Müller: Frau Rinke, der erste gemeinsame Kirchentag beginnt heute in Berlin, doch die Kirchen verlieren nach aktuellen Umfragen zufolge zunehmend an Vertrauen bei den Menschen. Wissen Sie, warum?
Rinke: Das ist eine schwierige Frage und nicht mit einem Satz zu beantworten, aber ich glaube, dass wenn wir gemeinsam etwas veranstalten, insbesondere evangelische und katholische Christen, von denen ja die Mehrheit in Deutschland lebt, ist es ein Zeichen, das Vertrauen aufbauen könnte.
Müller: Und Sie haben keine Erklärung dafür, warum dieses Vertrauen nachgelassen hat?
Rinke: Also ich kann schon sagen, dass während der Zeit, als im Osten - das wissen Sie ja auch - die Wende war und vor der Wende die Kirche sehr viel Vertrauen hatte, weil sie eine der wenigen Institutionen und Gemeinschaften war, die sehr nahe bei den Menschen war. Vielleicht ist das etwas, wo wir wieder mehr Offenheit haben müssen.
Müller: Das heißt, die Kirche hat sich von ihren Gläubigern sozusagen entfernt?
Rinke: Ja, die Kluft ist größer geworden, vielleicht auch die Ängste voreinander größer geworden. Ich denke, die säkularisierte Welt mit den vielen unterschiedlichen Angeboten und dem auftretenden Individualismus, wo jeder sich selbst der Nächste ist und jeder sein Glück alleine schmiedet, macht es einer solchen Institution schon schwer.
Müller: Nun wird ja immer wieder gefordert, die Kirchen sollen bodenständig sein, das heißt, nah an die Menschen heranrücken. Warum ist es so schwierig, das umzusetzen?
Rinke: Eigentlich ist es gar nicht schwierig, denn in jeder größeren Stadt, in jeder kleineren Stadt, sogar in jedem Dorf steht noch eine Kirche, und vor Ort sind auch Gemeinden. Allerdings ist eben das Angebot und die Möglichkeit, auf die Menschen zuzugehen, heute ein schwieriger Prozess. Man hat Fernweh, man hat Medien, man hat Autos, man verreist. Es gibt so viele Angebote, und oft ist es so, dass die Menschen erst dann, wenn sie in schwierige Lebenssituationen kommen, sich daran erinnern, dass es noch etwas anderes geben muss, wo man Hilfe und Trost oder vielleicht auch seine Freude teilen kann als eben nur Abends bei der Talkshow zuzugucken.
Müller: Könnte die Schwierigkeit auch darin bestehen, dass die Kirchenführung einerseits zu weit weg ist von der Gemeindearbeit?
Rinke: Das glaube ich eigentlich nicht. Also die evangelische Kirche ist ja sehr weit untergliedert, und da ist es manchmal eher schwierig, durchzuschauen und bis in jedes kleine Detail hineinzusehen, als umgekehrt. Ich denke schon, dass der Pfarrer und auch die vielen Laien bei seiner Gemeinde sind, und das ist mir sehr wichtig. Die evangelische Kirche lebt ja davon, dass sie ein sehr großes Laienengagement hat, so wie wir das vielleicht und hoffentlich heute Abend beim Kirchentag sehen werden können.
Müller: Der Bundespräsident hat ja unlängst den Kirchen vorgeworfen, speziell der evangelischen Kirche, in vielen Bereiche, so sagt er, zu kopflastig zu sein und zu wenig die Seele der Menschen zu treffen. Wissen Sie, was er damit gemeint hat?
Rinke: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich denke, es geht vor allen Dingen um die Sprache. Wir müssen unsere Sprache so führen, dass die Menschen uns verstehen, und das ist ja das Wunderbare an der Bibel, die Bibel ist so formuliert, jedenfalls damals so formuliert worden, dass die Menschen das Evangelium leicht verstehen konnten. Ich glaube, heute kommt es eben auch darauf an, mit einer Sprache zu sprechen, die nicht aus dem vorigen Jahrhundert ist und die nicht so verkopft ist, sondern die wirklich die Probleme der Menschen trifft.
Müller: Wie wichtig ist es denn, dass Katholiken und Protestanten in der Ökumene zunehmend aufeinander zugehen?
