Montag, 13. Mai 2024

Archiv


"Öl muss teurer werden"

Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes, Thomas Straubhaar, hat eine grundlegend andere Energiepolitik gefordert. "Wir haben Energie auch verschwendet, weil sie so billig war, und niemand sich wirklich darum Sorgen machen musste", sagt er. Der Spritpreis müsse weiter steigen, damit Öl gespart und für genügend alternative Energien gesorgt werde.

Moderation: Jürgen Zurheide | 28.06.2008
    Jürgen Zurheide: Die Inflation ist wieder zurück, das zumindest schreiben viele Zeitungen heute. Und wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut, dann könnte man auch das Gefühl haben, dass es in der Tat wieder zu solchen Zeiten kommt, die wir eigentlich schon überwunden geglaubt haben. Plus 3,3 Prozent hat gestern das Statistische Bundesamt festgestellt und amtlich verkündet. Auf der anderen Seite wissen wir alle, die gefühlte Inflation liegt noch deutlich darüber. Die Ölpreise steigen, die Benzinpreise sowieso, und das alles kurz vor der Urlaubssaison. Welche Auswirkungen hat das nun auf Konjunktur und zum Beispiel auf die Zinsen. Über all das wollen wir reden, und dazu begrüße ich jetzt Professor Thomas Straubhaar, den Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes, der am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Straubhaar.

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Zurheide.

    Zurheide: Herr Straubhaar, zunächst einmal, ist es denn nur das Öl? Das sagt ja der ein oder andere so ein bisschen entschuldigend im Moment.

    Straubhaar: Nein, es sind natürlich viele andere Produkte, die auch teurer werden. Ganz zuerst ist zu nennen die Lebensmittelpreise, die sind ebenso steigend. Und dann sind es all jene Preise, die steigen, die als Folge gestiegener Öl- und Energie- und Lebensmittelpreise, die in den sogenannten Zweitrundeneffekten teurer werden. Also wenn jene, die teurere Preise bei der Produktion haben, dies auf ihre Produkte überwälzen und dann damit auch die Lebenshaltungskosten insgesamt für viele Menschen in Deutschland verteuern.

    Zurheide: Eigentlich glaubten ja viele Kollegen von Ihnen, dass die Zeiten der Inflation vorbei gewesen sind. In den letzten zehn Jahren oder fünfzehn Jahren war es relativ ruhig an dieser Front, zumindest in Deutschland. Ist das vorbei?

    Straubhaar: Das waren auch jene, die die New Economy genannt haben als jene Ökonomie, die es immer schafft, genügend zu produzieren, damit eine steigende Nachfrage auch laufend mit steigender Produktion ausgeglichen werden könnte. Das hätte in der Tat zu kaum mehr Inflation geführt. Was diese Kollegen unterschätzt haben war eben, dass die Energie- und die Ölpreise, die Rohstoffpreise, die Lebensmittelpreise sich nicht an diese Spielregeln halten, dass sie nicht so schnell und beliebig ausgeweitet werden könnten, wie das eben jetzt als Folge der zusätzlichen Nachfrage von neuen Spielen auf dem weltwirtschaftlichen Parkett geschieht, beispielsweise die Menschen in China, die Energie und Lebensmittel und Rohstoffe brauchen. Das war zu wenig beachtet worden.

    Zurheide: Jetzt ist ja die Frage, ist es damit am Ende doch die Energie, die praktisch über Inflation oder Nichtinflation entscheidet. Denn die andere Frage ist ja, gerade die Länder wie China, die sie angesprochen haben, könnten ja eigentlich im Prinzip mehr produzieren, auch Güter anbieten, vielleicht auch wegen ihrer niedrigeren Lohnkosten relativ günstig. Was überlagert sich da künftig?

    Straubhaar: Also zunächst ist es auf jeden Fall so, dass es die Energiepreise, die Lebensmittelpreise, die Rohstoffpreise sind. Hier kann das Angebot nicht so kurzfristig ausgeweitet werden, wie das jetzt der Fall sein müsste. Das ist nicht zuletzt die Folge, die wir jetzt tragen, einer über Jahre zu günstigen Energie, die wir hatten. Wir haben Energie auch verschwendet, weil sie so billig war und niemand sich wirklich darum Sorgen machen musste.

    Wir haben zu wenig Energie weltweit gefördert und vor allem in nichtfossile Brennstoffe investiert, weil es sich nicht gelohnt hat. Weil eben insbesondere Öl so billig war, hat man sich zu stark an dieses Öl geklammert, und jetzt, in dem Moment als Öl eben teurer geworden ist, haben wir nicht in der genügend schnellen Geschwindigkeit Alternativen zur Hand. Also ich glaube, diesmal ist es eindeutig so, dass diese Effekte aus diesen rohstoff-, energie- und ölgetriebenen Problemen entstehen.

