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Ölpest: Chemiker erwartet starke Schäden an Ökosystemen

Detlev Schulz-Bull vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung sieht nur noch wenig Handlungsspielraum bei der Bekämpfung der Ölpest vor der US-Küste. Seine düstere Prognose: "Wenn das Öl alles an die Küste schwappt, wird es Jahre dauern, bis sich das System wieder stabilisiert und erholt hat".

Detlef Schulz-Bull im Gespräch mit Sandra Schulz | 01.05.2010
    Sandra Schulz: Mit welchen Mitteln können sich die Menschen gegen die Gefahr stemmen, das wollen wir besprechen mit Professor Detlef Schulz-Bull, dem Leiter des Bereichs Meereschemie am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Der ist jetzt am Telefon, guten Morgen!

    Detlef Schulz-Bull: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Was hilft jetzt noch gegen den Ölteppich?

    Schulz-Bull: Es ist schon recht spät, diesen Ölteppich jetzt noch zu bekämpfen. Vorherige Ölkatastrophen haben gezeigt, dass die Ölunfälle möglichst schnell bekämpft werden müssen. Wenn das Öl erst mal an die Küsten gelangt ist, werden nur noch geringe Teile von dem Öl bekämpfbar sein. Erfahrungswerte sind, dass vielleicht noch 10 bis 30 Prozent der Ölmenge überhaupt aufgenommen und entsorgt werden können.

    Schulz: Heißt das im Umkehrschluss, dass da was versäumt wurde?

    Schulz-Bull: Das heißt im Umkehrschluss, dass das vielleicht eine sehr komplizierte Katastrophe war. Das Öl ist großenteils unter der Wasseroberfläche ausgetreten, es waren schlechte Wetterbedingungen, das Öl hat sich sehr schnell verteilt, und es war auch sehr weit entfernt von der Küste, sodass auch keine schnellen Bekämpfungsmaßnahmen möglich waren.

    Schulz: Kontrollierte Brände waren noch im Gespräch, dafür ist es jetzt auch zu spät?

    Schulz-Bull: Auch kontrollierte Brände verursachen große ökologische Schäden. Es müssen zusätzliche Chemikalien eingesetzt werden, die Brände selbst erzeugen Giftstoffe, das wäre keine richtig gute Lösung.

    Schulz: Gibt es denn noch andere Möglichkeiten, gegen das Öl zu kämpfen, abschöpfen, absaugen?

    Schulz-Bull: Die beste Möglichkeit ist immer, das Öl durch sogenannte Ölsperren einzudämmen und dann mit Bekämpfungsschiffen aufzunehmen. Das geht allerdings nur, wenn die Ölflecken noch relativ klein sind und wenn die Witterung das zulässt.

    Schulz: Gibt es denn die Möglichkeit, die Marschengebiete später noch zu säubern, wenn das Öl erst mal da ist?

    Schulz-Bull: Man müsste jetzt erst mal versuchen, Ölsperren direkt am Strand und Strandbereich aufzustellen, um das Öl gar nicht in die Küste und in die Marschen kommen zu lassen. Wenn es dort erst mal ist, kann es nur mechanisch aufgenommen werden, was sehr arbeitsintensiv ist und auch nur geringe Ausbeuten bringen wird.

    Schulz: Wie zuverlässig sind solche Sperren, die Sie gerade ansprechen?

    Schulz-Bull: Diese Sperren werden bei höheren Wellen natürlich überspült, wobei das Öl, was auf dem Wasser schwimmt, dann auch herüberschwappt. Das hängt also sehr von der Witterung ab, wie so eine Ölpest sich dann ausbreitet und wie schlimme Ursachen sie hat. Die günstigste Variante wäre noch, wenn der Wind sich dreht und das Öl dann wieder auf das offene Meer hinausgetrieben wird.

    Schulz: Die mechanische Säuberung haben Sie gerade schon angesprochen, wir kennen die Bilder von früheren Ölkatastrophen, die Vögel, die von Hand gereinigt werden können, geht das überhaupt, wenn es um Delfine geht, um Seekühe?

