Freitag, 19. April 2024

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Österreich vor der Wahl (3/5)
Wo auch Migranten die FPÖ wählen

Noitzmühle gilt als Problemviertel von Wels, auch wegen des hohen Ausländeranteils. Bürgermeister Andreas Rabl von der rechtspopulistischen FPÖ setzt auf "Integrationsdruck": Ohne Deutsch keine Wohnung, lautet sein Credo. Das kommt auch in Noitzmühle an - denn Migrant ist nicht gleich Migrant.

Von Tom Schimmeck | 14.10.2017
    Ein Hochhausfassade im Problemviertel Noitzmühle in Wels in Österreich.
    Noitzmühle gilt als "Problemviertel" in Wels. Wohl kaum ein Ort in Österreich hat mehr Migration erlebt. (Deutschlandradio/Tom Schimmeck)
    Busdurchsage: "Noitzmühle, Umkehrschleife"
    Die junge Mutter guckt etwas genervt. Das Kind quengelt. Der Reporter fragt irgendwie dämlich.
    "Problem, warum Problem?"
    Noitzmühle, ganz im Westen von Wels, gilt als "Problemviertel".
    Ein Mann sagt: "Problemviertel war’s schon."
    Der erste Augenschein: Einzelhäuser, Wohnblöcke, ein paar Hochhäuser. Alles gepflegt, viel Grün. Solche "Probleme" hätte manch europäische Großstadt wohl gern.
    "Das Leben, für mich ist es wunderbar. Was soll ich jammern, wenn’s 'mer gut geht?"
    Im Zentrum von Noitzmühle: Ein Supermarkt, eine Sparkasse, eine Apotheke, ein Allgemeinmediziner. Auf dem Spielplatz ein Trio: Großmutter - Mutter - Tochter.
    "Noitzmühle ist net grad super", findet die Oma. "Viel machen sie wieder kaputt."
    Ein Mann lehnt sein Fahrrad an den Briefkasten. Probleme? Er schüttelt den Kopf:
    "Ich wohn' dahinten und da ist wirklich sehr ruhig. Einige Nachbarn sind Schwarzafrikaner, sehr nett. Und die anderen - was hab ich? Dann hab’ Türken, auch sehr nett. Halt viel Kinder, aber die san überall. Mit taugt’s."
    Er kauft sich eine Tafel Schokolade. Noitzmühle gehört zum Stadtteil Lichtenegg. Wohl kaum ein Ort in Österreich hat mehr Migration erlebt. Im Lager nebenan schufteten nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, und KZ-Häftlinge für die Rüstungsindustrie. Nach dem Krieg wurden die riesigen Wehrmachtsbaracken zum "Lager 1001" – zunächst für überlebende Juden, dann für sogenannte "Volksdeutsche" aus dem Osten. Am Rathaus von Wels hängt eine Gedenktafel aus weißem Stein:
    "Unserer Patenstadt Wels in Dankbarkeit gewidmet. Die Heimatvertriebenen Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen, Sudeten- und Karpatendeutschen."
    Heute schimpfen selbst Migranten über Migranten
    Viele Ungarn kamen nach dem Aufstand 1956, auch Tschechen, Polen, später Jugoslawen. Vietnamesische Flüchtlinge und Arbeitsimmigranten aus der Türkei. Immer gab es viel Hilfsbereitschaft. Und viele Vorurteile und Klagen. Heute schimpfen selbst Migranten über Migranten.
    "Ich bin selber Ausländer, aber es sind sehr viele Ausländer dabei, die hier leben, die sich überhaupt nicht integrieren. Es ist katastrophal."
    Eine junge Frau eilt aus einem der vier Hochhäuser. 13 Etagen. Die Mehrzahl der Namen auf den Schildern klingt nach Balkan und Türkei. Das Fußballspielen ist verboten. Sie ist 36, in Bosnien geboren, seit 25 Jahren in Österreich:
    "Also wir sind Gott sei Dank nicht so."
    Mit Mutter und Bruder floh sie vor dem Krieg. Bei der letzten Wahl in Wels hat sie für die FPÖ gestimmt.
    "Ich hab’s ja selber gewählt."
    Sie lächelt ein wenig verlegen. Warum?
    "Keine Ahnung, das weiß ich nicht. Aber es sollte eigentlich… Es ist schlimm, dass es so viele Leute gibt, die nicht arbeiten wollen."