Rinke: Ich glaube, dass die Welt von uns ein solches gemeinsames Zeugnis erwartet. Wir glauben an den gleichen Gott, und die Welt erwartet von uns einfach mehr Gemeinsamkeit, nicht dass das Trennende im Vordergrund steht, sondern das, was wir gemeinsam tun können.
Müller: Gibt es da Fortschritte?
Rinke: Ja, das denke ich. Der ökumenische Kirchentag ist einer von vielen Fortschritten, aber ein sehr deutlich sichtbarer, der erste, der nach außen hin wirklich von vielen Menschen gehört wird. All das, was insbesondere von Amtsträgern, von Theologen gemacht wird, sind Dinge, die genauso wichtig sind, aber die vielleicht nicht auf eine so große Resonanz in der Öffentlichkeit treffen.
Müller: Gehen wir doch auf ein Beispiel ein, was wir vorher in unserem Beitrag auch angedeutet haben, also das Thema Abendmahl. Wir haben eben von Bodenständigkeit gesprochen, die die Kirchen da haben müssen. Interessiert das die normalen Laien, was Sie dort auf höchster Ebene diskutieren?
Rinke: Also wir diskutieren ja nicht beim Kirchentag auf höchster Ebene, wenn Sie sich darauf beziehen. Aber die Frage des gemeinsamen Abendmahls hat schon auf vielen Kirchentagungen und vielen anderen Veranstaltungen immer wieder eine wesentliche Rolle gespielt. Wenn man in der Ortsgemeinde verwurzelt ist und auch vor Ort die Ökumene erlebt, dann erlebt man ja die Kluft, die zum Beispiel durch Ehen durchgeht, wo ein Partner evangelisch, einer katholisch ist, oder jemand nicht gläubig ist und einen gläubigen Partner hat. Das sind schwierige Fragen, wenn man da nicht mal zusammen zum Abendmahl gehen kann, und das ist schon ein großer Schmerz, der uns da trennt, und die Erwartung an den ökumenischen Kirchentag war auch von der Hoffnung geprägt, dass es möglich sein könnte.
Müller: Wer könnte, wer sollte sich denn in diesem Bereich dann bewegen? Eher die Katholiken oder die Protestanten?
Rinke: Ja, wir als Protestanten haben immer erklärt, dass wir ein offenes Abendmahl haben. Bei uns ist jeder eingeladen. Die Katholiken haben da mehr Schwierigkeiten.
Müller: Haben Sie Schwierigkeiten mit dem Papst?
Rinke: Ich habe keine Schwierigkeiten, nein.
Müller: Und das heißt, dass Sie in Zukunft auch die Möglichkeit sehen, dass sich in diesem Bereich etwas bewegt? Es hat ja immerhin Signale von der evangelischen Kirche gegeben, beispielsweise hat ein prominenter Kirchenführer da gesagt, also wir können den Papst als Stellvertreter Christi oder als Sprecher der Kirche akzeptieren.
Rinke: Ja, ich finde, der Papst ist der Sprecher der katholischen Kirche. Insofern ist es für mich ganz unproblematisch, aber nicht für die evangelische Kirche, denn die Reformation hat ja stattgefunden.
Müller: Und das heißt, das ist für Sie aus historischen Gründen nach wie vor, zumindest auf der Ebene unvereinbar?
Rinke: Also ich könnte mir als evangelische Kirche nicht vorstellen, dass der Papst mein Oberhaupt ist. Ich akzeptiere ihn und achte ihn sehr, aber nicht für die evangelische Kirche.
Müller: Und beim Thema Kirchenverständnis geht es generell darum, wie die Kirche Christi, wie sie sich ja nennt, insgesamt ausgestaltet werden soll. Sehen Sie dort in irgendeiner Form die Möglichkeiten zur Annäherung?
Rinke: Ich denke, es hat ja eine deutliche Annäherung gegeben, da haben Sie auch vorhin deutlich darauf hingewiesen. Aber ich glaube, dass die wesentliche Bewegung von den Laien ausgehen muss, und das ist ja eben auch bei diesem gemeinsamen ökumenischen Kirchentag so, dass es eine wirkliche Laienbewegung ist, und das ist eigentlich das, worauf ich meine Hoffnungen setze.
Müller: Sehen Sie denn jemand, auf der oberen institutionellen Ebene, der das alles bremst?