    Schulz-Bull: Diese größeren Lebewesen, die wird es sehr, sehr stark treffen, auch nur geringe Aussicht besteht, diese Tiere dann zu retten und sie so zu säubern, dass sie wieder überleben können. Auch das andere Ökosystem auf dem Boden der Meere, was man nicht erkennt, die Kleinlebewesen im Meer, all diese Tiere werden sehr stark geschädigt werden.

    Schulz: Wie weit reichen die Selbstheilungskräfte der Natur?

    Schulz-Bull: Die Selbstheilungskräfte sind Bakterien, die das Öl dann abbauen. Dieses hängt wesentlich davon ab, wie viel von den Bakterien vorhanden sind und wie die Witterung ist. Im Golf von Mexiko ist es relativ warm, in den Küstengebieten sind sehr viele Bakterien vorhanden – das wird also der einzige Lichtblick sein bei dieser Katastrophe.

    Schulz: Was ist Ihre Prognose, wie lange wird es dauern, bis sich die Natur wieder erholt? Der Golf von Mexiko ist ja ein warmes Gewässer.

    Schulz-Bull: Es wird sicherlich, wenn das Öl alles an die Küste schwappt, wird es Jahre dauern, bis sich das System wieder stabilisiert und erholt hat.

    Schulz: Wie groß wird der Schaden sein?

    Schulz-Bull: Das hängt davon ab, wie groß die Ausbreitung ist. Die Gebiete, die direkt getroffen werden, werden sehr stark geschädigt werden.

    Schulz: Und jetzt wissen wir, strömen im Moment auch immer noch Ölmengen nach, es sind im Moment 800.000 Liter pro Tag. Gibt es denn eine Möglichkeit, wenigstens dieses nachströmende Öl noch abzudämmen?

    Schulz-Bull: Da, denke ich, sind die Kollegen in Amerika dabei, Methoden zu entwickeln. Dieses Ölleck abzudichten, ist sehr schwierig, weil das Leck sich in großer Wassertiefe befindet, es sind Tauchroboter im Einsatz. Ob das gelingen wird, das Leck abzudichten oder was auch eine Überlegung ist, mit einer Art Zelt zu überstülpen und das Öl dort einzusammeln und dann abzusaugen, das weiß ich nicht. So einen Unfall hat es bisher noch nicht gegeben.

    Schulz: Jetzt ist Öl ja ein natürlicher Rohstoff, wieso kann die Natur der Natur überhaupt so schaden?

    Schulz-Bull: Öl befindet sich natürlich auch in der natürlichen Umwelt, das sind Alkane und aromatische Verbindungen. In kleinen Mengen kann die Natur natürlich damit umgehen. Es gibt bei diesem Öl jetzt zwei Schadstofffälle: Das Erste ist, dass das Öl selbst Lebewesen verklebt, wie die Seevögel oder die Tiere, die schwimmen im Wasser, und das andere sind die Komponenten, die das Öl enthält, die in den Körpern der Tiere akkumulieren und dann auch Langzeitschäden verursachen. In solcher geballten Menge kommt dieses Öl im natürlichen Kreislauf nicht vor.

    Schulz: Wenn das Öl jetzt die Fischgründe erreicht, welche Chance gibt es da überhaupt für die Fische, zu überleben?

    Schulz-Bull: Die Fische werden natürlich dieses Gebiet meiden. Tiere, die sich bewegen können, auch Seevögel und Säugetiere, die werden natürlich, wenn es die Möglichkeit gibt, davonschwimmen und sich von diesem Öl vertreiben lassen. Das ist vielleicht die einzige Chance, die sie haben.

    Schulz: Gibt es denn Erfahrungen aus früheren Unfällen?

    Schulz-Bull: Nach dem Irakkrieg sind sehr große Mengen in den Persischen Golf ausgetreten oder von den Irakern dort eingeleitet worden, und diese Ölmengen wurden nach einigen Jahren sehr schnell abgebaut, und nach fünf bis sechs Jahren war eigentlich auch kaum eine Umweltbelastung mehr zu entdecken.

    Schulz: Professor Detlef Schulz-Bull, der Leiter des Bereichs Meereschemie am Leibniz-Institut für Ostseeforschung, heute in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön!

    Schulz-Bull: Bitte sehr, und schönen Tag!