    Sie ist heute Morgen aus der Fabrik gekommen, von der Nachtschicht. Sie hat drei Kinder.
    "Ich krieg' das hin. Man soll sich integrieren, anpassen! Und das machen die nicht."
    Die Ausländer?
    "Ich bin selber einer, ja, das stimmt. Aber ich bin stolz drauf, weil, ich hab mich angepasst. Beziehungsweise meine ganze Familie hat sich angepasst."
    Beschwerden über laute Kinder
    Eine Seniorin bringt den Müll heraus. Kommt neugierig näher. Sie mag zunächst nicht reden. Hat mal ein Fernsehinterview gegeben, "und des is heuer beim Facebook oder wie des heißt do aufgetaucht. Na. Da hab ich mich nicht grad gut geäußert."
    Dann bricht es doch aus ihr heraus:
    "Ich bin froh, dass wir in Wels einen blauen Bürgermeister gekriegt haben. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie. Für mich ist rot gestorben. Aus."
    Aus dem Nachbarhochaus kommt Verstärkung:
    "Wir sind glaube ich noch 13 Österreicher, von 75 Parteien. Die sind einfach lauter wie wir. Auch die Kinder, die kleinen. Da schreit eine für zehn. Also eine schreit für zehn Österreicher. Die plärren, das können sie sich nicht vorstellen."
    Ein türkischer Nachbar läuft vorbei, bleibt stehen, hört zu. Er ist 32, arbeitet als Metallarbeiter. Wie geht es?
    "Ganz gut eigentlich. Ich bin seit 20 Jahren hier."
    Er blickt den schimpfenden Frau nach.
    "Wenn man solche Menschen sieht wie sie, die Vorwürfe hat gegen andere Leute, ist es schlecht."
    Kann er etwas davon verstehen? Er nickt.
    "Mich stört es auch zum Beispiel, wenn die Ausländer eventuell zu Hause sitzen, obwohl sie arbeiten gehen könnten. Weil das wird ja von unseren Steuern bezahlt."
    Ein Schild im Hochhausviertel Noitzmühle besagt: Ballspielen verboten
    "Wir sind glaube ich noch 13 Österreicher, von 75 Parteien. Die sind einfach lauter wie wir. Vor allem die Kinder“, echauffiert sich eine Nachbarin. (Deutschlandradio/ Tom Schimmeck)
    FPÖ-Slogan "Ohne Deutsch keine Wohnung" wird Realität
    Auf einer Bank in der Sonne sitzt ein Rentner. Geboren in Ankara, seit 30 Jahren hier. Er hat als Metallarbeiter geschuftet. Er spricht gebrochen Deutsch, winkt seinen Neffen heran.
    "Aber da hat die Stadt Schuld eigentlich bei dem Ganzen, dass wir nur hier Wohnungen bekommen."
    Bis heute, sagt der Neffe, sei es schwer, mit einem türkischen Namen Wohnraum zu ergattern.
    "Hier sind die Wohnungen am teuersten in ganz Wels. Aber wir haben keine andere Möglichkeit."
    Der FPÖ-Wahlslogan "Ohne Deutsch keine Wohnung" wird Realität.
    "Was wollen Sie denn mit meiner Mutter machen? Die ist 65, hat sieben Kinder. Und hat geschaut, dass es den Kindern gut geht und die eine gute Schule besuchen."
    Im Bus zurück Richtung Innenstadt streiten zwei junge Burschen, wie das englische Wort "rabbit" geschrieben wird. Sie wetten um einen Kebab. Zwei Hänflinge in superengen Hosen. Der kurdisch-stämmige Ümit, 16, trägt eine stylische Frisur, der aus Albanien kommende Bunjamin, 17, ein umgedrehtes Käppi. Eigentlich, erzählen sie, war es immer gut in Wels:
    "Hier hat man viele Freunde und viele gute Freizeitmöglichkeiten. Man kennt ja auch jeden."
    Doch der Ton sei rauer geworden.
    "Wir werden hier oft sehr gehasst. Früher war das Leben noch normal. Aber seitdem mehr Flüchtlinge gekommen sind, hat man mehr Hass auf Migranten."
    Ümit winkt ganz lässig ab:
    "Mich interessiert das nicht. Weil ich bin Österreich geboren und ich fühle mich auch wie ein Österreicher. Nur: Ich hab kurdische Wurzeln."