Rinke: Wissen Sie, es ist schwierig und müßig, einzelnen Leuten Schuld zuzuschieben. Ich glaube, das liegt insbesondere in der Gesamtheit.
Müller: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Rinke: Das ist eine schwierige Frage und nicht mit einem Satz zu beantworten, aber ich glaube, dass wenn wir gemeinsam etwas veranstalten, insbesondere evangelische und katholische Christen, von denen ja die Mehrheit in Deutschland lebt, ist es ein Zeichen, das Vertrauen aufbauen könnte.
Müller: Und Sie haben keine Erklärung dafür, warum dieses Vertrauen nachgelassen hat?
Rinke: Also ich kann schon sagen, dass während der Zeit, als im Osten - das wissen Sie ja auch - die Wende war und vor der Wende die Kirche sehr viel Vertrauen hatte, weil sie eine der wenigen Institutionen und Gemeinschaften war, die sehr nahe bei den Menschen war. Vielleicht ist das etwas, wo wir wieder mehr Offenheit haben müssen.
Müller: Das heißt, die Kirche hat sich von ihren Gläubigern sozusagen entfernt?
Rinke: Ja, die Kluft ist größer geworden, vielleicht auch die Ängste voreinander größer geworden. Ich denke, die säkularisierte Welt mit den vielen unterschiedlichen Angeboten und dem auftretenden Individualismus, wo jeder sich selbst der Nächste ist und jeder sein Glück alleine schmiedet, macht es einer solchen Institution schon schwer.
Müller: Nun wird ja immer wieder gefordert, die Kirchen sollen bodenständig sein, das heißt, nah an die Menschen heranrücken. Warum ist es so schwierig, das umzusetzen?
Rinke: Eigentlich ist es gar nicht schwierig, denn in jeder größeren Stadt, in jeder kleineren Stadt, sogar in jedem Dorf steht noch eine Kirche, und vor Ort sind auch Gemeinden. Allerdings ist eben das Angebot und die Möglichkeit, auf die Menschen zuzugehen, heute ein schwieriger Prozess. Man hat Fernweh, man hat Medien, man hat Autos, man verreist. Es gibt so viele Angebote, und oft ist es so, dass die Menschen erst dann, wenn sie in schwierige Lebenssituationen kommen, sich daran erinnern, dass es noch etwas anderes geben muss, wo man Hilfe und Trost oder vielleicht auch seine Freude teilen kann als eben nur Abends bei der Talkshow zuzugucken.
Müller: Könnte die Schwierigkeit auch darin bestehen, dass die Kirchenführung einerseits zu weit weg ist von der Gemeindearbeit?
Rinke: Das glaube ich eigentlich nicht. Also die evangelische Kirche ist ja sehr weit untergliedert, und da ist es manchmal eher schwierig, durchzuschauen und bis in jedes kleine Detail hineinzusehen, als umgekehrt. Ich denke schon, dass der Pfarrer und auch die vielen Laien bei seiner Gemeinde sind, und das ist mir sehr wichtig. Die evangelische Kirche lebt ja davon, dass sie ein sehr großes Laienengagement hat, so wie wir das vielleicht und hoffentlich heute Abend beim Kirchentag sehen werden können.
Müller: Der Bundespräsident hat ja unlängst den Kirchen vorgeworfen, speziell der evangelischen Kirche, in vielen Bereiche, so sagt er, zu kopflastig zu sein und zu wenig die Seele der Menschen zu treffen. Wissen Sie, was er damit gemeint hat?
Rinke: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich denke, es geht vor allen Dingen um die Sprache. Wir müssen unsere Sprache so führen, dass die Menschen uns verstehen, und das ist ja das Wunderbare an der Bibel, die Bibel ist so formuliert, jedenfalls damals so formuliert worden, dass die Menschen das Evangelium leicht verstehen konnten. Ich glaube, heute kommt es eben auch darauf an, mit einer Sprache zu sprechen, die nicht aus dem vorigen Jahrhundert ist und die nicht so verkopft ist, sondern die wirklich die Probleme der Menschen trifft.
Müller: Wie wichtig ist es denn, dass Katholiken und Protestanten in der Ökumene zunehmend aufeinander zugehen?
Rinke: Ich glaube, dass die Welt von uns ein solches gemeinsames Zeugnis erwartet. Wir glauben an den gleichen Gott, und die Welt erwartet von uns einfach mehr Gemeinsamkeit, nicht dass das Trennende im Vordergrund steht, sondern das, was wir gemeinsam tun können.
