Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Österreichs Flüchtlingsobergrenzen
"Warenverkehr wird sehr, sehr stark darunter leiden"

Schon jetzt zeigten sich die massiven humanitären Auswirkungen, die Österreichs Alleingang bei der Flüchtlingspolitik bewirkten, kritisierte Maria Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschlandfunk. Auch Österreich werde aber durch die Schließung der Grenzen wirtschaftliche Probleme bekommen, denn der freie Warenverkehr leide darunter - und auch der Tourismus.

Maria Klein-Schmeink im Gespräch mit Stephanie Rohde | 02.03.2016
    Stephanie Rohde: Am Telefon ist jetzt Maria Klein-Schmeink von den Grünen. Sie ist Mitglied in der deutsch-österreichischen Parlamentariergruppe. Guten Abend.
    Maria Klein-Schmeink: Guten Abend.
    Rohde: Österreich - wir haben es gehört - will Teil der Lösung sein. Aber ist das Land mit diesem nationalen Alleingang jetzt, mit der Allianz mit den Balkan-Staaten, nicht eindeutig Teil des Problems?
    Klein-Schmeink: So wie es sich derzeit darstellt, muss man das schon sagen. Es ist ja schon etwas optimistisch, zu meinen, das sei Teil der Lösung. Erst mal wird das Problem wirklich nach Griechenland durchgereicht. Und gerade mit Griechenland ist ja nicht gesprochen worden. Da ist im Vorfeld ja keine Verabredung da gewesen. Gleichzeitig wissen wir, eine europäische Lösung wird man ja nicht darüber bekommen, dass sich einzelne Ländern einzeln ihre Grenzen dichtmachen, sondern es muss tatsächlich zu einem politischen Prozess kommen.
    Rohde: Aber Österreich ist damit ja sehr erfolgreich. Es kommen ja jetzt sehr viel weniger Flüchtlinge, seitdem es die Obergrenze gibt. Österreich will die auch beibehalten, hat Deutschland heute aufgefordert, selber auch Tageskontingente einzuführen. Macht Österreich nicht vor, wie es auch laufen kann, und sollte Deutschland dem nicht folgen?
    Klein-Schmeink: Das ist vielleicht eine Lösung, die für zwei Wochen so aussieht, als sei es eine Lösung. Aber wir sehen ja jetzt vor Ort in Griechenland schon, dass es zu massiven humanitären Problemen kommt. Und das wird in den nächsten Wochen, wenn das so weitergeht, ja massiv auch noch zunehmen. Und in dem Sinne wird einfach Griechenland das Problem vor die Füße geworfen. Wenn es ein Land gibt, was alleine damit nicht fertig werden kann, dann muss man sagen, dann ist es Griechenland, zumal ja auch mit den vielen Inseln die Grenzen tatsächlich sehr, sehr schwer zu sichern sind. Wir brauchen insgesamt eine europäische Lösung. Da würde ich der Kanzlerin wirklich Recht geben. Und ob es diplomatisch gesehen ein gutes Vorgehen ist, mit einseitigen Obergrenzen sozusagen so viel Druck in den Kessel zu geben, dass es zu einer europäischen Lösung kommen muss, das halte ich unter menschlichen, humanitären Gesichtspunkten schon für eine sehr, sehr riskante Strategie.
    Rohde: Darüber würde ich nachher gerne noch mit Ihnen sprechen, ganz kurz noch mal bleiben bei Österreich, was ja ein zentraler Spieler in diesem Ganzen ist, und auf die innenpolitische Motivation schauen, die der Kanzler Werner Faymann hat. Er war ja lange Zeit geschwächt. Der Druck ist gewachsen in seiner Bevölkerung, dass er endlich handelt. Das hat er jetzt getan mit dieser Obergrenze. Dieser Kurs der Abschottung, die Frontstellung gegenüber Deutschland, das hat ja die schwarz-rote Koalition in Wien zusammengeschweißt. Warum sollte Faymann diesen Kurs, von dem er ja offensichtlich profitiert, jetzt aufgeben?
    Klein-Schmeink: Österreich wird große wirtschaftliche Probleme bekommen
    Klein-Schmeink: Es wird in Kürze - und das hat das Gespräch mit dem Botschafter durchaus auch gezeigt - große wirtschaftliche Probleme geben, weil damit verbunden ist ja eine massive Grenzsicherung. Das heißt, überall wird es Kontrollen geben müssen. Der freie Warenverkehr wird sehr, sehr stark darunter leiden. Alle großen Passstraßen und die Tunnel werden gesichert werden müssen. Das wird große Auswirkungen nicht nur auf den Tourismus, aber auch auf den Tourismus haben. Das hat der Botschafter durchaus freimütig eingestanden. Und trotzdem will Österreich diesen Weg gehen. Und ich glaube, die Konsequenzen in aller Schärfe, die werden sich dann erst im Laufe der Monate zeigen. Und dann wird sich natürlich auch zeigen, dass das ganz schnell zu einer richtigen europäischen Krise werden könnte.
    Rohde: Österreich ist aber bereit, das in Kauf zu nehmen, dass es wirtschaftlich vielleicht auch unter Druck gerät. Wenn wir jetzt einmal auf Angela Merkel schauen, die isoliert ist in Europa. Was hat sie denn überhaupt in der Hand? Womit kann sie jetzt Österreich vielleicht auch drohen?
    Klein-Schmeink: Grundsätzlich scheint es ja in Europa derzeit so zu sein, dass man immer nur im aller- allerletzten Moment zu einer politischen Lösung findet. Gleichwohl würde ich die Kanzlerin wirklich in ihrem Weg bestätigen. Es kann nur eine europäische Lösung geben. Ich denke, Frau Merkel hat noch mehrere politische Hebel, die sie auch mit einsetzen kann. Immerhin geht es ja immer auch um Finanzströme und so weiter. Und darauf zu setzen, dass man sagt, hört mal, diese Europäische Union kann nur funktionieren, wenn wir gemeinschaftliche Lösungen suchen, sonst sind wir sehr, sehr schnell am Ende, ist, glaube ich, etwas, was sich im Endeffekt, hoffe ich jedenfalls, durchsetzt. Und dafür braucht man einen langen Atem. Es ist ja nun nicht so, dass in den meisten europäischen Ländern tatsächlich, sagen wir mal, die Aufnahmefähigkeiten wirklich überspannt wären. Wir müssen uns ja mal klar machen, was in Jordanien, im Libanon und so weiter passiert, auch in der Türkei passiert, auch was Mazedonien in den letzten Jahren da schon gestemmt hat. Von daher ist da doch eine gewisse, sagen wir mal, Bereitschaft, auch humanitär seine Pflichten zu erfüllen, zu erwarten.
    Rohde: Aber verstehe ich Sie da richtig, dass Sie den Plan, möglicherweise auch europäische Zusammenarbeit zu erkaufen mit solchen Nothilfepaketen, unterstützen würden?
    Klein-Schmeink: Na so herum würde ich es nicht ausdrücken, sondern ich würde schon erwarten, dass alle europäischen Länder zur Besinnung kommen und sich klar machen, das Schengen-Konzept, so wie es mal in Gesetzesform und in Paragrafen gegossen worden ist und internationale Verträge, funktioniert angesichts dieser Menge von Flüchtlingen so nicht, sondern man muss solidarische gemeinschaftliche Lösungen finden.
    Rohde: ... sagt Maria Klein-Schmeink von den Grünen. Sie ist Mitglied in der deutsch-österreichischen Parlamentariergruppe. Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.