    Zurheide: Das klingt ja fast wie ein Hohn für den einen oder anderen, der tanken muss, dass Sie gerade sagen, in der Tat, Öl war zu günstig. Ich glaube, wenn man die volkswirtschaftlichen Zahlen sieht seit der 70er Jahre, wenn es nur die normale Preissteigerung gegeben hätte bei Öl, dann wäre es eigentlich schon jetzt viel teurer als es ist. Ist der Befund so richtig?

    Straubhaar: Das ist völlig richtig. Und ich denke, dass eben genau das auch über die ganz lange Frist gesehen eine unverzichtbare Entwicklung ist, die wir hier erleben. Öl muss teurer werden, damit wir Öl sparen und andere Energieträger attraktiver werden. Und in der Tat ist es so, wie Sie es gesagt haben, viele ärgern sich natürlich, dass Heizen teurer wird, dass Autofahren jetzt gerade auch auf die Urlaubssaison hin teurer wird, aber was wir gerade in Deutschland sehen, was ein Gegengewicht dazu bildet, ist, dass gerade die deutsche Industrie es in den letzten Jahren geschafft hat, viel effizienter zu produzieren. Das heißt, dass wir eben mit weniger Vorleistungen und Energieleistungen im Vorfelde Mehrwerte schaffen können, dadurch sind gerade deutsche Industrien weltweit wettbewerbsfähiger geworden. Auch das bedeutet, dass wir gegenüber anderen Ländern, die nicht so gut mit steigenden Energiepreisen umgehen können, wettbewerbsfähiger geworden sind. Und deshalb haben wir dieses kleine Wirtschaftswunder Deutschland heute, dass gerade die deutsche Industrie mit diesen steigenden Öl- und Energiepreisen weltweit gut Geld verdient.

    Zurheide: Was heißt das jetzt für die Konjunktur, beziehungsweise fangen wir mal an mit den Zinsen. Die Europäische Zentralbank ist alarmiert, weil die Inflationsrate in anderen Ländern zum Teil noch deutlich über dem liegt, was wir im Moment in der Bundesrepublik beobachten. Was glauben Sie, wird oder muss die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöhen, was ja dann andere Auswirkungen auf die Konjunktur hat?

    Straubhaar: Das ist in der Tat die schwierigste Herausforderung der nächsten Wochen. Und ich möchte nicht in der Haut von Herrn Trichet stecken, der hier wirklich nur zwischen zwei Übeln jetzt wählen kann. In der Tat wird es wohl so sein, dass er nächste Woche nicht darum herum kommt, die Zinsen für den Euro zu erhöhen, um eben die Inflationserwartungen zu dämpfen. Das ist eine Maßnahme, die wohl kommen muss. Aber steigende Zinsen bedeuten eben für die Konjunktur Bremsspuren, weil dann Sich-zu-Verschulden teurer wird, insbesondere Beispielsweise für Menschen, die überlegen, ein Haus zu bauen oder einen Konsumkredit aufzunehmen, oder als Unternehmer eine Maschine mit Krediten finanzieren wollen. All das ist negativ für die konjunkturelle Entwicklung. Und damit haben wir genau das, was wir nicht haben wollen, nämlich dass in eigentlich konjunkturell schwierigen Zeiten, wo eher in der Tendenz sinkende Zinsen das richtige Signal für die Wirtschaft insgesamt wäre, die Notenbank die Zinsen aus ganz anderen Gründen, eben den Inflationserwartungen heraus, steigern muss, erhöhen muss. Und das führt in der Tat zu einer ganz gefährlichen Gemengelage für die Konjunktur. Hier hatten wir in den 70er Jahren, als das erste Mal Öl über so kurze Zeit so stark teurer wurde, dann das böse Wort der "Stagflation", nämlich stagnierende Wirtschaft und inflationäre Tendenzen.

    Zurheide: Für wie problematisch halten Sie eigentlich, dass innerhalb der EU-Länder die Inflationsrate sehr, sehr unterschiedlich ist – in Deutschland immer noch bei drei, oder etwas über drei, in anderen Ländern bis zu sechs Prozent, und das bei gleichen Zinsen. Das widerspricht jeder ökonomischen Theorie.

    Straubhaar: Das wussten wir aber alle schon, als es zum Euro kam vor knapp zehn Jahren, dass eben hier dieser Euro eine Größe ist, die eben nicht allen Ländern gleichermaßen gerecht werden kann. Ich denke und bleibe dabei, dass der Euro insgesamt eine unglaublich positive Erfolgsgeschichte geworden ist, der uns die letzten vielen Jahre sehr viel Stabilität gebracht hat, der unsere Vermögen gut gesichert hat. Aber jetzt in der Tat über diese vor allem konjunkturellen Aspekte kriegt die Europäische Notenbank genau das Problem, was sie angesprochen haben, dass sie jetzt eine Geldpolitik machen muss für viele Länder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Und da kann eben der Durchschnitt nicht allen Ländern gerecht werden.

    Zurheide: Das war Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Straubhaar: Gerne.

    Zurheide: Auf Wiederhören.