Müller: Gibt es da Fortschritte?
Rinke: Ja, das denke ich. Der ökumenische Kirchentag ist einer von vielen Fortschritten, aber ein sehr deutlich sichtbarer, der erste, der nach außen hin wirklich von vielen Menschen gehört wird. All das, was insbesondere von Amtsträgern, von Theologen gemacht wird, sind Dinge, die genauso wichtig sind, aber die vielleicht nicht auf eine so große Resonanz in der Öffentlichkeit treffen.
Müller: Gehen wir doch auf ein Beispiel ein, was wir vorher in unserem Beitrag auch angedeutet haben, also das Thema Abendmahl. Wir haben eben von Bodenständigkeit gesprochen, die die Kirchen da haben müssen. Interessiert das die normalen Laien, was Sie dort auf höchster Ebene diskutieren?
Rinke: Also wir diskutieren ja nicht beim Kirchentag auf höchster Ebene, wenn Sie sich darauf beziehen. Aber die Frage des gemeinsamen Abendmahls hat schon auf vielen Kirchentagungen und vielen anderen Veranstaltungen immer wieder eine wesentliche Rolle gespielt. Wenn man in der Ortsgemeinde verwurzelt ist und auch vor Ort die Ökumene erlebt, dann erlebt man ja die Kluft, die zum Beispiel durch Ehen durchgeht, wo ein Partner evangelisch, einer katholisch ist, oder jemand nicht gläubig ist und einen gläubigen Partner hat. Das sind schwierige Fragen, wenn man da nicht mal zusammen zum Abendmahl gehen kann, und das ist schon ein großer Schmerz, der uns da trennt, und die Erwartung an den ökumenischen Kirchentag war auch von der Hoffnung geprägt, dass es möglich sein könnte.
Müller: Wer könnte, wer sollte sich denn in diesem Bereich dann bewegen? Eher die Katholiken oder die Protestanten?
Rinke: Ja, wir als Protestanten haben immer erklärt, dass wir ein offenes Abendmahl haben. Bei uns ist jeder eingeladen. Die Katholiken haben da mehr Schwierigkeiten.
Müller: Haben Sie Schwierigkeiten mit dem Papst?
Rinke: Ich habe keine Schwierigkeiten, nein.
Müller: Und das heißt, dass Sie in Zukunft auch die Möglichkeit sehen, dass sich in diesem Bereich etwas bewegt? Es hat ja immerhin Signale von der evangelischen Kirche gegeben, beispielsweise hat ein prominenter Kirchenführer da gesagt, also wir können den Papst als Stellvertreter Christi oder als Sprecher der Kirche akzeptieren.
Rinke: Ja, ich finde, der Papst ist der Sprecher der katholischen Kirche. Insofern ist es für mich ganz unproblematisch, aber nicht für die evangelische Kirche, denn die Reformation hat ja stattgefunden.
Müller: Und das heißt, das ist für Sie aus historischen Gründen nach wie vor, zumindest auf der Ebene unvereinbar?
Rinke: Also ich könnte mir als evangelische Kirche nicht vorstellen, dass der Papst mein Oberhaupt ist. Ich akzeptiere ihn und achte ihn sehr, aber nicht für die evangelische Kirche.
Müller: Und beim Thema Kirchenverständnis geht es generell darum, wie die Kirche Christi, wie sie sich ja nennt, insgesamt ausgestaltet werden soll. Sehen Sie dort in irgendeiner Form die Möglichkeiten zur Annäherung?
Rinke: Ich denke, es hat ja eine deutliche Annäherung gegeben, da haben Sie auch vorhin deutlich darauf hingewiesen. Aber ich glaube, dass die wesentliche Bewegung von den Laien ausgehen muss, und das ist ja eben auch bei diesem gemeinsamen ökumenischen Kirchentag so, dass es eine wirkliche Laienbewegung ist, und das ist eigentlich das, worauf ich meine Hoffnungen setze.
Müller: Sehen Sie denn jemand, auf der oberen institutionellen Ebene, der das alles bremst?
Rinke: Wissen Sie, es ist schwierig und müßig, einzelnen Leuten Schuld zuzuschieben. Ich glaube, das liegt insbesondere in der Gesamtheit.
Müller: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio