auf der anderen Seite ist dadurch Herr Tsipras sehr unpopulär geworden, weil es sehr weh getan hat, dieses Programm. Es ist ein sehr steuerlastiges Programm, und es beinhaltet Verpflichtungen, die auch nach Auslaufen des Programms weitergehen. Wir haben zum Beispiel im Januar nächsten Jahres wiederum eine Rentenkürzung als Programmauflage, auch wenn Griechenland überhaupt nicht mehr formal in einem solchen Programm drin ist. Aber Herr Tsipras sieht das Ende des Weges. Er hat sich gestern Abend an die Nation gewandt und hat zum ersten Mal eine Krawatte getragen.
    Sawicki: Überzeugt das die Griechen?
    Bastian: Keineswegs. Das ist Symbolpolitik. Griechen fragen sich eher: Was gelingt in den kommenden Wochen und Monaten, damit zum Beispiel die Aussichten für ihre Kinder sich verbessern. Und dann muss man auch noch berücksichtigen, Griechenland hat ein Alleinstellungsmerkmal zusammen mit Italien: Es ist in einer Weise geografisch von der Flüchtlings- und Migrationsbewegung in Europa getroffen, da braucht Griechenland weiterhin Hilfe von Dritten. Allerdings fühlen viele Griechen und Griechinnen sich da von Europa allein gelassen.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen der Ökonom Jens Bastian. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.